Die Redaktion „Bürgersendungen“ des Bayerischen Rundfunks rief an, ob nicht jemand von Recht auf Stadt Lust hätte, an der nächsten Sendung in Regensburg teilzunehmen. Das Thema sei „Wenn die Miete unbezahlbar wird – Wie können wir uns das Wohnen noch leisten?“. Und ob wir Lust hatten! Doch schon beim „Kennenlernen“ am Vortag stellte sich schnell heraus, einzig der neoliberale Schlachtruf „Bauen! Bauen! Bauen!“ war der Redaktion genehm. Ein Bericht über eine Farce und eine zeitlose Analyse bürgerlichen „Widerstands“.
„Armutsforum“ interessiert sich nicht für Arme
„Sie haben eine Meinung zum Thema, Fragen oder Kritik? Sie wollen mitreden oder einfach nur zuhören? Beides ist uns wichtig!“. Mit diesen vielversprechenden Worten lud die Redaktion von „Jetzt red i“ unsere Initiative Recht auf Stadt nach telefonischer Anfrage nochmal schriftlich zu einem „ersten Kennenlernen“ ein. Und natürlich haben wir eine Menge Kritik und noch mehr Fragen! Gerne hätten wir beispielsweise gewusst, was der für die Sendung angekündigte Bauminister Bernreiter (CSU) davon hält, dass in Regensburg Eigentümer*innen von Leerständen und illegalen Ferienwohnungen Rechtsfreiheit genießen, während Mieter*innen rigoros zwangsgeräumt werden.
Doch als wir beim „Kennenlernen“, zu dem auch etliche anderer Gruppierungen erschienen, den Punkt „Zwangsräumung“ vortrugen, unterbrach Moderator Schöberl sofort: „Abgeschlossene Rechtsfälle“ seien kein Thema für die Sendung. Und dass in Regensburg mit einer Satzung gegen Ferienwohnungen nachträglich sogar illegale Ferienwohnungen legalisiert werden, schien ihm sichtbar zu kompliziert.
Auch beim Thema „Sozialwohnungslüge“ winkten der Herr Moderator und sein Team schnell ab. Wie Recht auf Stadt recherchiert hatte, werden 20 % der 40 % „Sozialwohnungsquote“ für Besserverdienende (Verwaltungsdirektoren) reserviert, ein weiterer großer Teil für Mittelständler*innen. Nur ein verschwindender Rest bleibt für Geringverdienende, für die Sozialwohnungen ursprünglich einmal gedacht waren.
Die Lüge vom „Bauen! Bauen! Bauen!“ als Lösung aller Wohnungsprobleme angesichts seit über einem Jahr leerstehender weil unbezahlbarer Neubauten im Dörnbergviertel, konnte der RaS-Vertreter gar nicht mehr vorbringen, denn der Moderator würgte alle weiteren Ausführungen von Recht auf Stadt ab.
Hierbei wurde er übrigens kräftig unterstützt von Vertreter*innen des sogenannten „Armutsforums“, die schon das Thema „Zwangsräumungen“ hörbar für nicht relevant fanden.
Dass sich das „Armutsforum“ weniger für die Probleme von Armen, sondern vielmehr für bezahlbare Mieten für den Mittelstand interessiert, wurde auch an anderer Stelle deutlich. Deren Vertreter*innen fanden es offenbar vollkommen okay, als sich ein Genossenschaftsvertreter „bezahlbarer“ Mietern von 9 Euro aufwärts rühmte. „Armutsforum“ hergehört! Für arme Menschen sind Mieten von 5 bis 6 Euro die Grenze!
Das Märchen vom „Bauen! Bauen! Bauen!“
Bei der Sendung am nächsten Tag wurde offensichtlich, warum sich die Redaktion nicht für die Punkte von Recht auf Stadt interessierte. Schon nach knapp einer Minute sprach der Moderator das Zauberwort des Abends zum ersten Mal aus: „bauen“. Danach fiel die Vokabel, inklusive Ableitungen, weit über 100 weitere Male. Kein einziges Mal jedoch „Zwangsräumung“, kein einziges Mal „Ferienwohnung“. „Leerstand“ war nur ein Mal zu hören, ebenso „Mietendeckel“. „Spekulation“ fiel immerhin sieben Mal, „Enteignung“ dafür wieder nur ein Mal.
