Kommunales Pflegeheim St. Michael:
Gutachten widerlegt Begründung der Stadtverwaltung zur Schließung des Michlstift

März 2015 erreichte die Bewohner:innen des kommunalen Pflegeheims St. Michael (Michlstift) die Hiobsbotschaft, ihr Heim werde in wenigen Monaten geschlossen. Das Entsetzen war groß, aber auch die Verwunderung. Hatte doch der damalige Oberbürgermeister Wolbergs im Wahlkampf “den Erhalt und den Ausbau von Pflegeeinrichtungen in städtischer Hand” (Wahlprogramm SPD) versprochen. Doch mit der Schließung wurden die kommunalen Plätze fast um die Hälfte reduziert. Inzwischen klagte Recht auf Stadt erfolgreich auf Herausgabe eines von der Verwaltung in Auftrag gegebenen Gutachtens über das ehemalige “Paradies” (Mittelbayerische Zeitung) für Senior:innen. Statt Antworten zu präsentieren lässt das Gutachten die Frage noch drängender erscheinen: Warum wurde das Michlstift geschlossen?

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Titelbild der Petition von 2015 gegen die Schließung des Michlstifts

Rückblick

Was wurde nicht alles gelogen, um die Schließung des Michlstifts und damit den Abbau von fast der Hälfte der kommunalen Pflegeplätze zu begründen! Hier eine kurze Zusammenfassung der angeblichen Gründe, wie sie die Stadtverwaltung unter anderem in ihrer Pressemitteilung vom 10.03.2015 angegeben hatte:

“Brandschutzvorgaben zwingen schon derzeit die Heimleitung, Pflegeplätze abzubauen.”

Die Allerweltsbegründung “Brandschutz” war bald widerlegt. Wolbergs selbst musste in einer Informationsveranstaltung Mai 2015 einräumen: „Da müsste man gar nicht so viel machen, man müsste im Wesentlichen Außentreppen anbringen.″ Kostenpunkt 120 000 bis 150 000 Euro. Diese Außentreppen betreffen übrigens nur einen Flügel, den vom Eingang aus gesehen linken Gebäudetrakt, der – jetzt wird es spannend! – ein Neubau ist aus den 80iger Jahren! Merken Sie sich bitte dieses Faktum für die Auswertung des Gutachtens unten.

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Wegen Bestechlichkeit verurteilter, ehemaliger Oberbürgermeister Wolbergs während der Informationsveranstaltung zur Schließung, Foto: Baumgärtner

“15 Mio. Euro müssten in die Sanierung des Bürgerstifts St. Michael investiert werden.”

Auch das war eine faustdicke Lüge. In die Kosten wurden unbekümmert sämtliche Posten eingerechnet, die bei jeder Art von Weiterbetrieb anfallen: Sanierung der denkmalgeschützten Kapelle beispielsweise oder die Auswechslung maroder Elektroleitungen.

“In Regensburg gibt es freie Kapazitäten in anderen Alten-und Pflegeheimen.”

Dies war immerhin nur zur Hälfte gelogen. Durch den zeitgleichen Bau des privaten Pflegeheims “Seniorenwohnzentrum Candis” war Regensburg zu der Zeit gut versorgt. Doch Recht auf Stadt ermittelte aus dem Pflegebedarfsplan der Stadtverwaltung, spätestens 2020 würden zusätzliche Plätze gebraucht. Und siehe da: Schon 2018, nach der Schließung der “Seniorenresidenz Schloss Thurn und Taxis”, war die Kacke am Dampfen. Wohin mit den Alten? Es gab nirgends freie Plätze! Gut, dass die Heimaufsicht unter dem Recht auf Stadt wohlbekannten Erfüllungsgehilfen Roland Gerth – der das Michlstift schlecht geredet hat wie kaum ein anderer – das zuvor wegen gravierender Pflegemängel mit Aufnahmestopp belegte, private Pflegeheim Candis wieder aufnehmen ließ.

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Roland Gerth, Heimaufsicht. Foto: Baumgärtner

“Vor diesem Hintergrund ist ein auch nur ansatzweise wirtschaftlicher Betrieb völlig ausgeschlossen.”

Das war schon damals gelogen. Denn es wurde suggeriert, durch die Konkurrenz der “freien Kapazitäten” sei das Michlstift nicht mehr ausgelastet und damit nicht mehr “wirtschaftlich”. Doch beide kommunalen Heime, Kumpfmühl und Michlstift, waren stets ausgebucht, das Michlstift war zu der Zeit sogar um ca. 20 Prozent überbelegt!

“Wir dürfen in diesem Gebäude aus Denkmalschutzgründen nicht einfach Zimmer herausreißen und größere Wohnbereiche einbauen, das dürfen wir nicht, das verbietet uns der Denkmalschutz”

So tönte der suspendierte und dann abgewählte Oberbürgermeister Wolbergs in der erwähnten “Informationsveranstaltung” Mai 2015. Recht auf Stadt rief daraufhin bei der Unteren Denkmalschutzbehörde an. Die Zuständigen Klaus Heilmeier und Eugen Trapp berichteten übereinstimmend und leicht verärgert, die Stadtverwaltung habe weder bezüglich Pflegeumbauten, noch wegen einer anderen Nutzung des Michlstifts mit der Behörde Kontakt aufgenommen! Und wie wir inzwischen aus dem umfassenden und unglaublich teuren Umbau des Michlstift zu einem “Kinderschutzhaus” wissen, spielen Geld und Denkmalschutz sowieso keine Rolle.

