Verdrängung in Regensburg:
Keine Gnade: Zwangsräumung während des Lockdowns

Nichts half: Weder der Appell an Ministerpräsident Söder, Justizminister Eisenreich und Gesundheitsminister Holetschek. Weder der Hinweis auf die verschärften Lockdownvorschriften, noch die Aufdeckung von Urkundenfälschung und Prozessbetrug auf Seiten der Vermieter. Ja, sogar ein ärztliches Attest, das bescheinigt, der Mieter leide unter einer “akuten depressiven Störung” und habe “glaubhaft wiederholt suizidale Gedanken geäußert” konnte Rechtspfleger Deml vom Vollstreckungsgericht Regensburg nicht erweichen: Die Zwangsräumung eines seit 35 Jahren dort wohnenden Mieters wird mit aller Härte durchgeführt. Am 19.01.2021 um 14:00 Uhr im Erikaweg 13 in Regensburg wird eine offensichtlich vollkommen verrohte Justiz zum Showdown im Lockdown blasen.

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Nun wird es ernst: Im Erikaweg in Kasernenviertel wird geräumt

Mieter*innen haben keine Rechte

Wir haben bereits zweimal über den Fall berichtet (hier und hier). Es ist soviel jenseits jeder Rechtsstaatlichkeit gelaufen, dass es kaum glaublich erscheint.

Februar 2020 sprach Richterin Aigner-Sahin vom Regensburger Amtsgericht das Urteil: Zwangsräumung. Und das, obwohl der Mieter den Vermietern Prozessbetrug durch Urkundenfälschung nachweisen konnte. Und das, obwohl die Vermieter einen vorausgegangenen gerichtlichen Vergleich komplett ignorierten, während sich der Mieter daran hielt. Die Richterin akzeptierte das gefälschte Dokument, sprach dem Mieter alle Schuld zu und jedes Recht ab.

Zum Beispiel das Recht, nicht für eine Heizung bezahlen zu müssen, die gar nicht da ist. Zum Beispiel das Recht, Nebenkosten nur nach der tatsächlichen Wohnfläche begleichen zu müssen. Zum Beispiel das Recht, nicht um 80 % höhere Wasserkosten löhnen zu müssen, wenn die Vermieter keinen Grund dafür angeben können. Zum Beispiel das Recht, die Miete mindern zu dürfen, wenn in der Wohnung Schimmel auftritt und die Vermieter nichts dagegen unternehmen.

Doch unbeschadet des offensichtlich absolut rechtsfehlerhaften Richtens der Richterin wollte das Landgericht keine Berufung zulassen. Da der Mieter vermutete, nicht trotz sondern wegen des skandalösen Urteils soll dieses in der nächsten Instanz nicht überprüft werden, stellte er Befangenheitsantrag gegen die Landgerichtsrichter*innen. Und jetzt kommt der nächste Hammer: Ohne den Befangenheitsantrag zu bearbeiten, fassten die Landgerichtsrichter*innen den Beschluss: Die Berufung wird endgültig abgelehnt.

Das ist nun vollkommen jenseits von Gut und Böse. Ein abgelehnter Richter darf solange in der Sache nicht tätig werden, bis über dessen Befangenheit entschieden ist. Die “Entschuldigung” des zuständigen Richters, des Vizepräsidenten des Landgerichts Dr. Johann Pfeffer: Der bereits mehrere Wochen zuvor eingereichte Befangenheitsantrag habe zur Zeit der Beschlussfassung immer noch ungelesen in der Postmappe gelegen!

Wer aber nun glaubt, dass ein so offensichtlich rechtswidrig abgefasster Beschluss stante pede zurückgenommen werde, kennt die Regensburger Justiz schlecht. Beschluss ist Beschluss! Oder: Was liegt, das pickt!

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Gentrifizierung pur: Ehemalige Sozialwohnungen haben nur noch den einen Zweck, Rendite für Immobilienbesitzende heranzuschaffen

Lockdown sind keine besonderen Umstände

Um eine Räumung doch noch aufzuheben oder wenigstens hinauszuschieben, gibt es als letztes Mittel den Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO. Dieser Paragraph besagt, dass eine Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufgehoben werden kann, wenn die Maßnahme “wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.”

Nun könnte mensch meinen, dass ein verschärfter Coronalockdown mit Sicherheit ganz besondere Umstände sind, zumal der Mieter aufgrund einer attestierten Lungenvorbelastung und seines fortgeschrittenen Alters zur Covidrisikogruppe zählt. Außerdem stellte sich beim Mieter nicht zuletzt aufgrund des zermürbenden Gerichtsgebarens eine zunehmende Lebensmüdigkeit ein. Die Hausärztin erkannte in ihrem Attest “deutliche Hinweise einer akuten depressiven Störung” und sah suizidale Tendenzen, zumal neben der Wohnung auch die berufliche Existenz des Künstlers wegen der Pandemie gerade den Bach runter gehe. Sie war so besorgt über die psychische Verfasstheit des Mieters, dass sie noch für den nächsten Tag einen Nottermin bei einem Psychiater vereinbarte.

Das Regensburger Vollstreckungsgericht ficht das alles nicht an. Was den Mieter nicht umbringt, macht ihn nur härter, oder, wie Rechtspfleger Deml ausführt:

“Für die Anwendung [des § 765a] genügen weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich der Schuldner grundsätzlich abfinden.”

Und Corona?

“Daher stellt auch die Corona-Pandemie als solche keinen Grund dar, um die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen, insbesondere da auch nicht absehbar ist, wie lange der Zustand noch andauert.”

Die Logik des Rechtspflegers ist von einnehmender Unbedarftheit: Weil mensch nicht wisse, wie lange der Scheiß noch dauere, liege keine besondere Härte vor. Kapiert?

Gegen Vermieter ist der Rechtspfleger wesentlich weniger streng, um nicht zu sagen, er verhätschelt sie geradezu. Für sie findet er folgende, einfühlsame Worte:

“Es erscheint nicht sachgerecht, den Eigentümer noch länger warten zu lassen. Es würde eine erhebliche Belastung des Eigentümers darstellen, wenn die Durchsetzung des Räumungsanspruchs weiter verzögert würde.”

Klar, was ist schon Corona und Selbstmord und Obdachlosigkeit gegen die unglaubliche Belastung eines Eigentümers, dessen Profit durch einen rechtsbewussten Bestandsmieter so kläglich geschmälert wird! Hat er den endlich los, kann er doppelt und dreifach verlangen. Oder er verkauft. Ohne Mieter bringt so eine Wohnung abzüglich Kaufpreis mindestens 100 000 € Reingewinn! Da macht Zwangsräumung so richtig Spaß!

Übrigens, das Attest der Hausärztin wurde von Rechtspfleger Deml mit keinem Wort erwähnt. Vermutlich liegt es, wie an Regensburger Gerichten anscheinend üblich, immer noch ungelesen in der Postmappe.

Auch Söder hilft nicht

Der Mieter hatte auch den selbsternannten Corona-Sheriff Ministerpräsident Söder informiert, nebst Justizminister Eisenreich und Gesundheitsminister Holetschek. Denn offensichtlich hatte die Männerrunde bislang ein wichtiges Detail übersehen: Zwangsräumungen können nicht durchgeführt werden, ohne massiv gegen die Coronaregeln zu verstoßen. Der Mieter klärte die verantwortlichen Herren auf:

“Laut Obdachlosenstelle der Stadt Regensburg gibt es keine Einzelplätze. In einer Gemeinschaftsunterkunft müssen jeweils 3 fremde Personen die Nacht miteinander verbringen. Auf meinen Hinweis, dass die Unterbringung und die Räumung selbst mit den vielen daran beteiligten Personen einen Verstoß gegen die angeordneten Kontaktbeschränkungen darstelle, bekam ich vom Vollstreckungsgericht die Auskunft, dass die Coronaregeln nicht für gerichtliche Maßnahmen gelten.”

Doch die verantwortlichen Herren wollen so gar nicht verantwortlich sein. Sie ließen ihren Regierungsrat Pache schreiben:

“Über das Ob und Wie einer konkreten Vollstreckungshandlung entscheidet allerdings allein der jeweilige Gerichtsvollzieher unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände.”

Und was sagt der Gerichtsvollzieher, dem das Justizministerium höchstselbst völlige Handlungsfreiheit über “das Ob und Wie” der Zwangsvollstreckung bescheinigt? Der mit der Räumung beauftragte Staatsdiener Paulus antwortet:

“Ich bin nur ausführendes Organ bei der Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidungen. Eine Absetzung des Räumungstermins ist daher nicht möglich.”

Übrigens: Woran erkennt mensch einen konservativen, autoritären Staat? Dass niemand die Verantwortung übernehmen will. Feige Bande!

Kein Einlenken der Vermieter

Auch auf anderem Wege wurde versucht, die Eigentümer zum Einlenken zu bringen. Die Tochter einer Nachbarin bot den Vermietern sogar an, monatlich aus eigener Tasche die gewünschte Mieterhöhung (unrechtmäßig erhobene Modernisierungskosten) zu zahlen. Der Mieter kümmere sich um die gebrechliche Mutter im gleichen Haus. Die Vermieter lehnten ab.

Auch der Mieter machte ein Friedensangebot, erinnerte noch einmal an den Vergleich und schlug eine gerichtliche Mediation vor. Schon am nächsten Tag meldete sich der Eigentümer telefonisch. Er werde die Räumung “mit aller Härte” durchziehen und es sei ihm egal, ob der Mieter auf der Straße lande.

2021 geht super los – für Vermieter.

Kommentare

  1. Regensburger

    Schreibfehler? Und das, obwohl die Vermieter einen vorausgegangenen gerichtlichen Vergleich komplett ignorierten, während sich der Vermieter daran hielt. Die Richterin akzeptierte das gefälschte Dokument, sprach dem Mieter alle Schuld zu und jedes Recht ab.

  2. Recht auf Stadt

    Ja, Schreibfehler. Ist korrigiert. Danke für den Hinweis!

  3. Münchner

    Das Leben ist hart und manchmal ungerecht – aber die Miete muss bezahlt werden !

  4. Recht auf Stadt

    Die Miete wurde bezahlt.

  5. sven gagelmann

    Unglaublich! Da fehlen einem die Worte. Wir sind doch nicht mehr weit von den USA, dort herrscht auch soziale Kälte. Wie das Richter und beteiligte mit sich verantworten können. Naja tun sie wahrscheinlich nicht, aber was sagt das aus!

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