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Logo Bürger*innenasyl RegensburgDie unten stehenden Fragen und Antworten wurden aus einem Vortrag der bekannten Passauer Rechtsanwältin für Migrationsrecht Petra Haubner zusammengestellt. Den sehr zu empfehlenden Videomitschnitt ihrer Ausführungen könnt ihr hier nachkucken: Ist Gastfreundschaft strafbar? Bürger*innenasyl – Ziviler Widerstand gegen Abschiebungen oder kriminelle Handlung?

Wenn ihr weitere Fragen zum Bürger*innenasyl habt, dann lasst uns diese wissen!

Was ist Bürger*innenasyl?

In mehreren Städten Deutschlands (Berlin, Göttingen, Hannover, Hildesheim. Osnabrück, Köln, Hanau, Nürnberg-Fürth, Freiburg, Hamburg, Kassel, Barnim) gibt es mittlerweile Initiativen für ein BA, die Geflüchtete vor Abschiebungen schützen möchten. Dabei geht es sowohl um Abschiebungen in die Herkunftsländer als auch um Dublin-Abschiebungen in andere EU-Staaten.

Bürgerinnen stellen dabei ihren privaten Wohnraum (oder andere Räume) zur Nutzung für die Geflüchteten zur Verfügung und kümmern sich auch um die Versorgung der Geflüchteten (Kleidung, Essen, soziale und kulturelle Kontakte, Spracherwerb, Rechtsberatung, medizinische Leistungen).

Bisher gibt es vor allem Aufrufe zur Gewährung von BA, laufende Fälle tatsächlicher Gewährung eines BA werden normalerweise nicht veröffentlicht. Pro Asyl teilt dazu mit, dass es nur von wenigen Fällen weiß, in denen Schutzsuchende kurzfristig in Obhut genommen wurden, Die meisten Fälle laufen wohl „unter dem Schirm“ – aus gutem Grund, siehe unten zur Frage Strafbarkeit.

BA gab es auch schon früher und vor diesen öffentlichen Initiativen. Bürger*innen haben immer wieder Geflüchtete mitgenommen und auf ihrer Wohnzimmercouch schlafen lassen, ohne großes politisches Drumherum.

Laut Pro Asyl stehen stille Hilfe und öffentliche Propagierung öfters im Widerspruch. Die Bewegung hoffe, dass man den zivilen Widerstand gemeinsam durchstehen oder sich mit vielen Unterstützer*innen gar unangreifbar machen könne.

Anders als im Kirchenasyl gibt es für das BA keine „sakrale Hemmschwelle“, d.h. der Staat sichert nicht zu, dass er nicht in die Privatwohnung eindringt und den Geflüchteten herausholt.

Pro Asyl sieht die Bezeichnung von BA als „zivilem Ungehorsam“ übrigens skeptisch, weil dies eine Grundeinstellung signalisiere (Wir sind gegen Abschiebungen!) und nicht betone, warum das BA in dem konkreten Einzelfall geboten und erforderlich ist – wie in der Regel beim Kirchenasyl argumentiert wird.

Warum brauchen wir Bürger*innenasyl?

Wir brauchen BA, weil der Rechtsstaat für Geflüchtete nicht funktioniert:

  • Das BAMF erlässt sehr viele Abschiebungsbescheide, die rechtswidrig sind.
  • Die Verwaltungsgerichte heben nicht alle rechtswidrigen Abschiebungsbescheide auf, weil sie den Sachverhalt oder die Rechtsfragen oder die höhere Rechtsprechung nicht ausreichend berücksichtigen.
  • Die Ausländerbehörden schieben ohne weitere Prüfungen ab, auch wenn Ansprüche auf eine Duldung oder Aufenthaltserlaubnis, z.B. aus familiären und humanitären Gründen bestehen, oder die Betroffenen gar nicht reisefähig sind.
  • Der Zugang zu Rechtsberatung und Rechtsschutz ist für die meisten Geflüchteten nicht vorhanden: Es mangelt überall an qualifizierter rechtlicher Beratung und Vertretung. Viele werden nur deshalb abgeschoben, weil sie keine gute Rechtsberatung/Rechtsanwält*in hatten – kann das sein? Der Mangel an professioneller und unabhängiger Rechtsberatung ist auch gewollt und wird ohne große Proteste hingenommen.