“Das Gebäude entspricht nur noch bedingt den Anforderungen einer zeitgemäßen Pflege.”

Auch das war bald widerlegt, stellte doch Recht auf Stadt fest, dass laut MDK die medizinische Pflege im Michlstift bessere Noten erhielt, als das moderne, kommunale Pflegeheim Kumpfmühl. Trotzdem hieß es in dem September 2015 herausgegebenen 16. Beteiligungsbericht der Stadtverwaltung:

“Nach Ansicht des Vermieters [Katholische Bruderhausstiftung] und der Politik erfüllt das Bürgerstift St. Michael die Anforderungen an den Betrieb eines Pflegeheimes baulich nicht mehr. Das im Jahr 2013 in Auftrag gegebene Gutachten an das Kuratorium für Altenhilfe trifft eine ähnliche Aussage.”

Wie berichtet hat Recht auf Stadt auf Herausgabe des Gutachtens geklagt und nach über drei Jahren endlich Recht bekommen. Das Gutachten liegt vor. Was steht nun darin?

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Die ebenfalls anwesende nunmehrige Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer sprach den ganzen Abend über kein einziges Wort. Foto: Baumgärtner

Gutachten zur Liegenschaft Bürgerstift St. Michael

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Das Gutachten (hier kann es heruntergeladen werden) spricht keineswegs davon, dass das Michlstift für die Altenpflege nicht geeignet sei. Im Gegenteil. An mehreren Stellen gehen die Gutachtenden auf das wunderschöne Gebäude und die vorteilhafte Lage ein.

“Das KDA [Kuratorium für Altenhilfe] war von dem denkmalgeschützten Gebäude in der Innenstadt von Regensburg sehr beeindruckt. Es verfügt über eine „schlossähnliche“ Anmutungsqualität.”

“Das Bürgerstift hat eine sehr schöne Lage am Rande der Altstadt von Regensburg. Die fußläufige Verbindung ins Zentrum ist relativ kurz. In unmittelbarer Nähe zum Bürgerstift liegen eine Schule, ein Kinderheim und ein Kindergarten. Der Haupteingang ist nach Westen orientiert; er liegt geschützt in einem dreiseitig geschlossenen Hof.”

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Das Areal des ehemaligen Pflegeheims Michlstift: Links oben der neu angebaute Flügel, in der Mitte der einzigartige Innenhof, auch der großzügige Garten rechts war Teil des Pflegeheims. Quelle: Google

Dann wird von den Gutachtenden ein Konzept für die Weiternutzung als Pflegeheim aufgestellt, insbesondere im Hinblick auf die Betreuung von Menschen “mit hohem Hilfe- und Pflegebedarf”:

“Das KDA hat dazu ein erstes Konzept entwickelt, welches sich wie folgt darstellt: Das KDA empfiehlt den Speisesaal aufzugeben und stattdessen ein Restaurant mit einem Quartierstreff einzurichten. Ebenso sollte der wunderbare Innenhof bei jedem Wetter, z. B. mit Wärmstrahlern, dauerhaft genutzt werden, auch für Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf. Alternativ könnten die verbleibenden 10 Einzelzimmer als eigener Wohnbereich gedacht werden, z. B. für Menschen im Wachkoma oder jüngere Menschen mit Handicaps.”

Nach dem Erdgeschoss wird auf die weiteren Stockwerke eingegangen.

“Aufbauend darauf könnten im 1., 2. und 3. Obergeschoss jeweils 24 BewohnerInnen in jeweils zwei Wohngruppen á 12 BewohnerInnen untergebracht werden. Aufgrund der Grundrissstruktur ist eine Organisation wie in einer Hausgemeinschaft nicht möglich. Das KDA würde eine solche Struktur nur dann empfehlen, wenn die Menschen tagsüber in die entsprechenden kleinen Wohnküchen auf den länglichen Fluren gebracht würden bzw. tagsüber das Restaurant im Erdgeschoss, den Quartierstreff oder den Innenhof nutzen können mit entsprechender pflegerischer Unterstützung. Dieses Konzept ist aufgrund der vielen Transfers und Wegezeiten, die die Pflegenden erbringen müssen, sehr zeitaufwendig und personalintensiv.”

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Innenansicht des Michlstifts kurz vor der endgültigen Schließung. Foto: RaS

Es soll hier nicht diskutiert werden, ob das angeblich so moderne Konzept einer “Hausgemeinschaft” grundsätzlich erstrebenswert ist. Denn dahinter verbirgt sich im Grunde eine ziemlich seelenlose Aufteilung nach dem Reißbrett, wo mehrere Zimmer direkt um eine “Wohnküche” gruppiert sind. Unseres Wissens wird dieses Konzept sowieso nur in einem Pflegeheim in Regensburg angewandt, im Bürgerstift Kumpfmühl. Trotzdem hat Kumpfmühl das “Flair” eines Krankenhauses.

