Resümee 1. Leerstandsaktionstag:
Leben statt Leerstand!

Im Juli 2021 veranstalteten mehrere stadtpolitische Gruppen einen Leerstandsaktionstag. Vor verschiedenen ungenutzten Immobilien wurden tagsüber Kundgebungen abgehalten, um auf die unhaltbare Situation, Mangel an Wohn- und Kulturräumen auf der einen und leerstehende Gebäude auf der anderen Seite hinzuweisen. Abends versammelten sich alle Initiativen zu einer Abschlusskundgebung auf dem Kassiansplatz. Ein abschließender Bericht.

LeKu 1 Tanz

Schlusskundgebung aller Gruppen auf dem Kassiansplatz, Foto: Baumgärtner

Recht auf Stadt

Um das Augenmerk auch auf Leerstände außerhalb der Innenstadt zu lenken, stand Recht auf Stadt in der Donaustaufer Straße. Die Initiative suchte sich die Ecke zur Zimmerstraße aus, weil hier besonders viele leere Häuser mit Garten stehen, die ideal für Familien mit Kindern wären. Oft stehen diese schon Jahre leer. In der Regel werden sie irgendwann abgerissen und ein weiterer Neubau mit unbezahlbaren Eigentumswohnungen entsteht.

Vor Ort gab es diesbezüglich auch positive Begegnungen: Der Eigentümer eines von Recht auf Stadt gelisteten Leerstands erzählte den Aktivist*innen seine Geschichte. Er reißt das jahrelang leer stehende Haus nicht ab, sondern richtet es selbst wieder her. Renovieren vor Abriss! Nur so kann bezahlbarer Wohnraum erhalten bleiben.

Wichtig war der Gruppe, dass auch in den verstecktesten Ecken von Regensburg die Menschen mit den Themen Leerstand und Mietsteigerung und kapitalistische Interessen in Kontakt kommen. Vor jedem leerstehenden Haus wurden mit Kreide Hinweise gemalt, damit Nachbar*innen und Spaziergänger*innen aufmerksam wurden.

In ihrer Rede, die hier nachgelesen und nachgeguckt werden kann, nennt Recht auf Stadt die verschiedenen Leerstände:

“Falls sie es schon bemerkt haben, haben wir um unseren Infostand herum alle aktuellen Leerstände gekennzeichnet. Auch wenn sich gerade ein paar davon verändern, verändert sich an der Gesamtsituation leider nichts. Ob jetzt, wie die Nummern 1a und 3 in der Zimmerstraße, mit 210 in der Donaustaufer Straße – langjährig leer stehende Wohnräume, oder hier hinter uns die 198 oder in der Zimmerstraße 10, an denen entweder abgerissen wurde oder renoviert wird: Die Mieten werden weiter steigen. Was es unter anderem auch für Familien, Alleinerziehende oder andere schwer macht, Wohnraum oder auch noch bezahlbaren Wohnraum zu finden.”

LeKu 1 RaS

Recht auf Stadt in der Donaustauferstraße, Ecke Zimmerstraße

Sozialrevolutionäre Aktion

Der Beitrag der Sozialrevolutionären Aktion (SRA) zum Aktionstag war es, auf den Leerstand der ehemaligen Commerzbank am Neupfarrplatz aufmerksam zu machen. Der Öffentlichkeit soll gezeigt werden, was direkt vor deren Augen schief läuft.

Ein zu diesem Anlass eigens geschriebenes Straßentheater präsentiert eine vor kurzem durch Erbschaft, also leistungsfrei, zu Immobilienbesitz gekommene Eigentümer*in und einen Makler. Dieser rät der Erbin dringend von einer regulären Vermietung ab, denn ein jahrelanger Leerstand und schließlich ein Verkauf ohne lästige Mieter*innen werfe wesentlich mehr Profit ab. Auch eine Nutzung als Ferienwohnung sei sehr zu empfehlen.

Das Regionalfernsehen TVA filmte die Darstellung und interviewte einen der Darstellenden. Der Bericht kann hier nachgeguckt werden (ab Minute 1:08). Das Theaterstück hier.

In ihrer Rede “Wem gehört die Stadt?” geht SRA vor allem auf die Entwicklung der Stadt zum reinen Anlageobjekt ein:

“Das Ganze ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie ein paar wenige am längeren Hebel sitzen, weil sie Eigentum haben. An Grund, an Wohnraum, an Produktionsmitteln, z. B. eine oder mehrere Kneipen. Interessant ist dabei auch, dass Immobilien derzeit als Kapitalanlage schon fast Standard sind, für jeden, der auch nur ein bisschen Geld hat. So wird aus Geld noch mehr Geld, ohne, dass man viel dafür tun muss. Ob in den Häusern oder auf den Grundstücken dann jemand wohnt oder nicht, ist eher Nebensache. Solange Mieten und Grundstückspreise weiter steigen, ist Wohnraum eine sichere Investition. Denn Wohnen ist ein Grundbedürfnis und genau daran wird verdient!”

Sketch SRA

SRA mit ihrer Performance vor dem Leerstand ehemalige Commerzbank auf dem Neupfarrplatz, Foto: Baumgärtner

Resistenza Antifascista Ratisbona

Resistenza Antifascista Ratisbona (RAR) hielten ihre Kundgebung auf dem wohl bekanntesten und lehrreichsten Leerstandsgebiet in Regensburg ab, im Neubaugebiet “Das Dörnberg”. Die Gruppe freute sich über viele gute Gespräche, in denen die Passant*innen ausschließlich Zustimmung für die Aktion ausdrückten.

Kein Wundern, denn im Dörnbergviertel stehen weit über hundert Wohnungen leer, schlicht weil sie sich niemand leisten kann. Hier ist das Versagen der neoliberal gestrickten Regensburger Stadtverwaltung überdeutlich sichtbar. Was nutzt eine Baugenehmigung für hunderte neue Wohnungen, wenn sie sich durchschnittsverdienende Regensburger*innen nicht leisten können?

So hieß auch die Rede der Gruppe “Wer soll sich denn sowas leisten?”. Daraus ein kurzer Ausschnitt:

“In Regensburg geben Geringverdienende im Schnitt fast 40% des eh schon mickrigen Gehalts für die Miete aus. Was bleibt da noch für Freizeit, Hobbys oder einen Urlaub? Auch für Studierende verschlechtert sich die Lage immer weiter. Es war vor nicht allzu langer Zeit mal normal, für unter 200 Euro ein Zimmer zu kriegen. Und heute? Brauchst du unter 350 Euro eigentlich nicht anfangen zu suchen. Deswegen schlafen zu jedem Semesteranfang Dutzende Student:innen im Matratzenlagern, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden und sich auf ein Zimmer locker mal 30 Leute bewerben.”

RAR LeKu

RAR mit ihrem Pavillon auf dem Dörnbergforum, Foto: Baumgärtner

Aufbruch

Die Gruppe Aufbruch hielt ihre Kundgebung vor dem seit vielen Jahren leerstehenden, ehemaligen Kino Gloria ab. Sie schlägt vor, daraus ein selbstverwaltetes Jugendzentrum zu machen. Auf dem Viereimerplatz vor dem Gloria lebten sie schon mal vor, wie das in der Realität ausschauen könnte. Bequeme Stühle und Sitzkissen wurden aufgestellt, Pflanzen, ein Beratungstisch, Gitarren standen herum. Und davor war ein großes Plakat aufgestellt: “Willkommen im selbstverwaltetes Jugendzentrum”. Alles war bunt, einladend und mit Leben erfüllt – im krassen Widerspruch zu der inzwischen sehr runtergekommenen und trostlosen Fassade des ehemaligen Kinos.

In einer ersten Rede ging die Gruppe auf die allgemeine Situation für Menschen ein, die nicht zu der wohl begüterten Schicht zählen:

“Generell wird Regensburg immer mehr zu einer Stadt für Reiche und Touris umgebaut. Wir sehen es an jeder Ecke, ob Betretungsverbote auf den Grünflächen, Alkoholverbote überall. Pech für die, die sich eben kein Bier für 3,50 in der Bar leisten können. Früher kleine Läden, jetzt säumen Coffee Fellows, teure Restaurants und Banken den Neupfarrplatz, nachts gut geschützt von einem absurden Polizeiaufgebot.”

In ihrer zweiten Rede schilderte die Gruppe detailliert die Möglichkeiten, die eine Nutzung des Gloria eröffnen würde:

“Der Hauptraum könnte als Gemeinschaftsraum dienen, indem die Jugendlichen gemeinsam Zeit verbringen und sich mit Dingen beschäftigen, die sie interessieren. Die Bühne könnte als eine Art Kreativraum genutzt werden. Im 1. Stock könnte mit bereits bestehenden Anschlüssen eine Küche in die Teeküche eingebaut werden und die leerstehenden Zimmer könnten zu Schlafsälen oder Schlafzimmern umfunktioniert werden. Die Jugendlichen könnten ihre Gemeinschaft selbst verwalten mit der tragenden Unterstützung von Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen. Dieses Projekt könnte von gegenseitiger Unterstützung leben, von Solidarität und Mitgefühl. Es könnte junge Menschen zusammen bringen, die die Chance haben sollten, sich aus ungesunden Verhältnissen zu lösen. Das ehemalige Gloriakino könnte ein Ort werden, zu dem Menschen gerne gehen, weil sie wissen, dass ihnen dort jemand zuhört. Es könnte ein vorüber gehendes zu Hause werden, ein Ort der Ruhe aber auch ein Ort der Spannung.”

