Rede von Recht auf Stadt am 3. Leerstandsaktionstag:
“Für arme Menschen gibt es keinen Rechtsstaat”

Rede LeKu3 RaS 1

Recht-auf-Stadt-Aktivist Kurt Raster erzählt die Geschichte seiner Zwangsräumung

Hallo! Ich bin der Kurt von Recht auf Stadt.

In Regensburg werden pro Jahr im Schnitt über 100 Wohnungen zwangsgeräumt. Vor fast genau einem Jahr, am 25.01.2021 wurde auch ich zwangsgeräumt.

Ich möchte die Geschichte meiner Zwangsräumung, die mich ganz nahe an die Obdachlosigkeit heranführte, in groben Zügen erzählen. Meine Geschichte ist in keinster Weise außergewöhnlich. Sie ist eine allzualltägliche Geschichte, die, wie gesagt, fast jeden dritten Tag in Regensburg so oder so ähnlich abläuft.

Kurz die Vorgeschichte. 1986 zog ich im Kasernenviertel in eine Sozialwohnung. Rund 125 DM für 46 qm. Wie soviele Sozialwohnungen in Regensburg wurde auch meine nach einiger Zeit privatisiert. Zuerst wurde meine Wohnung an die Heuschrecke Annington, heute Vonovia, veräußert, welche wiederum zur Gewinngenerierung an Kleinanlegende weiterverkaufte.

Nach der Privatisierung hat sich meine Miete verdreifacht. Trotzdem, als Bestandsmieter hatte ich immer noch eine vergleichsweise günstige Miete, da die “armen” Vermieter*innen nur alle drei Jahre die Miete um 20 %, später 15 % erhöhen durften.

Das war dem Kleinanlegerpärchen, meine nunmehrigen Eigentümer, offensichtlich zu wenig. Insgesamt fünfmal wurde ich von ihnen verklagt und vor Gericht gezerrt, bis sie mich endlich draußen hatten.

Der Grund für die Klagen: Ich kenne mich mittlerweile gut mit dem Mietrecht aus und das ist ein Fehler. Nur wenn du widerspruchslos schluckst, hast du eine Chance, deine Wohnung zu behalten. Denn, das ist das Entscheidende, Richter*innen sind in aller Regel keine Mietenden. Sie stehen auf der Seite der Eigentümer*innen, weil sie in aller Regel selbst Eigentum haben. Nebenbei: Auch Rechtsanwälte haben oft wenig Empathie mit armen Mieter*innen, da sie an denen maximal per Prozesskostenhilfe verdienen.

Ich wurde beispielsweise von Richter Dr. Lohmann verurteilt, Miete für eine Heizung zu bezahlen, die gar nicht da war. Plus 9 % für nichts! Ich wurde von Richter Schulz verurteilt, eine ohne Begründung um 80 % erhöhte Wasserrechnung zu bezahlen. Ich wurde schließlich von Richterin Aigner-Sahin zwangsgeräumt, obwohl die Eigentümer*innen Prozessbetrug begingen, indem sie eine manipulierte Rechnung einreichten, um angebliche Modernisierungskosten nachträglich von mir verlangen zu können. Meine Berufung wurde abgelehnt. Auch meine Anzeige wegen Prozessbetrug wurden eingestellt. Obwohl die gefälschte Rechnung sogar gerichtsfest nachgewiesen wurde – was allerdings nichts an der Solidarität von Richterin Aigner-Sahin mit den Eigentümer*innen änderte –, behauptete Staatsanwalt Voit: Es lägen keine Anhaltspunkte für eine Straftat vor.

Für arme Menschen gibt es keinen Rechtsstaat.

Wenn du von einer Zwangsräumung bedroht bist, kommt eine Vertretung der Stadt zu dir, und fragt dich, wie sie dir helfen könne. Ich sagte, ich brauche einen guten, engagierten Rechtsbeistand. Wenn ich zu meinem Recht komme, dann werde ich nicht zwangsgeräumt. Aber davon wollte die Vertretung nichts hören. Ich könne stattdessen eine Liste von Adressen verschiedener Wohnungsunternehmen von ihr bekommen. Danke! Googeln kann ich auch.

Beim Sozialamt habe ich mich später erkundigt, was passiert, wenn ich zwangsgeräumt werde. Bekomme ich dann eine Notwohnung oder wenigstens ein Notzimmer? Natürlich nicht! Einzelpersonen haben in Regensburg keinen Anspruch auf eigene Bleibe. Zwangsgeräumte ab in die Sammelunterkunft!

Für arme Menschen gibt es keinen Sozialstaat.

Ich habe natürlich alles versucht, die drohende Zwangsräumung abzuwenden, per Atteste, per Räumungsschutzantrag wegen Härtefall, per Schreiben an den bayerischen Gesundheitsminister Holetschek und Ministerpräsident Söder, per Petition an alle Ministerpräsident*innen aller Bundesländer: Keine Zwangsräumung während Corona! Vielleicht erinnert ihr euch, genau vor einem Jahr, genau zum Termin meiner anberaumten Zwangsräumung, herrschte ein verschärfter Lockdown in Deutschland. Ausgangssperre. Du durftest nur eine zweite Person, die nicht aus deinem Haushalt war, treffen. Es gab noch keinen Impfstoff.

Ich schrieb den Verantwortlichen nicht wörtlich, aber inhaltlich, seid ihr wahnsinnig? Wie könnt ihr in diesen Zeiten eine Zwangsräumung anberaumen? Ich bin nicht mehr der Jüngste, durch allergiebedingtes Asthma zudem Risikogruppe. Aber selbst ein Attest, dass ich durch die Räumung massiv selbstmordgefährdet sei, änderte nichts. Die Begründung der Verantwortlichen: Für die Sicherheit und Gesundheit der an der Zwangsräumung beteiligten Beamten, Gerichtsvollzieher, Polizei, sei gesorgt. Was für ein Zynismus!

Für arme Menschen gibt es keine Gnade.

Am 19.01, dem festgesetzten Tag meiner Zwangsräumung, meldeten solidarische Menschen eine Kundgebung vor meinem Haus an. Presse und Öffentlichkeit waren eingeladen. Und siehe da, plötzlich spielte meine Suizidgefährdung doch noch eine Rolle. Das Vollstreckungsgericht, das heißt wirklich so, setzte vormittags um 11 Uhr meine für 14 Uhr festgelegte Zwangsräumung aus. Jubel! Aber: Schon am nächsten Tag bekam ich ein Schreiben: Ich müsse umgehend beim Bezirksklinikum ein psychiatrisches Gutachten einholen. Falls sich meine Suizidgefährdung bestätige, werde die Einweisung empfohlen.

Zwangsräumung oder Einweisung in die Psychiatrie? Ich zog die Zwangsräumung vor. Am 25.01.2021 gab ich über meinen Rechtsanwalt die Schlüssel für die Wohnung ab, in der ich 35 Jahre wohnte.

Wie gesagt, meine Geschichte ist nur eine x-beliebige Geschichte, wie sie so oder so ähnlich über 100 mal in Regensburg pro Jahr passiert. Über 100 mal verlieren Menschen ihre Heimat, während Eigentümer*innen nach belieben ihre Häuser leer stehen lassen können. Zwar könnte die Stadtverwaltung mit der sogenannten Zweckentfremdungssatzung gegen Leerstand vorgehen und ein Bußgeld von bis zu 500 000 Euro verhängen. Tut sie aber nicht. Für Eigentümer*innen drückt die Stadtverwaltung freundlicherweise alle Augen zu.

Für arme Menschen gibt es keine Freundlichkeit.


Hintergrundinfo zur beschriebenen Zwangsräumung

Trotz Prozessbetrug der Eigentümer: Richterin verhängt Räumung
Bedenkliche Rechtspraxis bei Mietrechtsangelegenheiten I
Bedenkliche Rechtspraxis bei Mietrechtsangelegenheiten II
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Videomitschnitt der Rede

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