Nur der neoliberale Schlachtruf „Bauen! Bauen! Bauen!“ war also erwünscht. Und wie bestellt, lieferte das „Armutsforum“ sofort den nämlichen Inhalt. Anton Knitl, Mitglied des „Armutsforums“ und zugleich Mieterbeiratsvorsitzender bei der Stadtbau Regensburg, bekam, wenig überraschend, als erster das Rederecht:
Moderator: Herr Knitl, wenn Sie einen Punkt nehmen würden, wo man ansetzen sollte von der Politik, was fällt Ihnen da ein?
Knitl: Dass die Stadt einfach alle möglichen Grundstücke aufkauft, so schnell wie möglich, dass man auch wirklich bauen kann. Dass verschiedene Genossenschaften auch die Möglichkeit haben, günstig Wohnraum zu schaffen. Bei uns in der Stadtbau, wer in der glücklichen Lage ist, der zahlt im Schnitt so ca. 8 € pro qm.
Nachhilfe 1 für „Armutsforum“: Für Arme sind 8 € nicht günstig!
Das „Armutsforum“ hält Wohnraum von 8 € für günstig? Machen wir mal eine Beispielrechnung: Die Armutsgrenze für Singles liegt aktuell bei 1126 €. Damit das Leben noch halbwegs leistbar ist, sollte die Bruttowarmmiete bei maximal (!) 30 % des verfügbaren Einkommens liegen. Das wären auf der Grundlage der von den Sozialbehörden durchschnittlich zugestandenen Wohnfläche (zwischen 45 und 50 qm) höchstens 337,80 €. Die Nebenkosten samt Heizung betragen in Bayern im Schnitt 1,81 € pro qm. Daraus folgt ein maximaler qm-Preis für die Wohnfläche von 5,30 €. Die von Knitl als „glückliche Lage“ bezeichneten 8 € bedeuten für arme Singles eine Gesamtmiete von 465,50 €. Das sind über 40 % des verfügbaren Einkommens und ist damit weit jenseits von „günstig“.
Mit Fakten bezüglich Armut scheint das „Armutsforum“ offensichtlich so seine Schwierigkeiten zu haben. Als nächster im Bunde outete sein Unwissen Manfred Hellwig, seines Zeichens ehemaligen Bezirksvorsitzender von Ver.di Oberpfalz:
Hellwig: Regensburg ist ja eine Singlehauptstadt. 57 % sind also Single. Das ist der Grund, warum in Regensburg auf 1,65 Leute ein Haushalt kommt. Und das ist das Problem, dass da eine ganze Menge Grundstücke erforderlich sind, eine ganze Menge Wohnungen erforderlich sind. So. Da happert‘s genau.
Nachhilfe 2 für „Armutsforum“: Arme haben nicht zuviel, sondern zuwenig Platz!
Das „Armutsforum“ findet, die Menschen brauchen zuviel Platz? Für die Milliardärin Gloria von Thurn und Taxis mag das stimmen, die ganz alleine für sich und ihre Entourage ein Schloss größer als der Buckingham-Palast beansprucht. Oder für die 11 Nonnen des Dominikanerinnenklosters Am Judenstein 10, die mitten in der Altstadt womöglich noch üppiger wohnen, als die Adlige.
Aber wie schaut es für Arme aus? Hier können wir das „Armutsforum“ beruhigen. Im Schnitt kommen arme Menschen nur auf 38 qm, das ist erheblich weniger, als Menschen nach europäischen Standards zusteht. Ganz schlecht ist es für Menschen mit Migrationshintergrund bestellt. Sie bekommen nur 30 qm Platz.
Insgesamt haben in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 8,5 Millionen Menschen zuwenig Wohnraum, das sind 10,3 % der Bevölkerung. Besonders betroffen sind Menschen in größeren Städten. Gut jede*r Siebte (15 %) lebt hier beengt. Und wie immer trifft es vor allem die Ärmsten der Armen: Alleinerziehende mit Kindern.
Weil die Mieten steigen, müssen arme Menschen zusammenrücken bis hin zur Überbelegung. Gentrifizierung hat nämlich zwei Folgen: Verdrängung aus den Zentren und Verdrängung in weniger Wohnraum, weil mehr nicht bezahlbar ist.
„Armutsforum“, hast du das verstanden? Es liegt nicht an den Singles, es liegt an den Reichen, die wie Frau von Tut und Taugtnix oder die reiche katholische Kirche über Gebühr Stadtraum in Beschlag nehmen. Lösung: Die Reichen ärmer machen, sprich enteignen, und schon reicht der Platz!
Nachhilfe 3 für „Armutsforum“: Bauen erhöht die Mieten!
Aber „Singlehauptstadt“ ist natürlich ein unzulässiger Ausreißer. Kein Wort über Bauen! Daher führt der Moderator den Gewerkschaftler sanft auf den vorgegebenen Pfad zurück:
Moderator: Und wie bewerten sie z.B. die Mühe des Freistaates Bayern, der ja gesagt hat, wir wollen jetzt bis 2025 mehr Wohnungen bauen?
Und pflichtschuldigst wird geliefert. Hier läuft das Armutsforum geradezu zur Höchstform auf, denn es kritisiert sogar den Ministerpräsidenten, weil der zu wenig baue. Das Wort hat die Armutsforumlerin Wiltrud Renter:
Renter: Herr Söder hatte damals 2018 versprochen, 10 000 Wohnungen zu bauen. Nach einem Bericht von BR24 von Ende Januar wurde gesagt, dass bis heute nicht eine Wohnung gebaut worden ist, jedenfalls nicht auf staatlichem Grund.
„Armutsforum“ hergehört! Darum ist „Bauen! Bauen! Bauen!“ Scheiße:
Es gibt genügend Wohnungen!
- Es ist schon erstaunlich, immer wieder lesen zu müssen, es fehlten so und soviele Millionen Wohnungen. Und dies, obwohl die Bevölkerungszahl in Deutschland seit Jahrzehnten nahezu stabil bei rund 82/83 Million liegt. Und dies, obwohl seit Jahrzehnten nahezu blindwütig gebaut wird. Pro Tag (!) werden allein in Bayern 15 Fußballfelder neu mit Baukram versiegelt.
- Des Rätsels Lösung: Es fehlt nicht an Wohnungen, sondern an der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, zu deren Herstellung das Grundgesetz in Art. 72 die Politik verpflichtet. Wenn es in einer Region kaum Internet gibt, keinen Bahnanschluss, keinen ÖPNV, kein vernünftiges Bildungs- und Kulturangebot, eine mangelhafte Gesundheitsversorgung usw., wird diese Region wirtschaftlich abgehängt. Schon allein aus beruflichen Gründen sind die Menschen dadurch gezwungen wegzuziehen. Leerstand ist die Folge.
- Spiegelbildlich kommt es zur Bildung von „Boomstädten“, in der angeblich Wohnraummangel herrscht, zu deren Abhilfe angeblich nur Bauen dienlich sei. Doch auch diese Darstellung ist überwiegend falsch, denn es fehlt in Boomstädten weniger an Wohnungen, sondern vielmehr an bezahlbaren Wohnungen. Im Dörnberg-Viertel stehen nach fast zwei Jahren immer noch dutzende Apartments leer, weil niemand die horrenden Mieten bzw. Apartmentpreise bezahlen kann. Das heißt: Jede*r findet in Regensburg sofort eine Wohnung, falls sie*er genügend Zaster hat!
Bauen senkt nicht die Mieten, sondern erhöht sie!
Wir zitieren aus einem offenen Brief mit dem Titel „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“ von 250 Wissenschaftler*innen, die teilweise seit Jahrzehnten im Bereich Stadtentwicklung forschen. Die Wissenschaftler*innen wenden sich darin gegen ein Gutachten der Bundesregierung, in dem unter anderem das Hohe Lied auf den Neubau geträllert wird:
„Im Gutachten werden Verteilungskonflikte auf dem Wohnungsmarkt angesprochen. Auf der Grundlage eines neoklassischen Modells wird angenommen, dass die sozial gerechte Verteilung von Wohnraum durch den freien Markt, den Mechanismus von Angebot und Nachfrage und Anreize zum Ausbau des Angebots durch Neubauförderung am effizientesten gewährleistet werden könne.
Das Gutachten ignoriert dabei empirische Belege dafür, dass die Ausweitung des Angebots durch freifinanzierten Neubau in der Realität nicht zu sinkenden Wohnungspreisen in den unteren Preissegmenten führt. Im Gegenteil: Eine aktuelle Studie der Schweizer Investmentmanager von Empira zeigen für 80 Städte in Deutschland, dass mit steigenden Neubauaktivitäten die Durchschnittsmieten eher steigen (Empira 2018).“
„Eine Untersuchung von empirica konnte zwar zeigen, dass Neubauten Umzugsketten auslösen und „durch den Umzug in einen Neubau immer Wohnungen frei [werden], die etwas kleiner, etwas älter und etwas preiswerter sind.“ Zugleich stellte die Studie fest, dass die „frei gezogenen Wohnungen […] meist teurer weiter vermietet“ wurden (empirica 2016).“
Recht auf Stadt überreichte 2018 dem Stadtrat eine Eingabe mit dem Titel „Enteignet die Enteigner!“. Darin zitierten wir die obige Passage. Doch wie vorher die Bundesregierung ignorierten selbstredend auch unsere gewählten Regensburger Stadtvertreter*innen das Wissen der geballten Wissenschaft.
Bauen ist verdammt noch mal sowas von unökologisch!
Jedes halbwegs von Fridays for Future unterrichte Schulkind weiß: Der Bau ist einer der größten Emittenten von klimaschädlichem CO2. Völlig wahnsinnig wird das Ganze, wenn für einen Neubau intakter Altbau abgerissen wird. Dann kommt auf den CO2-Berg noch ein riesiger Haufen verschwendeter grauer Energie obendrauf. Die einzige Antwort kann daher nur lauten: Sofortiger Abrissstopp!
Wie verlogen das Gerede vom „Bauen! Bauen! Bauen!“ ist, sieht mensch auch daran, wie verschwenderisch andererseits mit vorhandenem Wohnraum verfahren wird. Unzählige Wohnungen und Häuser stehen in Regensburg leer. Was macht die Stadtverwaltung? Nichts! Unzählige Wohnungen werden als Ferienwohnungen illegal zweckentfremdet. Was macht die Stadtverwaltung? Nichts! Beziehungsweise sogar mehr als nichts. Sie legalisiert nachträglich illegale Ferienwohnungen. Die einzige Antwort auf Wohnungsmangel und unverantwortliche CO2-Emissionen durch Neubau kann daher nur lauten: Sofortiges Ende aller Zweckentfremdungen!
Tipp an das Armutsforum: Lest das Buch „Verbietet das Bauen!“ von Daniel Fuhrhop, bevor ihr euch weiter in der Öffentlichkeit als Leute vom Stamm der Ahnungslosen etabliert. Als Zweitbuch sei euch angeraten: „Rebellische Städte“ von David Harvey. Nach dieser Lektüre seid ihr bestens gerüstet, euch nicht von neoliberalen Schaumschlagenden einseifen zu lassen.
Ihr könnt aber natürlich auch weiterhin gelbe Gewerkschaft spielen.

Die Vertreter*innen des Armutsforums: Wiltrud Renter, Irene Salberg, Anton Knitl, Manfred Hellwig (zweite Reihe von links)
Ein neoliberale Professor widerspricht
Nun aber weiter mit der Sendung. Denn jetzt wird es plötzlich spannend. Ausgerechnet ein erzneoliberaler Professor von der Uni widerspricht dem Moderator. Und dies, obwohl sich Schöberl wirklich alle Mühe gibt, den Prof auf „bauen!“ zu eichen:
Moderator: Professor Steffen Sebastian ist bei uns und er hat den Lehrstuhl Immobilienfinanzierung an der Universität in Regensburg. Erklären Sie uns, Herr Professor, wenn wir jetzt einen Mietendeckel einführen, wird dann mehr gebaut, also kriegen wir dann billige Wohnungen und trotzdem wird gleichzeitig auch gebaut?
Sebastian: Das ist natürlich nicht förderlich für den Investor, wenn er jetzt sagt, ich krieg die Rendite begrenzt.
Klar, das muss er sagen. Immerhin wird sein Lehrstuhl von Stiftern aus der Immobilienwirtschaft finanziert. Doch jetzt kommt‘s:
Sebastian: Aber ich vertrete einen ganz anderen Ansatz: Wir müssen gar nicht mehr bauen. Bauen ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll und wir haben eigentlich in Deutschland auch genügend Wohnraum. (…) Das Problem ist, es ist einfach sehr ungleich verteilt.
Wow, wer hätte das gedacht, dass ein von der Wirtschaft ausgehaltener Akademikerbüttel so vernünftig sein kann! Ja! Verbietet das Bauen! Es ist genug für alle da, wenn gerecht verteilt wird! Respekt! Super! Professoren an die Macht!
