Widerruf Seniorenwohnzentrum Candis:
Wir geben zu: Für die zwei Stunden der Flugblattverteilung können wir Missstände im Candis nicht belegen!

2015 schloss der inzwischen wegen Bestechlichkeit rechtskräftig verurteilte, ehemalige Oberbürgermeister Wolbergs zusammen mit seiner Stellvertreterin und jetzigen OB Maltz-Schwarzfischer das kommunale Pflegeheim St. Michael, meist „Michlstift“ genannt. Und dies, obwohl der SPD-Kandidat im Wahlkampf hoch und heilig versprochen hatte, die kommunale Altenpflege auszubauen. Warum das Michlstifit geschlossen wurde? Niemensch weiß es. Alle (!) vorgeschobenen Gründe stellten sich als glatte Lügen heraus. Zuletzt erstritt Recht auf Stadt vor Gericht die Herausgabe eines Gutachtens, worin eindeutig die Eignung des Michlstifts auch für die moderne Pflege bestätigt wurde. Fast zeitgleich zur Schließung öffnete das private Seniorenwohnzentrum Candis. Ein Geschäftsführer der Investorengruppe „Sontowski & Partner“, die das private Heim errichtete, wurde wegen Bestechung von Wolbergs zum Zwecke von mehr Einzelhandelsfläche auf dem Candisgelände verurteilt. Schon früh vermutete Recht auf Stadt auch bei der Schließung des Michlstift Bestechung. Denn wer schickt schon seine Oma in ein renditeorientiertes Heim, wenn es eine kommunale, nicht am Profit, sondern am Menschen orientierte Alternative gibt? Leider wurde offensichtlich in diese Richtung nicht ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte. Gegen Recht auf Stadt dagegen ging die Judikative sehr wohl vor und urteilte: Unterlassung nebst öffentlicher Gegendarstellung! Eine Zusammenfassung einer typischen, kapitalistischen Kommunalposse inklusive endlicher Einlösung des Urteilsspruchs.

Straßenseite des Pflegeheims Candis

Das Seniorenwohnzentrum Candis liegt direkt an der vielbefahrenen Straubinger Straße.

Seniorenwohnzentrum Candis contra Michlstift

Wie nicht anders zu erwarten, ist die Pflege in privaten Heimen in aller Regel schlechter als in kommunalen oder gemeinnützigen. Kein Wunder, denn Private müssen von dem eingenommenen Geld noch etliche Prozent an die Aktionäre der jeweiligen Investorengruppe abdrücken. Das tun sie mit großem Erfolg. In kaum einem Wirtschaftsbereich ist die Rendite für Kapitalanlegende so hoch wie in der kommerziellen Altenpflege. In nichtprivaten Heimen dagegen geht nahezu jeder Euro in die Pflege.

Allerdings ist es nicht leicht, den Unterschied privat-nichtprivat zu belegen. Zwar kontrollieren Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK) und Heimaufsicht (FQA) die Altenheime regelmäßig. Aber im Falle des MDK sind die Kontrollen derart lasch und lächerlich, dass die vom Dienst vergebenen Noten (jetzt „Punkte“) eher unverdiente Werbung denn eine Beurteilung darstellen. Auch die miesesten Einrichtungen bekommen Bestzensuren. Die Prüfberichte der Heimaufsicht dagegen sind geheim. Ja! Die Heime, in die wir unsere Omas und Opas schicken, sind eine Blackbox! Nur wenn ein Betreiber ausdrücklich zustimmt, darf der Prüfbericht veröffentlicht werden.

In Regensburg gibt es aktuell 21 Heime für die Altenpflege, wie das Seniorenamt der Stadt Regensburg aufführt. Von diesen 21 Heimen stimmten nur 2 (!) einer Veröffentlichung des letzten Prüfberichts zu, siehe „Aktuelle Prüfberichte der FQA“. Es ist klar, dass in den übrigen 19 Prüfberichten Dinge stehen, welche die Betreiber wohl eher nicht in der Öffentlichkeit diskutiert haben wollen.

Somit war es ein Glücksfall für die Transparenz (und die Alten!), dass das Seniorenwohnheim Candis 2016 einer Veröffentlichung seines Prüfberichts zustimmte. Wie nicht anders zu erwarten, konstatierte die Heimaufsicht in diesem Bericht, dass „von einer potentiellen Gefährdung der Bewohnerinnen und Bewohner auszugehen“ ist. Die Nachtschichten waren dramatisch unterbesetzt. Eine Pflegekraft für 47 Menschen!