Es sei aber darauf hingewiesen, dass offensichtlich nicht die “Grundrissstruktur” ansich, sondern der Umstand, dass für “Hausgemeinschaften” im Michlstift mehr Personal erforderlich gewesen wäre, den eigentlichen Hinderungsgrund darstellt.

Wir fassen also zusammen: Gebäude super! Lage super! Pflege auch für Menschen “mit hohem Hilfe- und Pflegebedarf” möglich.

Trotzdem kommen die Gutachtenden letztendlich zum Ergebnis, das vorgeschlagene Konzept sei nicht umsetzbar. Ja warum das denn?

“Das zuvor beschriebene Konzept ist aber nicht umsetzbar, da vom Eingang aus gesehen der linke Gebäudetrakt laut Brandschutzbegehung für Menschen mit hohem Hilfe- und Pflegebedarf langfristig nicht genutzt werden kann. Damit ist das beschriebene Konzept (…) obsolet. Die noch fachlich zu vertretende Gruppengröße von 12 BewohnerInnen pro eigene Organisationseinheit würde durch den Wegfall des linken Gebäudeflügels nicht mehr machbar sein. Aufgrund dieser Situation kommt das KDA leider zu dem Schluss, dass das Bürgerstift St. Michael sich für eine stationäre Wohnform nicht eignet.”

Bang! Nur die längst widerlegte Allerweltsbegründung Brandschutz ist der Grund! Nicht irgendwelche Pflegeanforderungen oder gar der Denkmalschutz! Wie auch, bei einem Neubau! Die Stadtverwaltung nebst ihrer Bürgermeister:innen hat also schon wieder gelogen!

Neoliberal oder korrupt?

Die Frage also bleibt weiterhin offen: Warum wurde das Michlstift geschlossen? Hier bieten sich zwei Antworten an.

Antwort 1: Korruption

Schon zu Beginn der Regensburger Korruptionsaffäre hatte Recht auf Stadt auf den verdächtigen Umstand hingewiesen, dass das Michlstift mit knapp 100 Plätzen geschlossen wurde, während zeitgleich ein neues, privates Pflegeheim im Candisviertel mit ebensovielen Plätzen öffnete. Inzwischen wurden viele der für die Schließung Verantwortlichen oder Profiteure davon wegen Bestechlichkeit oder Bestechung verurteilt: der ehemalige Oberbürgermeister Joachim Wolbergs, einer der Eigner und Entwickler des Candisviertels Ferdinand Schmack sowie ein Geschäftsführer des Immobilienkonzerns Sontowski & Partner, welcher den Bau des Seniorenwohnheims Candis finanzierte.

Recht auf Stadt fragte bei der Staatsanwaltschaft über die Bürger:innenplattform FragDenStaat nach, ob ihm Rahmen der Korruptionsaffäre auch in Richtung Candis und Schließung des Michlstift ermittelt wurde. Antwort: Keine Antwort, da

“am Strafverfahren unbeteiligte Privatperson nur dann Auskünfte aus den Akten erhalten, wenn diese ein berechtigtes Interesse darlegt. Ein solches ist aus dem bisherigen Vortrag nicht ersichtlich”.

Auf die Vorhaltung von Recht auf Stadt, dass es doch sehr wohl im berechtigten Interesse eines Bürgers liege, von Vorgängen, die dessen Versorgung mit Altenheimplätzen betreffen, zu erfahren, antwortete die Staatsanwaltschaft stoisch primitiv:

“Ein berechtigtes Interesse (…) für Ihr Auskunftsersuchen ist weiterhin nicht ersichtlich”.

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Das direkt an der vielbefahrenen Straubinger Str. gelegene, private Pflegeheim Candis. Foto: RaS

Antwort 2: Neoliberaler Glaubensakt

Doch vermutlich war Korruption nicht einmal notwendig, haben doch Stadtverwaltung und Bürgermeister:innen in der Vergangenheit fast schon lehrbuchartig gezeigt, dass ihr einziges Credo die neoliberale Zurichtung Regensburgs ist: Die Stadt ist danach nicht ein Ort zum Leben, sondern als Unternehmen zu betrachten, das sich rentieren muss.

Daher: Minderleistende wie Alte und Studierende raus aus der Altstadt, siehe Abriss oder Leerstand der Studierendenwohneime auf dem Keplerareal und Evangelisches Altersheim sowie Auflösung des Michlstift (und Seniorenresidenz Thurn und Taxis). Dafür Tourismus, AirBnB, Hotels, Gastronomie, Anlageimmobilien und “Events”, wie der potthässliche Brutalbau “Haus der Bayerischen Geschichte”, rein in die Altstadt. Das RKK kommt sicher auch irgendwann.

Da hilft nur eins: Die Stadtverwaltung muss komplett in Bürger:innenhand!

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Innenhof des Michlstifts vor Schließung. Quelle: ehemalige Homepage Pflegeheim St. Michael

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