Aber leider wärt die Vernunft des Immobilienknechts nur zweieinhalb Sätze. Denn schon präsentiert der stramme Forscher den feuchten Traum aller Groß- und Kleinkapitalistis:
Sebastian: Wir müssen den Leuten, den Mietsuchenden, jetzt gleich und sofort helfen. Das heißt, wir brauchen jetzt mehr Wohngeld und zwar höheres Wohngeld und auch für mehr und größere Bevölkerungskreise. Auch die alleinerziehende Grundschullehrerin in München findet keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Das ist Mittelschicht und auch die müssen wir bereits unterstützen und subventionieren.
Schön ausgedacht, Herr Professor! Von wegen Mietendeckel, von wegen Umverteilung! Der Staat soll für die Wuchermieten blechen! Weil das vielleicht doch etwas zu rotzfrech ist, versucht der Belehrstuhlte abzuwehren:
Sebastian: Was man dann immer so hört, dann zahlt der Staat die Wuchermieten der Vermieter. Aber das ist gerade eben nicht der Fall, sondern nach unserem Reformvorschlag wird‘s eben eine Art Vermieter-Soli geben, das heißt, die Vermieter zahlen mehr Steuern, und zwar in der Höhe, dass eben dieses mehr an Wohngeld und mehr an Kosten der Unterkunft dann auch bezahlt werden kann.
Einen Mietendeckel will er nicht, weil das die „Rendite begrenzt“, aber höhere Steuern für Renditenmaximierer schon? Wenn das nicht nach Widerspruch riecht, oder vielmehr, nach Verlogenheit. Denn der Akademicus weiß: Wohngelderhöhungen zum Wohle der Rendite sind leicht durchzusetzen, Steuererhöhungen zum Schaden derselben dagegen nie und nimmer! Außerdem: Immomilliarden sind dank Steuerparadiese sowieso nicht greifbar. Auch das weiß der Lehrstuhlinhaber für Immobilienfinanzierung selbstredend.

Professor Steffen Sebastian, Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung an der Uni Regensburg
Kritik an Behörden ist unerwünscht
Neben dem Professor gab es noch eine weitere Ausreißerin von der Generallinie „Bauen“. Ihr wurde vom Moderator sogar das Mikro entzogen. Und das kam so. Zunächst berichtete sie, dass sie sich die jetzige Wohnung nicht mehr leisten könne. Ihre gesamte Witwenrente gehe für die Miete drauf. Dafür bekommt sie von Moderator Schöberl sogar einen Applaus, weil sie ihre Notlage so offen schildert. Aber sie hat eine Lösung. Es gebe ein Nachbargrundstück. Mit dem Eigentümer hat sie sich offenbar schon geeinigt, 200 qm für ein Tinyhaus:
Frau: Und jetzt an die liebe Stadt Regensburg: Seit eineinhalb Jahren renne ich vom Stadtplanungsamt zum Bauamt hin und her.
Oha! Alternative Wohnformen nebst Behördenschelte? Was soll das, denkt wohl der Herr Schöberl und versucht krampfhaft, in die Spur zu finden:
Moderator: Machen wir es doch mal so, wir haben ja die Astrid Freudenstein da, die 2. Bürgermeisterin. Vielleicht kann man sie nachher nochmal, nach der Sendung zusammenspannen, was das Tinyhaus angeht …
Frau: … aber ich werde hin und her geschickt vom Planungsamt zum Bauamt. Da sollte ein Spielplatz hinkommen, der schon seit 50 Jahren ein Stück weit weiter oben steht.
Moderator: Aber vielleicht kann Ihnen die Bürgermeisterin wirklich danach dann helfen …
Frau: Das sind nämlich diese Grundstücke, die Frau Kohnen sagt, das seien Restgrundstücke, das wäre da, es wäre alles da …
Moderator: (unterbricht die Frau) Frau Freudenstein, und jetzt, das Mikrofon ist bei Ihnen, trotzdem das Generelle, entstehen in Regensburg zu wenige Wohnungen für Menschen …
Nach dem üblichen Blabla, dass in Regensburg super viel getan werde für günstigen Wohnraum, sodass mensch, wenn er den Worten von Frau Freudenstein glauben würde, meinen könnte, eine Wohnungsnot gebe es gar nicht in Regensburg, macht sich der Moderator offensichtlich doch Sorgen um den Eindruck, den der Mikrofonentzug hinterlassen haben könnte. So kommt er auf das Tinyhaus zurück:
Moderator: Und, Frau Bürgermeisterin, glauben Sie, Sie können helfen was das Tinyhaus auf diesem unbebauten Grundstück angeht, oder sagen Sie, oft sind uns da als Stadt die Hände gebunden, wenn der Verkäufer oder der Besitzer des Grundstücks das nicht will, dann geht nichts.
Die Frau ist zwar nicht mehr zu hören, aber aus ihrer Gestik wird klar, was sie sagt: „Der will ja!“
Freudenstein: Also ich kann da zum einzelnen Fall tatsächlich nichts sagen, da müssten wir uns wirklich kurzschließen. Dass die Bauverwaltung oft länger braucht, als man sich das wünscht …
Frau nickt zustimmend.
… das Problem kennen wir, da müssen wir in die Digitalisierung sicher nochmal investieren. Das Tinyhaus ansich kann ich jetzt baurechtlich nicht beurteilen, ob das dort machbar ist.

Frau, die seit eineinhalb Jahren auf eine Genehmigung vom Regensburger Bauordnungsamt für ein Tinyhaus wartet
Frau Freudenstein wie immer ohne Schimmer
Was „Digitalisierung“ mit den Schwierigkeiten der Frau, ein Tinyhaus genehmigt zu bekommen, zu tun hat, scheint offensichtlich nicht nur der Behördenkritikerin unklar zu sein. Auch Freudenstein führt das nicht weiter aus. Warum auch! „Digitalisierung“ klingt gut. Das kaschiert wunderbar offensichtliche Ahnungslosigkeit.
Dass Bürgermeisterin Freudenstein tatsächlich keine Ahnung hat, stellte sie übrigens mehrmals unter Beweis. So behauptete sie:
Freudenstein: Ja, ich sehe schon auch mit Sorge, es gibt Leerstand in Regensburg, den gibt es schon auch in Bestandsbauten. Ich fahre auch an Häusern vorbei, wo ich mir gelegentlich denke, da wohnt ganz offensichtlich keiner drin und auch schon seit längerer Zeit, da bräuchten wir auch dann die gesetzlichen Mittel, um bei sowas aktiv zu werden.
Hallo, Frau Freudenstein! Haben Sie noch nicht davon gehört?! Regensburg hat seit Juli 2019 eine Zweckentfremdungssatzung! Damit könnten gegen Leerstandsverantwortliche Bußgelder bis 500 000 Euro verhängt werden! Das Problem ist nur, dass in Regensburg die Zweckentfremdungssatzung vom Bauordnungsamt ebenso vergessen wird, wie von Ihnen. Liegt wahrscheinlich an der fehlenden Digitalisierung …
Aber für eine Ahnungslosigkeit sind wir Frau Freudenstein sogar dankbar. Auf Facebook prophezeiten wir tags zuvor:
Recht auf Stadt: Bei der Sendung wird übrigens auch Bürgermeisterin Freudenstein (CSU) da sein. Sie wird lustig erzählen, dass in Regensburg super viel getan wird für bezahlbaren Wohnraum, z.B. werde fast nirgends soviel gebaut wie hier. Die Stadt hat eine Zweckentfremdungssatzung gegen Ferienwohnungen verabschiedet, die irgendwann wirken werde, und man habe die Sozialwohnungsquote auf 40 % erhöht. Wetten, dass sie damit durchkommt!
Und, was sollen wir sagen, Frau Freudenstein lieferte!
Freudenstein: Aber genossenschaftliches Bauen öffnet tatsächlich die Türen für die Mittelschicht. Das ist wieder ein bisschen ein anderes Segment als der soziale Wohnungsbau. Für den sozialen Wohnungsbau haben wir die Quote 40 %.
Nein, Frau Freudenstein! Genossenschaften und 40 % Sozialwohnungsquote bedienen das gleiche Segment: Besserverdienende und Mittelstand! Für Arme gibt es nur einen verschwindenden Rest! Das haben wir Ihnen doch ausführlich in unserer Analyse „Der nächste Beschiss: ‚Sozialwohnungen‘ für Verwaltungsdirektoren“, die wir Ihnen am 06.04.2022, also drei Wochen vor „Jetzt red i“ zusandten, erklärt. Lesen Sie denn gar nichts von dem, was wir Monat für Monat an Bürgermeister*innen, Stadtverwaltung und Stadträt*innen verschicken?
Muss eine Bürger*innenvertreter*in denn gar nichts wissen?
Ja! Es ist sogar Grundvoraussetzung in einer Stadt wie Regensburg.