Recht auf Stadt veröffentlichte das in einem Artikel, der eine kleine Welle losschlug. Es meldeten sich Pflegekräfte aus dem Candis, es sei alles noch viel schlimmer. Auch diese Interviews wurden von der Initiative bekannt gemacht.

Nun schaltete sich die überregionale Presse ein. Das Magazin „quer“ brachte einen ausführlichen und vernichtenden Beitrag. Daraufhin sah sich die Heimaufsicht, die bis dahin nahezu untätig geblieben war, offensichtlich genötigt zu handeln: Sie verhängte einen Aufnahmestopp über das Candis.

Der Aufnahmestopp wurde erst aufgehoben, als die Seniorenresidenz Schloss Thurn und Taxis geschlossen wurde, denn nun wurden dringend Plätze benötigt. Womit die letzte Lüge des korrupten Oberbürgermeisters Wolbergs die finale Bestätigung fand. Dieser hatte behauptet, es gäbe in Regensburg ein Überangebot an Heimplätzen. Deshalb sei es „völlig wahnsinnig“ und „völliges Harakiri“, so Wolbergs während einer Informationsveranstaltung zum Michlstift, wenn die Stadtverwaltung ein neues, kommunales Pflegeheim anstelle des Michlstift bauen würde.

Candis-Prozess

Nachdem der quer-Bericht ausgestrahlt worden war, verfasste Recht auf Stadt ein Flugblatt speziell gegen private Pflegeheime. Titel: „Wir alle sind verantwortlich!“. Bewohner*innen, Pflegekräfte und Angehörige wurden aufgefordert, schlechte Pflege wegen der Profitorientierung ihrer Heime nicht länger hinzunehmen.

Zur Illustration verwandte die Initiative aus dem quer-Bericht die Aussage einer Pflegekraft sowie einen Screenshot. Auf diesem war eine verschimmelte Zahnprothese zu sehen. Laut einer Pflegekraft die Folge gravierender Pflegemängel im Candis.

Aktivist*innen von Recht auf Stadt verteilten das Flugblatt am 29.04.2017 vor allen privaten Pflegeheimen Regensburgs. Als Reaktion reichte der damalige Betreiber des Seniorenwohnzentrums Candis, die BayernStift GmbH, eine einstweilige Verfügung ein. Die Initiative müsse alle Vorwürfe öffentlich zurücknehmen. Wohlgemerkt Vorwürfe, die durch den Prüfbericht der Heimaufsicht belegt sind sowie durch mehrere, unabhängige Aussagen von Pflegekräften. Außerdem wurden die Vorwürfe von der BR-Sendung „quer“ gegenrecherchiert. Und schließlich waren die Vorwürfe allgemein abgefasst und bezogen sich ausdrücklich auf alle privaten, gewinnorientierten Pflegeheime.

Doch die Richterin des Verfügungsverfahrens Frau Mühlbauer und die Richterin im Hauptsacheverfahren Frau Thaller focht das nicht an. Sie urteilten: Das Flugblatt müsse eingestampft werden, die Initiative habe eine Gegendarstellung zu veröffentlichen.

Die erstaunliche Begründung der Richterinnen: Die auf dem Flugblatt aufgeführten Pflegemissstände seien in der Gegenwartsform abgefasst. Recht auf Stadt könne aber nicht beweisen, dass die Missstände auch in der Gegenwart, das heißt wohl, während der zwei Stunden, in der die Initiative die Flugblätter verteilte, auch tatsächlich bestanden.

Gegenwartsform? Wir hatten beispielsweise geschrieben:

„Immer wieder werden schwere Missstände aufgedeckt: Eine Pflegekraft muss nachts bis zu 50 Seniorinnen betreuen, Betreuungskräfte werden als Pflegekräfte missbraucht (…)“

Vermutlich jedes Grundschulkind weiß intuitiv, „immer wieder werden“ ist keine normale Gegenwartsform. Der Duden spricht vom „generellen Präsens“. Das findet bei Vorgängen Anwendung, die sich wiederholen, also in der Vergangenheit (!) bereits mehrmals passierten und sich daher wahrscheinlich auch in der Zukunft wiederholen werden.

Im Gegensatz dazu steht das „aktuelle Präsens“, das für tatsächlich im Augenblick stattfindende Vorgänge steht. Also beispielsweise: Gerade in diesem Moment werden schwere Missstände aufgedeckt …

Aber was interessieren Richter*innen schon grammatikalische Feinheiten, wenn es um die Verteidigung eines unglaublich lukrativen Geschäftsmodell geht!

Doch welche Überraschung! Trotz des vermeintlichen Siegs verzichtete die BayernStift GmbH nach der Urteilsverkündung großzügig auf einen öffentlich bekanntzugebende Widerruf. Es ist ja auch zu peinlich:

  • Bis kurz vor der Flugblattverteilung ist die gefährliche Pflege im Candis wegen der Unterbesetzung in der Nachtschicht eindeutig belegt, im Zuge des Prozesses sogar per eidesstattlicher Erklärung einer Geschäftsführerin des BayernStift!

  • Nur knapp zwei/drei Monate nach der Flugblattverteilung waren die Pflegemängel im Candis so gravierend, dass die Heimaufsicht einen Aufnahmestopp verhängen musste.

  • Und ausgerechnet die paar Stunden, während die Aktivist*innen von Recht auf Stadt die Flugblätter verteilten, soll alles in bester Ordnung gewesen sein?

Investorenkarussel und neue Vorwürfe

Inzwischen hat sich das Investorenrad mehrmals gedreht. Der ursprüngliche Investor Sontowski & Partner verkaufte den Pflegeheimbetreiber BayernStift an den Pflegeheimbetreiber Charleston Holding, die damals dem schwedischen Privat-Equity-Fonds EQT gehörte. EQT wiederum verkaufte weiter an KOS, einem der größten Unternehmen im Bereich der Gesundheitswirtschaft in Italien. Das ist üblich in diesem Bereich. Denn das Geschäftsmodell von Privat-Equity-Fonds und ähnlichen Konstrukten besteht darin, Unternehmen zu kaufen, nach Kräften auszubeuten und nach einigen Jahren wieder mit Gewinn weiter zu verhökern. Es ist im Grunde unglaublich: Oma und Opa siechen dahin für die Rendite von Kapitalinvestoren!1.

Auch wenn Recht auf Stadt vor Gericht letztendlich verlor, hat sich die Sache doch gelohnt. Die Pflege im Candis und auch in den übrigen privaten Pflegeheimen dürfte sich zumindest vorübergehend verbessert haben. Die damalige Heimleiterin N. beispielsweise wurde vom Betreiber BayernStift freigestellt, da sie „nicht korrekt gearbeitet“ habe, so die Geschäftsführerin von BayernStift gegenüber der Regensburger Staatsanwaltschaft. Und selbst die notorisch investorenfreundliche Heimaufsicht (es sei daran erinnert, wie unverhohlen tendenziös der damalige Leiter der Heimaufsicht Gerth das kommunale Altenheim St. Michael wieder aller Fakten schlecht redete) musste tätig werden.

Leider scheint die Besserung nicht nachhaltig gewesen zu sein. Immer wieder treten Pflegekräfte an Recht auf Stadt heran. Sie könnten die Zuständen nicht länger mit ihrem Gewissen vereinbaren.

So berichtete uns eine Pflegekraft, die kurze Zeit als Leiharbeiter im Candis gearbeitet hatte, von Fälschungen des Dienstplans im Candis. Es gäbe einen offiziellen, der MDK und Heimaufsicht präsentiert werde. Darin seien alle Ruhezeiten und Personalschlüssel eingehalten. Daneben gebe es einen zweiten, handschriftlichen, der die wahren Zeiten enthalte. Als Beweis legte er uns Fotos der verschiedenen Pläne vor.

Offizieller Dienstplan für MDK und Heimaufsicht

Laut ehemaliger Pflegekraft der offizielle Dienstplan für MDK und Heimaufsicht.

Inoffizieller Dienstplan

Und dies der inoffizielle Dienstplan, der die tatsächliche Personaleinteilung enthält.

Wir erstatten Anzeige, unter anderem wegen Dokumentenfälschung. Staatsanwalt Soldan stellte das Verfahren ein. Es bestehe aus „tatsächlichen und rechtlichen Gründen kein hinreichender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage.“

Anfang des Jahres führte Recht auf Stadt ausführliche Interviews mit mehreren Pflegekräften aus dem Candis. Sie berichteten von haarsträubenden Zuständen im Bereich der Hygiene, der Essensversorgung, von gravierendem Personalmangel und extremer Personalfluktuation, ständigem Mangel an Inkontinenzmaterialien, manipulierten bzw. gefälschten Dienstplänen, Medikamentenmissbrauch, verschimmelten Zahnprothesen … Letztendlich die ganze Palette, die Recht auf Stadt auch in seinem Flugblatt aufgeführt hatte. Also alles wie gehabt?

Widerruf für 2 Stunden

Doch auch wenn im Seniorenwohnzentrum Candis nach jetzigem Kenntnisstand anscheinend wenig aus der öffentlichen Kritik gelernt wurde, so will Recht auf Stadt sich nicht lumpen lassen und endlich den verlangten Widerruf ablegen, auch wenn wir gar nicht müssten. Wir halten uns nämlich an Recht und Gesetz und Menschenrechte, sogar für Profitunternehmen und Gewinnmaximierer!

  • Wohlgemerkt: Der Widerruf bezieht sich nur auf die rund zwei Stunden „Gegenwart“ der Flugblattverteilung am 29.04.2017.
  • Und abermals wohlgemerkt: Die angesprochenen Fotos stammen tatsächlich aus dem Fernsehbeitrag des Magazins „quer“, Minute 02:28. Aber was ist schon die Realität gegen einen hochseriösen und unanzweifelbaren Richtspruch!

Hier also vorschriftsmäßig und vollständig der verlangte Widerruf aus dem Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17.12.2019 unter Richterin Thaller:

„Der Beklagte hat die unter Ziffer I. wiedergegebenen Behauptungen zu widerrufen, den Widerruf auf der Internetseite https://rechtaufstadt-regensburg.uetheater.de wie folgt in einer vom Gericht zu bestimmenden Größe und Aufmachung zu veröffentlichen und der Klägerin zu gestatten, den Widerruf in ihrem Seniorenheim „Candis” in Regensburg auszuhängen:

Am 29.04.2017 haben wir vor dem privaten Seniorenheim „Candis” Flugblätter verteilt, am 30.04.2017 hierüber unter der Rubrik „Flugblattaktion vor privaten Pflegeheimen” auf unserer Internetseite berichtet sowie das Flugblatt als pdf-Download zur Verfügung gestellt und zu seiner weiteren Verbreitung aufgefordert. In dem Flugblatt haben wir behauptet,

  • dass im Pflegeheim „Candis” eine Pflegekraft nachts bis zu 50 Seniorinnen betreuen muss,

  • Betreuungskräfte als Pflegekräfte missbraucht werden,

  • unruhige Bewohner Psychopharmaka bekommen, damit sie Ruhe geben,

  • die Dokumentation gefälscht wird,

  • Seniorinnen zu wenig zu Trinken erhalten und wegen Austrocknung ins Krankenhaus müssen,

  • es aus Kostengründen maximal zwei Inkontinenzeinlagen pro Tag gibt

  • und wegen Personalmangels alte Menschen tagein und tagaus beschäftigungslos herumsitzen und völlig vereinsamen.

Ferner haben wir eine Fotografie einer verunreinigten Zahnprothese veröffentlicht und behauptet, dass die Fotos aus einem Fernsehbeitrag über das Pflegeheim „Candis” stammten und eine Zahnprothese gezeigt werde, die im Mund schwarz wurde, weil die Zähne über zwei Wochen lang nicht gereinigt wurden.

Diese Behauptungen widerrufen wir hiermit als unwahr.“

Erledigt! Endlich ist unser Gewissen entlastet!

Zwar sind für davor und danach zahlreiche Pflegemissstände belegt, die sogar zu einem Aufnahmestopp führten, dem letzten Mittel vor einer Zwangsschließung.

Aber alles, was wir bezogen auf die zwei Stunden unserer Flugblattverteilung behaupteten, ist natürlich entsetzlich falsch! Selbstverfreilich war in diesen zwei Stunden alles in allerbester Ordnung und das Seniorenwohnzentrum Candis ein strahlendes Vorbild für Pflege schlechthin! Die Alten tanzten in den Gängen, die Pflegenden fielen sich in die Arme und dankten auf Knien ihrem Schicksal, das sie ins gelobte Candis führte. Danke, Hohes Gericht, dass Sie uns die Augen geöffnet haben!

 


1 „Das Kommerz-Karussell in der Altenpflege dreht sich immer schneller. Finanzinvestoren übernehmen Pflegeketten, pumpen diese durch Zukäufe und Neugründungen auf und verkaufen sie nach wenigen Jahren mit satten Renditen weiter. »Buy and Build« nennt sich diese Strategie. So hat es auch die schwedische Investmentgesellschaft EQT mit dem erst 2014 gegründeten Pflegeheimbetreiber Charleston gemacht. Binnen fünf Jahren vervielfachte dieser Umsatz und Beschäftigtenzahl. Mit 48 stationären Einrichtungen und fast 3.800 Betten liegt Charleston derzeit auf Platz 21 der großen Pflegeketten. Nun hat EQT das Unternehmen aufgespalten und weiterverkauft – die Häuser an den französischen Immobilienfonds Primonial, den Betrieb an den italienischen Gesundheitskonzern KOS. Bei Beschäftigten und Bewohner*innen führt dieses Pflege-Monopoly zu immer neuer Verunsicherung.“ https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/themen/privatisierung/++co++ef19d2b8-f4d1-11e9-835d-525400f67940

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