Wir brauchen BA, weil der Staat (und große Teile in der Bevölkerung) Geflüchtete in vielen Fällen nicht mehr als Menschen mit Menschenrechten ansieht, sondern nur noch als anonyme, amorphe Masse, die er loswerden möchte, ohne Blick auf die einzelnen Menschen und ihre Schicksale.

In welchen Fällen ist ein Bürger*innenasyl sinnvoll?

Ein BA kann sinnvoll sein,

  • bei drohenden Abschiebungen in Dublin-Verfahren, wenn es nur darum geht, den Ablauf der Überstellungsfrist „auszusitzen“, damit Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wird (bei einem Untertauchen sind das in der Regel 18 Monate ab Antwort des anderen Mitgliedstaates auf das Überstellungsersuchen – aber Achtung: Der genaue Fristablauf sollte nur nach Akteneinsicht und mit qualifizierter Beratung ermittelt werden!)
  • bei drohenden Abschiebungen in das Herkunftsland. Da hier aber keine Frist läuft/abläuft, braucht es eine Exit-Strategie: Was ist geplant? Weitere Verhandlungen mit dem BAMF? Folgeanträge/Rechtsmittel/Eilanträge? Einholung medizinischer Gutachten, z.B. zum Beleg der Reiseunfähigkeit? Vorbereitung einer Ausreise in ein anderes Land?
  • bei einer drohenden Sammelabschiebung, bei der der Termin bekannt ist (insbesondere Afghanistan), und die Betroffenen sich nur kurzfristig an einem sicheren Ort aufhalten müssen, um der Sammelabschiebung zu entgehen
Wie funktioniert ein Bürger*innenasyl?

Die BA-Initiativen verkünden in ihren Städten öffentlich, dass sie bereit sind, Schutz zu gewähren für Betroffene, die Schutz brauchen. Sie sind bereit, Geflüchtete aufzunehmen und sie notfalls vor dem polizeilichen Aufgriff und der Abschiebung zu schützen.

Die BA-Initiativen organisieren ein Netzwerk von Herbergsgeber*innen, in manchen Fällen auch von offiziellen Adressen. Außerdem benötigt man auch ein Netzwerk von Unterstützer*innen und Sponsor*innen. Ein BA kann sehr viel Geld kosten, vor allem, wenn neue ärztliche Gutachten eingeholt werden sollen.

Falls ein BA den Ausländerbehörden/der Polizei bekannt wird, kann über die Netzwerke auch Unterstützung zur Verhinderung eines polizeilichen Aufgriffs organisiert werden.

Für welchen Zeitraum kann Bürger*innenasyl gewährt werden?

In Dublin-Verfahren ist der Zeitraum wegen der Überstellungsfrist berechenbar und überschaubar. Bei drohenden Abschiebungen in die Herkunftsländer wird der Zeitraum davon abhängen, wann die Exit-Strategie greift.

Wie kann ein Bürger*innenasyl organisiert werden?

Nach dem Aufbau eines Netzwerks von Herbergsgeber*innen (mit jeweils konkreten Angaben zu Unterbringung/Dauer/Bereitschaft für sonstige Unterstützung) sollten diese sich regelmäßig treffen und austauschen (in einem geschützten Rahmen).

Nötig ist auch eine weitere Unterstützungsstruktur für Lebensmittel, soziale und kulturelle Kontakte, Sprachunterricht, medizinische Versorgung (Appell an die Ärzt*innen und andere medizinische Berufe zum Aufbau einer Sprechstunde für lllegalisierte in Regensburg).

Wenn ein BA benötigt wird, sollten im Rahmen einer Vorprüfung die Umstände des Einzelfalls, der mögliche Zeitraum, die evtl. Exitstrategie, Rechtsberatung- und Vertretung, erfasst werden, damit die Herbergsgeber*innen genau wissen, woran sie sind. Eile ist oft geboten, aber keine Spontaneität oder übereilte Handlungen – sonst gibt es keine verlässlichen Prognosen zu Dauer und Exit.

Außerdem sollte immer geprüft werden, ob nicht ein Kirchenasyl eine einfachere und bessere Lösung wäre.

Die Herbergsgeber*innen sollten auf keinen Fall alleingelassen werden. Sie benötigen dauerhafte Unterstützung, sonst kann die Situation sie leicht überfordern, insbesondere wenn das BA länger dauert bzw. länger als ursprünglich geplant und vorausgesehen.

Ist die Gewährung von Bürger*innenasyl strafbar?

Die politischen Reaktionen auf die Ankündigung von BA waren bisher überaus heftig. Horst Seehofer warnt Initiativen vor BA: Eigenmächtiges Handeln sei nicht akzeptabel. Ein BA ist im deutschen Recht nicht vorgesehen (auch das Kirchenasyl ist übrigens kein anerkanntes Rechtsinstitut, sondern wird nur aufgrund von Vereinbarungen zwischen den Kirchen und dem BAMF auf bestimmte Weise praktiziert). Das Bundesinnenministerium und die bayerischen Behörden werden eine Gleichstellung des BA mit dem Kirchenasyl nicht akzeptieren. Im Kirchenasyl soll es nur um einzelne besondere Härtefälle gehen, nicht um eine grundsätzliche Kritik ab der Abschiebungspraxis.

Geflüchtete, die den Ort ihrer Zuweisung (Anker oder Gemeinschaftsunterkunft) für mehr als 3 Tage verlassen, werden von den Ausländerbehörden als „unbekannt verzogen“ an das BAMF gemeldet und teilweise zur Fahndung ausgeschrieben, d.h. wenn sie polizeilich kontrolliert werden, findet sich die Fahndung im Datensystem und sie können sofort verhaftet und auch sofort in Abschiebungshaft genommen werden. Sie geltend als untergetaucht und flüchtig und machen sich strafbar wegen unerlaubten Aufenthaltes, § 95 AufenthG.

Bürger*innen, die diese Geflüchteten bei sich aufnehmen und verstecken, können sich wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt strafbar machen. Bisher gibt es dazu noch keine Ermittlungsverfahren oder Strafurteile – die Fälle werden ja in der Regel nicht bekannt.

Der öffentliche Aufruf zur Gewährung von BA wird teilweise noch als Recht auf freie Meinungsäußerung verstanden (z.B. in Niedersachsen). Es ist allerdings davon auszugehen, dass in Bayern ein Aufruf zur Gewährung von BA auch als Aufruf zur Begehung von rechtswidrigen Taten angesehen werden kann – und das ist ebenfalls eine Straftat, § 111 StGB: Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (öffentlich, in einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Schriften).

Fraglich ist, ob die Gewährung eines BA eine rechtswidrige Tat ist, also tatsächlich Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Wenn die Betroffenen noch über eine gültige Duldung verfügen, dann ist das lediglich Gastfreundschaft. In Bayern haben allerdings viele vollziehbar ausreisepflichtige Geflüchtete keine gültigen Duldungen mehr.

Die Unterzeichnung eines Aufrufs kann also strafrechtliche Konsequenzen haben. Je größer aber die Zahl der Unterstützer*innen, umso unwahrscheinlicher ist wohl die Einleitung von Ermittlungen, auszuschließen ist das Risiko aber nicht.

Gegen die Unterzeichner*innen des Aufrufs in Nürnberg (Ich werde von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen aus Afghanistan Bürgerasyl gewähren) wurde nach meinem Kenntnisstand bisher nicht ermittelt. Dabei handelt es sich aber auch nur um eine schlichte Ankündigung, nicht um einen Aufruf an andere.

In Bayern sind sogar Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gern. § 129 StGB denkbar, wenn ein BA-Netzwerk besteht. Diese Ermittlungen werden meistens eingestellt, können aber mit umfangreichen Maßnahmen (Durchsuchungen, Beschlagnahme, Kommunikationsüberwachung usw.) verbunden sein.

Auf Folgendes ist noch hinzuweisen: Wenn tatsächlich Ermittlungen gegen eine*n Herbergsgeber*in stattfinden, kann es zu folgenden Maßnahmen kommen:

  • Durchsuchung der Wohnung
  • Beschlagnahme aller Unterlagen und Geräte, die als ermittlungsrelevant angesehen werden, insbesondere Handys, Laptops, PCs
  • Auswertung der Unterlagen und Datenbestände, insbesondere auch in Bezug auf Nachrichten, Chats usw., die Aufschluss über die gesamte Gruppe, das gesamte Netzwerk geben können

Bei der Gewährung von BA ist also insbesondere auch auf den Schutz von Daten und der Kommunikation zu achten.

Können auch Städte und Kommunen Bürger*innenasyl gewähren?

Theoretisch ja, praktisch ist bislang kein einziger Fall bekannt, in dem Städte oder Gemeinden zu einem BA aufgerufen haben, ein BA gewährt oder unterstützt haben.

Wie politisch ist Bürger*innenasyl? Mit welchen Initiativen kann es verknüpft werden?

BA-Initiativen betrachten ihr Engagement oft als Akt des zivilen Ungehorsams gegenüber dem Staat, der Abschiebungen vollstrecken möchte, die aus ihrer Sicht nicht menschenwürdig sind, weil den Betroffenen Elend, Obdachlosigkeit, Gewalt, Zwangsprostitution, Haft, Verfolgung oder Krieg droht. Dabei kann es um Einzelfälle gehen, in denen eine Abschiebung als menschenunwürdig angesehen wird, aber auch um eine grundsätzliche politische Einstellung, die Abschiebungen im Allgemeinen ablehnt, unabhängig vom Einzelfall.

BA ist damit sowohl praktischer als auch symbolischer Widerstand gegen eine herrschende rassistische Ausgrenzungspolitik. Wer gibt dem Staat und der Bevölkerung das Recht zu entscheiden, wer hierbleiben darf oder nicht?

Die Initiativen tragen dazu bei, die staatliche Abschiebungspraxis unter konsequenter Beobachtung und Kritik zu halten, und auch die Verfahren, die vor einer Abschiebung stattfinden, kritisch zu hinterfragen. Die Initiativen tragen auch dazu bei, die Lebensbedingungen für Geflüchtete in den anderen Dublin-Staaten öffentlich zu machen und zu kritisieren und für die Abschaffung der Dublin-Verordnung und eine andere Verteilungspraxis für Geflüchtete einzutreten.

BA wirkt ergänzend zum Kirchenasyl und Schutzstrukturen in den migrantischen Communities. Die vorhandenen Kirchenasylplätze reichen nicht aus, um ausreichend Schutz zu gewähren – tatsächlich ist die Bereitschaft der Kirchengemeinden, Kirchenasyl zu gewähren, gesunken, seit der Staat zunehmend repressiv agiert, z.B. mit Verlängerungen der Dublin-Überstellungsfristen auf 18 Monate (statt 6) und Strafverfahren gegen die Geflüchtete und Pfarrer*innen.

Illegalisierte leben meistens bei Freund*innen, Bekannten, Verwandten, die ein erheblich größeres Risiko der Strafverfolgung haben. BA kann hier den migrantischen Communities eine größere Rückendeckung verschaffen.