Rede der Gruppe Aufbruch am 1. Leerstandsaktionstag:
“Es ist ein Armutszeugnis, dass ganze Häuser verfallen, weil sie wirtschaftlich unrentabel sind.”

Aufbruch

Die Gruppe Aufbruch lebte mit einem improvisierten Jugendzentrum auf der Straße vor, was mit dem Leerstand Gloriakino gemacht werden sollte (Foto: Herbert Baumgärtner)

1te Rede

Leerstände, wie das Gloriakino, vor dem wir hier gerade stehen, gibt es hunderte in Regensburg. Dutzende gewerbliche Räume wie z.B. in der Maximilianstraße 2a, 6 und 9a, oder auch welche, hier gleich um die Ecke am Kassiansplatz 4a und 5, am Neupfarrplatz 4, stehen leer, die Liste ist endlos. Bei Wohnräumen sieht es noch übler aus. Von Unterisling bis in die Konradsiedlung, von Großprüfening bis nach Tegernheim. Regensburg ist von einem Netz aus Leerständen überzogen. Gleichzeitig leben viele Menschen auf der Straße oder suchen vergeblich nach bezahlbarem Wohnraum.

Dafür wird inmitten der Stadt ein neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft – das Dörnberg. 14 Euro kostet hier der Quadratmeter, für normalverdienende Menschen oder Familien unbezahlbar. Aber ein solches Klientel ist hier auch nicht erwünscht. In die schnieken, weißen Neubauten soll nur der kleine Teil der Gesellschaft leben, der sich die durch fehlenden Wohnraum nach oben gedrückten Preise noch leisten kann. Generell wird Regensburg immer mehr zu einer Stadt für Reiche und Touris umgebaut. Wir sehen es an jeder Ecke, ob Betretungsverbote auf den Grünflächen, Alkoholverbote überall. Pech für die, die sich eben kein Bier für 3,50 in der Bar leisten können. Früher kleine Läden, jetzt säumen Coffee Fellows, teure Restaurants und Banken den Neupfarrplatz, nachts gut geschützt von einem absurden Polizeiaufgebot.

Alternatives und Subkulturelles wird verdrängt, Jugendliche und junge Menschen suchen nach Wohnraum, während nicht nur in Regensburg die Mieten immmer mehr steigen. München bleibt als Exempel für unbezahlbaren Wohnraum, in Berlin wird der Mietendeckel gekippt.

Soziale Verdrängung, sprich Gentrifizerung, oft unter dem Vorwand der Modernisierung, ist überall auf dem Vormarsch. Die Verdrängung oder Vertreibung sozial/finanziell schwächer gestellter Mieter_innen an zumeist dezentrale oder investitionsunfreundliche Orte wird dabei nicht nur in Kauf genommen, sondern ist wesentliches Merkmal von Gentrifizierung.

Die ansteigende Wohnungs- und Treffpunktlosigkeit von benachteiligten Gruppen wird von den städtischen Regierungen im Konkurrenzkampf mit anderen Städten größtenteils nicht aufgefangen, “[d]ie auf Meistbietende und Wohlhabende ausgerichtete Immobilienpolitik der unternehmerischen Stadt wirkt sich direkt auf die Mieter[_innen] aus.” (BUKO 2009). Um möglichst viel Gewinn aus einer Wohnimmobilie zu schlagen, können die Eigentümer_innen Mietwohnungen beispielsweise in Eigentumswohnungen umwandeln oder einfach direkt als Ferienwohnungen teuer weiter vermieten.

In den meisten Städten, so auch in Regensburg, passiert gegen diese Entwicklung gar nichts. Sie ist von der Stadtverwaltung, größtenteils erwünscht um Hand in Hand mit Immobilienhaien Kohle zu scheffeln. So wurde der letzte Oberbürgermeister Wolbergs vor guten 3 Jahren wegen Spendenaffären über immobilienkonzerne suspendiert, der letzte CSU-Bürgermeisterkandidat wurde erst Mai diesen Jahres wegen ähnlichen vorwürfen verurteilt und und und …

Auch die offizielle Stadtpolitik jetzt sieht nicht besser aus: Zwar gibt es seit 2019 endlich eine Zweckentfremdungssatzung, diese schließt aber bestehende Leerstände nicht ein und lässt dutzende Hintertüren offen, so dass es praktisch unmöglich bleibt auf rechtlichem Wege gegen Leerstände vorzugehen.

Die Stadtverwaltung hat kein Interesse daran, die Stadt bewohnbar zu halten oder uns Freiräume zu gewähren. Das bedeutet, wir müssen sie uns nehmen! Wie hier vor dem Gloriakino wollen wir heute zeigen, was sein kann wenn wir uns nehmen, was uns gehört!

2te Rede

Menschen sind gemeinschaftliche Wesen. Wir fühlen uns wohl, wenn wir eine Gruppe um uns herum haben, die uns bestärkt, uns gut fühlen lässt, und die uns für die Eigenschaften liebt, die uns am allermeisten an uns selbst stören.

In der Kindheit sollte im besten Fall die Familie eine Gemeinschaft darstellen, in der junge Menschen, die die unterschiedlichsten Lernprozesse durchmachen, ein geschütztes Umfeld finden. Wenn Kinder irgendwann zu jungen Erwachsenen werden, und sich gedanklich neu orientieren, kann ihnen die Familie eine Stütze sein. Kinder haben Flügel und sollten in die Welt fliegen können, aber immer wissen, dass sie in ihr zu Hause zurückkehren können. An Kindern sieht man, wie unschuldig und auch friedfertig Menschen sein können. Doch wenn Kinder schon von früher Kindheit an in Verhältnissen aufwachsen, in denen sie mit Dingen konfrontiert werden, die ihnen nicht gut tun, dann wird die eigentlich schützende Atmosphäre der Familie zu einer Qual. Wenn Kinder mit den Problemen der Eltern zu früh konfrontiert werden, dann erschwert das ein ausgeglichenes Heranwachsen. Doch welchen Raum räumt man Jugendlichen ein, die sich gerne von ungesunden Verhältnissen lösen wollen, weil sie sie erkannt haben? Welche Hilfe können sich junge Erwachsene holen, wenn ihre Erziehungsberechtigten nicht mehr sind, als Erziehungsberechtigte?

Aus dem Gefühl der Hilflosigkeit kann man als junger Mensch nur schwer entfliehen, vor allem dann, wenn man durch gesetzliche Vorlagen an die Familie gebunden ist. Wenn man nicht weiß, wo man hingehen kann, wenn man nicht weiß, wo man einen sicheren Raum findet, dann fühlt man sich schnell perspektivenlos. Es gibt gute Hilfsangebote, doch oft kostet es große Überwindung sich an solche Angebote zu wenden, denn die Angst stigmatisiert zu werden ist groß. Oft wissen viele junge Leute auch nicht, an wen sie sich konkret wenden können und man wartet selbst auf einen Termin bei Psycholog*innen Monate lang, wenn man kein akuter Fall ist. Doch viele Menschen haben das Bedürfnis zu reden.

Wir dachten uns, warum nicht eine zugängliche Perspektive erschaffen? Warum nicht versuchen, einen schonenden Weg zu finden, jungen Erwachsenen einen geschützten Raum zu geben. Einen Raum, in dem sie durch Unterstützung und Eigenverantwortung eine Gemeinschaft aufbauen können, die ihnen Sicherheit und Schutz bietet. Die es ihnen ermöglicht, nicht von ihrem Alltag erdrückt zu werden und sie sich so mit viel tiefgreifenderen Fragen über das Leben beschäftigen können?

Darum haben wir uns das ehemalige Gloriakino genauer angeschaut. Diese Räumlichkeiten stehen seit geraumer Zeit leer, obwohl sie optimal genutzt werden könnten. Sie verfallen mit der Zeit, ungenutzt, und Raum der leer steht verfällt ohne Sinn. Man könnte diesen Räumen einen neuen Sinn geben. Wir sollten den Geist der Zeit treffen und bereits bestehende Ressourcen schonend nutzen und sie umgestalten. Es ist ein Armutszeugnis, dass ganze Häuser verfallen, weil sie wirtschaftlich unrentabel sind.

Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich ein Hauptraum mit einer Bühne. Über eine Treppe gelangt man in den 1. Stock, indem sich eine Art Galerie befindet. Über einen Flur führt diese Galerie zu vier bis fünf Zimmern. In einem davon findet sich eine Teeküche.

Der Hauptraum könnte als Gemeinschaftsraum dienen, indem die Jugendlichen gemeinsam Zeit verbringen und sich mit Dingen beschäftigen, die sie interessieren. Die Bühne könnte als eine Art Kreativraum genutzt werden. Im 1. Stock könnte mit bereits bestehenden Anschlüssen eine Küche in die Teeküche eingebaut werden und die leerstehenden Zimmer könnten zu Schlafsälen oder Schlafzimmern umfunktioniert werden. Die Jugendlichen könnten ihre Gemeinschaft selbst verwalten mit der tragenden Unterstützung von Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen. Dieses Projekt könnte von gegenseitiger Unterstützung leben, von Solidarität und Mitgefühl. Es könnte junge Menschen zusammen bringen, die die Chance haben sollten, sich aus ungesunden Verhältnissen zu lösen. Das ehemalige Gloriakino könnte ein Ort werden, zu dem Menschen gerne gehen, weil sie wissen, dass ihnen dort jemand zuhört. Es könnte ein vorüber gehendes zu Hause werden, ein Ort der Ruhe aber auch ein Ort der Spannung.

Ich rede viel vom „könnte“. Lasst uns unsere Stimme nutzen, lasst uns darauf aufmerksam machen, was von der Politik seit Jahrzehnten ignoriert wird und aus dem „könnte“ ein kann machen. Unsere Visionen sollten nicht länger überhört werden, weil sie ein Ziel verfolgen: Das Ziel Menschen einen Raum in dieser Welt zu geben.

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