Verdrängung in Regensburg:
Zwangsräumung oder Zwangspsychiatrisierung?

Wenige Stunden vor dem Termin kam sie doch noch, die erlösende Nachricht, die für den 19.01.2021 anberaumte Zwangsräumung sei ausgesetzt. Doch was zunächst bejubelt wurde, entpuppte sich bald als mächtiger Pferdefuß: Denn dem Mieter blieb nur die Wahl zwischen Räumung oder Psychiatrisierung.

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Foto: Herbert Baumgärtner

Das Attest findet sich doch noch …

Wie berichtet wurde am Freitag vor dem Zwangsräumungstermin der letzte Notnagel des Mieters, ein Räumungsschutzantrag, abgewiesen. Unter Lockdownbedingungen musste am Samstag das Wichtigste bei Freunden untergestellt werden. Zwar wurde sehr auf Einhaltung der Pandemievorschriften geachtet – der Mieter gehört wegen seiner Lungenvorerkrankung zur Risikogruppe –, aber wie eine Person alleine einen Schrank tragen soll, bleibt wohl das Geheimnis der Richter:innen des Vollstreckungsgerichts, die darin offensichtlich kein Problem sahen. Zur Erinnerung: Zwei Personen in einem fremden Haushalt sind bereits verboten.

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Foto: Herbert Baumgärtner

Ebenfalls am Wochenende startete Recht auf Stadt die Petition Zwangsräumungen aussetzen sofort! Niemand darf im Lockdown auf der Straße landen! und informierte die Öffentlichkeit. DIE PARTEI meldete eine Kundgebung für den Räumungstermin an. Wohnungspolitische Gruppen und Aktivist:innen aus anderen Städten bekundeten ihre Solidarität, unter anderem Zwangsräumungen verhindern aus Berlin, Kalle Gerigk von Recht auf Stadt Köln und Matthias Coers, eine:r der Regisseur:innen des Dokumentarfilms Mietrebellen.

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Foto: Herbert Baumgärtner

Am Montag reichte der Anwalt des Mieters sofortige Beschwerde ein. Und siehe da, plötzlich fand sich doch noch das bereits in der Vorwoche eingereichte Attest der Hausärztin, in der sie dem Mieter “suizidale Gedanken” bescheinigte. Im Bescheid vom Freitag blieb dieses, wie berichtet, noch unerwähnt. Am Dienstag, wenige Stunden vor der Räumung, kam dann die frohe Botschaft: Der sofortigen Beschwerde wird wegen der Selbstmordgedanken des Mieters stattgegeben. Die Räumung ist damit ausgesetzt!

Wie das Vollstreckungsgericht sich beeilte klarzustellen, spielt Covid-19 – der Lockdown bleibt auffällig unerwähnt – keine Rolle:

“Die Corona-Pandemie als solche stellt keinen ausreichenden Grund dar, um eine Zwangsräumung aufzuheben und entsprechend einstweilen einzustellen.”

Was aber vielleicht eine Rolle spielen könnte, war die als Mahnwache angekündigte Kundgebung. Zumindest war die eintreffende Polizei überrascht, dass diese stattfinde, obwohl die Räumung doch ausgesetzt sei.

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Foto: Jürgen Schmidl

Bei der Kundgebung selbst sprach der Mieter einige Worte sowie der Anwalt des Mieters Urs Erös. Ein Mitglied der Sozialrevolutionären Aktion hielt eine engagierte Solidaritätsrede. Es waren rund 20 Leute da, darunter auch einige Nachbarn. Die Nachbarschaft wurden vorab über Flyer informiert.

Der Aufschub und die erfahrene Unterstützung durch Regensburger:innen und bundesweit gab dem Mieter etwas von seinen Lebensmut zurück, den ihm der drohende Wohnungsverlust nach 35 Jahren und ein nicht mehr ernst zu nehmendes Rechtssystem genommen hatten.

Schon am nächsten Tag: Pferdefuß Zwangspsychiatrie

Doch die Freude währte nicht lange. Schon am nächsten Tag – wenn sie will, kann die Justiz durchaus schnell sein – wurde ein neuer Beschluss gefasst. Darin heißt es:

“Es ist ein Sachverständigengutachten zur Suizidgefährdung von [Mieter] zu erstellen.”

Und weiter:

“Im Falle einer akuten Suizidgefährdung wird angeregt, die erforderlichen Maßnahmen nach dem bayerischen Unterbringungsgesetz zu veranlassen.”

Der Wink mit dem Zaunpfahl wurde verstanden. In Regensburg ist es seit vielen Jahren trauriger Usus, sich unbequemer Leute mit Hilfe der Zwangspsychiatrie zu entledigen. Dies ging Herrn Gustl Mollath so, dies musste Frau Ilona Haslbauer am eigenen Leib erfahren. Und auch in der ferneren Vergangenheit wurde mit diesem Mittel nicht gespart. Die aufrechte Lehrerin Elly Maldaque wurde 1930 von der Stadtverwaltung in die Geschlossene eingewiesen, wo sie nach nur 11 Tagen starb.

Da eine Zwangsräumung einer Zwangspsychiatrisierung immer noch vorzuziehen ist, gab der Mieter schließlich auf Anraten seines Rechtsanwalts und seiner Unterstützenden die Wohnungsschlüssel am 25.01.2021 zurück. Eine weitere Zwangsräumung in Regensburg fand ihren Abschluss.

Bundesweite Nachwirkungen und eine regionale

Dass eine Zwangsräumung während eines zwischenzeitlich verschärften Lockdowns ein Hammer ist, war auch einigen überregionalen Medien klar. Schon am 20.01.2021 berichtete das Neue Deutschland unter der Überschrift “Räumung aus Proftigier” über die Zwangsräumung in Regensburg. Zwei Tage später erschien ein ausführlicher Artikel in der Telepolis “Zwangsräumungen gehen im Corona-Winter weiter”. Die in Berlin erscheinende Tageszeitung junge Welt veröffentlichte ein Interview mit dem zwangsgeräumten Mieter “Dann noch die Wohnung wegnehmen, ist der Gipfel”.

Das Berliner Bündnis gegen Obdachlosigkeit bat daraufhin den Mieter um ein Videogrußwort für seine Mahnwache am 29. und 30. Januar.

Schließlich ging auch endlich ein regionales Medium auf den für bundesweites Aufsehen sorgenden Fall ein, der Bad Abbacher Anzeiger. Dieser schrieb unter der Überschrift Regensburger Justiz ist gnadenlos – Wohnungszwangsräumung trotz Corona-Lockdown vollzogen:

“Pandemie hin, Pandemie her, Lockdown hin, Lockdown her, trotz eines, wie [der Mieter] beim Interview betonte, mehr als fragwürdigen Urteils in einem Mietrechtsstreit wurde dieses auch noch ohne Rücksicht auf die Menschlichkeit rigoros durchgesetzt.”

Dem bleibt nichts mehr hinzuzufügen. Der Mieter prüft aktuell, Anzeige gegen alle Verantwortlichen wegen fahrlässiger Körperverletzung einzureichen. Immerhin wurde eine Ansteckung des Mieters mit Covid-19 offensichtlich billigend in Kauf genommen. Allerdings nur aus “Spaß”. Er weiß ja inzwischen, dass die Gesetze nicht für ihn gelten, zumindest nicht in Regensburg.

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Foto: Jürgen Schmidl

Kommentare

  1. Erich Müller

    Ich habe 40 Jahre in Regensburg gelebt, dachte immer, die Stadt sei liberaler als mein Heimatkagf Passau. Ich muß mich wohl getäuscht haben.

  2. E. Müller

    Heimatkaff

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