Aufbruch

Aufbruch mit ihrem improvisierten, selbstorganisierten Jugenzentrum vor dem Leerstand Gloriakino, Foto: Baumgärtner

ueTheater

Das freie Schauspielensemble ueTheater hielt seine Kundgebung vor der über 30 Jahre leer stehenden, ehemaligen Ausflugsgaststätte “Pürkelgut” in der Landshuter Straße 107 ab. Vor einigen Jahren versuchte eine Initiative aus Obdachlosen und Aktivist*innen die Räumlichkeiten wieder etwas herzurichten. Säckeweise wurde Abfall und Schutt weggeräumt, Pensionszimmer wurden wieder bewohnbar gemacht.

Doch diese Aktivitäten gefielen der Eigentümer*in, der RMI Immobilien aus Pfarrkirchen nicht. Sie ließ polizeilich räumen und gab die durchaus noch gut erhaltene Gebäude dem weiteren Verfall preis.

In ihrer Rede ging die politische Theatergruppe darauf ein, wer eigentlich hier im Recht steht und wer Unrecht tut:

“Eigentum verpflichtet! Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen”. So steht es im Grundgesetz. Wird hier nach dem Grundgesetz gehandelt? Nein! Boden ist ein knappes Gut. Er ist endlich, er kann nicht vermehrt werden. Wer Boden hat, aber die Allgemeinheit ausschließt, verstößt gegen das Grundgesetz.

Leider geht es in diesem Staat nicht nach dem Grundgesetz, sondern nach dem Recht des Stärkeren, nach Profit und Geld, nach den völlig irrationalen Regeln der kapitalistischen Wirtschaftsform. Nur in diesem irrationalen und menschenfeindlichen System macht es Sinn, Häuser und Boden leer stehen zu lassen. Denn in einer Boomtown wie Regensburg kann nach wenigen Jahren die Fläche mit sattem Gewinn weiter verkauft werden, ohne Mühe, ohne Arbeit, ohne die geringste Investition.

So darf es nicht weitergehen. Wohnen ist ein Menschenrecht. Wir dürfen Leerstand und Gewinnmacherei nicht länger akzeptieren. Es ist unser Gemeinwesen, unsere Kommune. Wenn Leerstand nicht genutzt wird, muss er enteignet werden! Wir haben jedes Recht der Welt dazu!”

LeKu Puerkelgut

Das ueTheater vor dem Leerstand “Gaststätte Pürkelgut”

Abschlusskundgebung

Abends trafen sich alle Gruppen zu einer gemeinsamen Abschlusskundgebung auf dem Kassiansplatz. Dort wurden noch einmal alle Reden gehalten. Die Theatergruppe Straßenbande zeigte ihr wohnungspolitisches Stück “Irgendwann (be)trifft es uns Alle!”. Darin heißt es:

“Mieter*in: Dem freien Markt haben sie‘s überlassen. Und wie der Markt die Mieten regelt spüren wir ja jetzt.

Damals, ja … Da haben wir eine günstige 4 Zimmer Wohnung gehabt. Und nach dem Verkauf hat‘s net lang gedauert: Da wurde uns die Miete erhöht. Aber saftig. Und kurze Zeit später nochmal. Damals warn die Kinder noch kleiner und ich konnte nicht arbeiten gehen. Mein*e Mann*Frau konnte das mit ihrem*seinem Lohn nicht mehr bezahlen.

Und jetzt sitzen wir da, 5 qm weniger, neben den Fabriken. Toll! Und weit und breit nix für die Kinder! Der Bus fährt auch nicht so oft und auch noch Zone 2!

Dabei würde es so tolle Quartiersmodelle geben: Stadt der kurzen Wege. Da habe ich erst vor kurzem eine Doku dazu gesehen. Stellen Sie sich das vor: Alles vor Ort; Arbeit, Kinderbetreuung, Lebensmittelversorgung und Ärzte … Alles fußläufig erreichbar. Da könnten wir uns schon mal das Auto sparen.”

LeKu 1 Strassenbande

Die Straßenbande schlägt den Mithai in die Flucht, Foto: Baumgärtner

Das ueTheater präsentierte zum Abschluss ein leicht verändertes Lied von Bertolt Brecht. Statt “Resolution der Kommunard*innen” hieß dessen Interpretation “Tanz der Kommunard*innen”. Gemäß der Anarchistin Emma Goldmann, die sinngemäß sagte: ‘Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution’ wurden alle Anwesenden zum Tanz aufgefordert. Schließlich war der ganze Kassiansplatz mit einer wurlenden Menge erfüllt. Ein wunderschöner Anblick! Speziell eine Strophe stieß auf breite Zustimmung:

In Erwägung, daß da Häuser leer stehen
Während ihr uns ohne Bleibe laßt
Haben wir beschlossen, jetzt dort einzuziehen
Weil es uns in unsern Löchern nicht mehr paßt.

Das Wort “leer” wurde vom ueTheater ergänzt. Sehr zufrieden mit dem Aktionstag beschlossen alle teilnehmenden Gruppen, weitere Leerstandskundgebungen zu veranstalten, bis sich in Regensburg endlich etwas ändert.

LeKu 1 ueTheater

Abschlusstanz des ueTheaters

Kommentar abgeben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert