Rede "Nacht der Solidarität":
“Obdachlose in Regensburg haben keine Perspektive auf eine hoffnungsvolle Zukunft”

Vom 26. auf dem 27. März 2022 veranstaltete das Bündnis Solidarische Stadt Regensburg im Rahmen des europaweiten Aktionstages “Housing Action Day 2022” eine “Nacht der Solidarität” gegen Obdachlosigkeit. Ca. 25 Betroffene erschienen. Nach einem gemeinsamen Abendessen erzählten sie ihre Geschichten, ihre Erfahrungen mit Regensburg, mit den Behörden. Einige erinnern sich noch gut daran, wie Recht auf Stadt zusammen mit Obdachlosen 2017 das “Abbruchhaus” (Gaststätte Pürkelgut, Landshuterstr. 107) von Müll befreite und den Ort, den obdachlose Menschen mangels anderer Möglichkeiten oft als Übernachtungsstädte nutzten, wieder etwas menschenwürdiger gestaltete – bis die Eigentümerin RMI Immobilien GmbH aus Pfarrkirchen Anzeige erstatte und die Polizei alle weiteren Aktivitäten unterband (hier ein Bericht). Besetzungen als legitimes Mittel gegen spekulativen Leerstand war den Abend über immer wieder Thema, auch in der Rede des Bündnispartners Recht auf Stadt. Darin wurde besonders die antisozial ausgerichtete Obdachlosenpolitik der amtierenden Sozialbürgermeisterin Freudenstein kritisiert.

2022 03 26 Rede Nacht der Solidaritaet

Hallo liebe Leute,

Solidarität satt Konkurrenz als Gesellschaftsgrundlage!

Unsere Kundgebung hat das Motto „Nacht der Solidarität“? Solidarität mit wem?, fragte das Ordnungsamt. Wir hätten antworten können, mit Obdachlosen und Geflüchteten. Aber eigentlich hätte die Antwort lauten müssen: Solidarität ist ein Wert an sich, es ist eine Grundhaltung, es ist eine ganz andere Auffassung von Gesellschaft. Solidarität heißt, Solidarität mit allen Menschen, ganz gleich welcher Herkunft oder welcher Vorgeschichte. Allein schon die Eigenschaft Mensch begründet das vollumfängliche Recht auf Solidarität.

Aber diese Antwort hätte das Ordnungsamt wahrscheinlich nicht verstanden. Wenn wir zu einer „Nacht der Konkurrenz“ aufgerufen hätten, dann wäre die Sache klar. Konkurrenz ist was Gutes! Wettbewerb, Marktwirtschaft. Konkurrenz belebt das Geschäft. Unsere komplette Gesellschaft fußt auf dem Prinzip der Konkurrenz. Solidarität ist das Gegenteil von Konkurrenz und damit verdächtig.

Wenn aber Menschen bei der Konkurrenz nicht mehr mitkommen und unter die Räder fallen? Selber schuld! Für die gibt es nichts oder maximal Almosen und Mitleid, sprich Verachtung.

Bestes Beispiel für diese Haltung ist die Regensburger Obdachlosenpolitik. Kommenden Donnerstag, 31. März, 17 Uhr, wird unsere Petition „Obdachlose in leere Hotels! Wohnen zuerst!“ im Ausschuss für Soziales und Stiftungsangelegenheiten den Stadträt*innen vorgelegt.

Wohl damit die Stadträt*innen nicht auf falsche Gedanken kommen, hat die „Sozial“bürgermeisterin Freudenstein unserer Petition ein vielseitiges „Konzept zur Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe“ vorgeschoben, sowie eine Vorlage zur „Errichtung eines Übergangsheims für Familien / “Chancen-Haus”. Schon das Wort “Chancen-Haus” finde ich zum Kotzen. Es müsste „Rechte-Haus“ heißen, denn Wohnen ist ein Menschenrecht, keine gnädig zu vergebende Chance auf sowas wie einen Lotteriegewinn.

In den beiden Vorlagen ist alles versammelt, was eine rückständige, unsolidarische, entwürdigende und dumme Almosenpolitik ausmacht.

Bedarf wird trickreich kleingerechnet

Ich möchte auf ein paar Punkte daraus eingehen. Zunächst der Punkt Bedarf.

Am Anfang wird von Frau Freudenstein wirklich vorbildlich aufgezählt, wer nach allgemeinen Standards als obdachlos gilt. Nicht nur Menschen, die unter freiem Himmel oder in Notunterkünften schlafen müssen, sondern auch Menschen, die keine menschenwürdige oder selbstgewählte Wohnung haben, wie zum Beispiel Frauen in Frauenhäusern. Wen sie nicht ausdrücklich erwähnt aber nach allgemeinen Standards dazugezählt werden muss, sind Geflüchtete. Wer in Gemeinschaftsunterkünften oder im AnkER-Zentrum leben muss, ist selbstverständlich ohne menschenwürdigem Obdach. Aber immerhin, sie bezeichnet auch Menschen, die sich bei Freunden und Bekannten durchschlafen müssen, als obdachlos. Verdeckte Obdachlosigkeit.

Und was macht sie mit diesem Wissen? Nichts! Denn weiter unten wird der angebliche Bedarf für Regensburg berechnet. Und da spielen die Frauen in den Frauenhäusern oder die verdeckte Obdachlosigkeit plötzlich keine Rolle mehr. Auch nicht die Menschen, die im Freien schlafen. Es wird nur gezählt, wer zu einem bestimmten Stichtag in einer der vier Obdachloseneinrichtungen „ordnungsrechtlich“ untergebracht war.

Wie praktisch: Umso beschissener diese Einrichtungen sind, beispielsweise weil es dort keine Privatheit gibt und keine Tiere mitgebracht werden dürfen, desto weniger Menschen wollen dort schlafen, desto niedriger ist der angebliche Bedarf. So kommt die Stadtverwaltung nur auf 185 obdachlose Menschen, während die Caritas, die offensichtlich Frau Freudensteins Kriterien um einiges ernster nimmt als diese selbst, von mindestens 500 ausgeht.

Schuld sind immer die Obdachlosen selbst!

Nächster Punkt. Wer ist schuld an der Obdachlosigkeit? Natürlich, so unsere „Sozial“bürgermeisterin Frau Freudenstein, die Obdachlosen selber! Es fehle ihnen an „Wohnkompetenz“, „Eigenverantwortung“, sie kämen nicht mit der „Einhaltung der Hausordnung“ klar, mit „Ordnung und Sauberkeit in der Wohnung“. Kurz, Obdachlose seien nicht „mietfähig“.

Das sind alles Zitate aus ihren Vorlagen. Was darin nicht vorkommt: Die Schuld von Vermieter*innen, die zwecks Gewinnmaximierung Menschen wegen angeblichen „Eigenbedarfs“ rausschmeißen und dann luxussanieren. Oder mit dem Trick „Modernisierung“ die Mieten in unbezahlbare Höhen treiben.

Was fehlt, ist die Schuld der Kommunen, die tausende und abertausende Sozialwohnungen an windige Profithaie verscherbelten.

Was fehlt, ist die Schuld der Justiz, die fast immer zu Gunsten ihrer eigenen Klasse, den Besserverdienenden, entscheidet.

Was fehlt, ist die Schuld von Polizei und Gerichtsvollziehenden, die auch noch die ungerechteste Zwangsräumung rücksichtslos durchsetzen.

Ich selbst bin vor rund einem Jahr zwangsgeräumt worden, aus einer ehemaligen Sozialwohnung, die privatisiert wurde. Als 35 Jahre dort lebender Bestandsmieter brachte ich einfach zu wenig Geld ein. Nach meiner Räumung konnten die Eigentümer*innen das Doppelt- und Dreifache verlangen.

Sozialdienst: kostenloser Service für Vermieter*innen

Als die Räumungsklage gegen mich lief, kam auch eine Dame vom ASD vorbei, vom Allgemeinen Sozialdienst der Stadtverwaltung. Die fragte mich, wie sie mir helfen könne. Super!, sagte ich. Ich brauche Geld für eine gescheite, engagierte Rechtsanwaltschaft.

Aber soetwas hatte die Dame natürlich nicht im Angebot. Ich könne aber eine Liste mit Adressen von Regensburger Wohnungsunternehmen haben …

Und damit bin ich beim dritten Punkt. Frau Freudenstein ist mächtig stolz auf ihren ASD, weil der angeblich viele Obdachlosigkeiten verhindere.

Aber was der ASD eigentlich macht, ist Mieterhöhungen oder Räumungen für die Eigentümer*innen so reibungslos wie möglich über die Bühne zu bringen. Mieter*innen bekommen vielleicht etwas Geld, um Mietschulden zurückzuzahlen, aber nicht, um ihr Recht einzuklagen. Damit hilft der ASD sozusagen als kostenloser Service den Vermieter*innen und trägt direkt dazu bei, dass die Mieten weiter steigen.

Housing First! Wohnen zuerst!

Und schließlich der letzte Kritikpunkt an ihren Vorlagen: Kein einziges Wort ist darin zu finden über „Housing First! Wohnen zuerst!“

Das Konzept „Housing First!“ zeigt überall dort, wo es angewandt wird, höchst erfreuliche Ergebnisse, und zwar für alle Seiten, Obdachlose wie Kommune. 8 von 10 Menschen schaffen es, dadurch ihrer Obdachlosigkeit zu entkommen, wie Studien aus skandinavischen Ländern, vor allem Finnland, zeigen. Was wiederum den Kommunen langfristig viel Geld spart, da sich beispielsweise der Bau und Betrieb von Notunterkünften nahezu erübrigt.

„Housing First! Wohnen zuerst!“ gibt Menschen ein Obdach ohne jede Vorbedingung. „Housing First! Wohnen zuerst!“ geht von dem wohl jedem vernünftigen Menschen sofort einleuchtenden Gedanken aus: Nur wer eine sichere Bleibe hat, kann wieder Tritt fassen, kann seine Probleme in den Griff bekommen.

Doch in Regensburg wollen die Verantwortlichen von solch vernünftigem und menschenfreundlichem Zeugs nichts wissen. Hier läuft es wie eh und je genau anders rum. Obdachlose müssen erst ein Stufensystem durchlaufen, bis sie irgendwann das Zertifikat „mietfähig“ bekommen und dann vielleicht eine Wohnung zugewiesen bekommen. Wie wunderbar das funktioniert, zeigen die ständig steigenden Obdachlosenzahlen. Nur in einem Land Europas sinken sie kontinuierlich, im Housing-First-Land Finnland.

Selbstermächtigung statt Kuschen!

Was tun? In Köln haben sich Obdachlose zusammengetan und 2020 gemeinsam ein Haus besetzt. Sie haben es gemeinsam renoviert und gemeinsam in wöchentlichen Treffen die weiteren Schritte geplant. Die Gruppe nennt sich „Obdachlose mit Zukunft – OMZ“. Inzwischen mussten sie einmal umziehen und es läuft sicher nicht alles glatt, aber rund 40 Menschen leben seit 2 Jahren selbstbestimmt.

Auch in Regensburg gibt es viele leerstehende Gebäude, eines davon steht gleich hier gegenüber: Das Hotel Star Inn, 150 leere Zimmer. Oder die ehemalige Gaststätte Pürkelgut in der Landshuter Straße, oder das Gloria Kino, oder der ehemalige, wunderschöne Pfarrhof im Stahlzwingerweg, oder die Tändlergasse 13 neben dem Alex, im Erdgeschoss war da mal eine Hypovereinsbank drin. Und noch viele weitere ließen sich aufzählen, z.B. das ebenfalls komplett leerstehende Hotel Mercure im Osten.

Vielleicht bildet sich heute so etwas wie ein Initiativgruppe zur Gründung von „Obdachlose mit Zukunft Regensburg – OMZR“. Das wäre schön. Denn, wie die Vorlagen der „Sozial“bürgermeisterin zeigen, haben Obdachlose in Regensburg keine Perspektive auf eine hoffnungsvolle Zukunft, wenn sie sich nicht selbst darum kümmern. Danke!


Videomitschnitt der Rede

Kommentar abgeben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert