Abschlussbericht des ersten Soli-Open-Airs von Sea-Eye und BüSyl:
Das wunderbare Bündnis „Rescue & Shelter“

Wir wissen nicht mehr genau, wer die Idee hatte. Jedenfalls irgendjemand von BüSyl meinte, lasst uns doch mal ein Open Air organisieren zwecks Kohlebeschaffung, mit vielen tollen Bands. Es gebe gute Kontakte zu Sea-Eye. Zusammen stemmen wir das locker. Und was sollen wir sagen: Blauäugigkeit siegt!

Open Air Rescue and Shelter - Überdachung

Foto: Herbert Baumgärtner

Vorgeschichte: Solidarität Works!

Um ein Solizimmer und weitere Aktivitäten zu finanzieren, konnte die Arbeitsgruppe Bürger*innenasyl (BüSyl) des Bündnisses Solidarische Stadt Regensburg (SSR) schon mehrere Quellen erschließen. So stellte das ueTheater die Einnahmen aus ihrem Kommunalkabarett „Unserer Besten“ zur Verfügung und Künstler*innen spendeten Bilder und Skulpturen für eine Solidaritäts-Vernissage. Diesmal sollte die Musik dran glauben.

Auch Sea-Eye ist sehr kreativ und engagiert bei der Akquise neuer, für die Seenotrettung dringend benötigter Geber*innen. Sonntag, den 25. September von 10 bis 18 Uhr veranstaltet der gemeinnützige Verein beispielsweise den Spendlauf “Run for Rescue” in Stadt am Hof.

Mit Sea-Eye gab es zudem schon frühe, allerdings eher indirekte Beziehungen. So konnten Sea-Eye und Vertreter*innen von SSR bei einer Podiumsdiskussion, abgehalten in einem originalen Geflüchtetenschlauchboot, der Oberbürgermeisterin das Zugeständnis entlocken, dass sich Regensburg zu einem „Sicheren Hafen“ erklärt.

SSR rief zum Boykott der sogenannten „Schlossfestspiele“ unter der Schirmherrschaft der rechtsoffenen Milliardärin Gloria von Thurn und Taxis auf. Dies wiederum führte dazu, dass auf Empfehlung von SSR die Gruppe Revolverheld ihre gesamte Gage der Seenotrettungsorganisation Sea-Eye spendete. Was lag also näher, als es einmal gemeinsam zu versuchen.

Basisdemokratisch und nach dem Konsensprinzip wurde das Projekt „Rescue & Shelter“ – „Rettung und Schutz“ (die Namensidee stammt von Sea-Eye) in nur knapp eineinhalb Monaten von Null weg konzipiert und auf die Beine gestellt.

Natürlich lief nicht alles perfekt. Einige Bands offenbarten uns hinterher, teilweise den Eindruck gehabt zu haben, im kompletten Chaos zu landen. Und tatsächlich war die Beschaffung des nötigen Equipments schon etwas abenteuerlich. Nachdem unsere ursprünglichen Hoffnungsträger ihre Sachen alle schon vergeben hatten oder nicht verleihen durften, war guter Rat teuer. Doch schließlich half Kapitän Zufall. Ein Kindheitsfreund eines Mitwirkenden, Florian Mittermeier, verfügte über die nötige Audioanlage und vor allem Know How und kam uns zur Hilfe. Danke Flo!!!

Über einen Mitbewohner fand sich auch ein lieber Mensch, Bakr Alkamel, der sich bereit erklärte, die Bands zu mischen. Danke Bakr!

Jemand anderes hatte Beziehungen zum Regensburger Stadttheater. Hier sind wir dem Technischem Leiter, Cristo Twele, zu ewigen Dank verpflichtet. Er sorgte dafür, dass wir eine ausreichend große Bühne aufstellen konnten. Danke Cristo!

Schließlich fehlte noch Licht. Hier half die Auffrischung alter Beziehungen. Danke Pesi!

Aber natürlich war damit der Reigen der Helfenden noch lange nicht beendet. Das Bündnis gegen Abschiebelager stellte uns seinen Bus zur Verfügung, Scants of Grace versorgte uns mit großen Töpfen, eine Unifachschaft lieh uns ihren Grill, der Bund für Geistesfreiheit Tische und Helfer*innen aus den verschiedensten Gruppen übernahmen während der Konzerte Arbeitsschichten bei Getränken und Essensausgabe.

Es ist wirklich erstaunlich und herzerfrischend zu sehen, was alles Zustande kommen kann, wenn Menschen nicht gegeneinander, sondern miteinander und solidarisch agieren. Warum ist unsere Gesellschaft nicht nach diesem Prinzip aufgebaut?

Ausstellung für Solizimmer und Rettungsdokumentation

Da das Open Air auf dem riesigen Vorplatz zelebriert werden sollte, lag es nahe, eine Neuauflage der erfolgreichen Solidaritäts-Vernissage vom Mai in der Halle zu wagen. Das stellte sich als gute Idee heraus, denn dadurch entdeckten auch viele Menschen die Solidaritätskunst, die eher selten in Ausstellungen gehen. Einige Künstler*innen stellten uns extra für das Soli-Open-Air neue Werke zur Verfügung. Unser herzlicher Dank geht an Carolina Feistl, Wanda Stummer, Isabelle Döllinger und Tamira Unger.

Sea-Eye bereicherte die Ausstellung mit vielen beeindruckenden Fotos aus vergangenen Rettungsaktionen. Gerade die Kombination von engagierter Kunst und dem Engagement für Menschenleben berührte zutiefst.

Benefiz-Open-Air

Leider war uns das Wetter nicht hold. So wichtig und gut Regen einerseits ist, so tödlich ist er für ein Open Air. Zwar verlegten wir die Örtlichkeit unter eine riesige, seitlich offene Überdachung, sodass Musik und Zuschauende trocken blieben und trotzdem das Open-Air-Feeling halbwegs gewahrt blieb. Trotzdem dürften die heftigen Regenschauer viele von einem Besuch abgehalten haben.

Die Musiker*innen ließen sich jedoch dadurch nicht entmutigen. Als erste Gruppe sorgten die Trommler von „Afro Djembe Rythems“ für gute Einstimmung. Besonders freute uns, dass ein Musiker aus der benachbarten GU (Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete) mitwirkte.

Open Air Rescue and Shelter - Afro Djembe Rhytems

Afro Djemb Rhythems

Der Kontrast zur nächsten Gruppe konnte kaum größer sein: Gardenstreetmucke. Bayerischer Folk-Blues. Doch das Nebeneinander verschiedener Stile war erklärtes Ziel des Festivals. So wie es auf der Welt keine Grenzen geben soll, so soll auch die Musik frei von Abgrenzung und Vorurteilen sein!

Gardenstreetmucke spielten aber nicht nur sehr stimmigen Folk-Blues, auch ihre Texte hatten es in sich. Ihr Lied “Menschlichkeit” widmeten sie dezidiert der Seenotrettung. Textauszug:

„Kann jemand mit Herz und Verstand
die Leute absaufen lassen, völlig ignorant
niemand verlässt doch einfach so sein Land
und die Menschlichkeit stellt man an die Wand“

Open Air Rescue and Shelter - Gardenstreetmucke

Gardenstreetmucke

Feathers and Fray folgten mit entspanntem, aber gut tanzbaren Pop-Rock. Vor allem die powergeladene Sängerin Eva aus Argentinien schaffte es, die ersten Menschen zum Tanzen zu bringen. Die Gruppe spielte auch Stücke aus ihrer EP „April Days“.

Open Air Rescue and Shelter - Feathers and Fray

Feathers and Fray

Auf Pop-Rock folgte der Indie-Rock von schedMia aus Kelheim. Ihr besonderes Markenzeichen: bayerische Texte. Übrigens lüfteten sie auch das Geheimnis um ihren doch recht rätselhaften Namens. „sched mia“ ist ein Kelheimer Slangausdruck und bedeutet so viel wie „bloß wir“. Ein sympathisches Understatement!

Open Air Rescue and Shelter - schedMia

schedMia, Foto: Herbert Baumgärtner

Fit und Brille hat offensichtlich schon eine treue Fangemeinde, die dankenswerterweise auch beim Soli-Open-Air aufschlug. Das ist kein Wunder, denn die fünf Musiker beherrschen ihre Instrumente perfekt. Trotzdem waren ihre Songs keineswegs technisch steril, sondern groovy und verspielt. Ihre Spielfreude sprang vom ersten Ton an auf die Zuschauenden über. Der Bereich vor der Bühne füllte sich zusehends. Zeit is worn!

Open Air Rescue and Shelter - Fit und Brille

Fit und Brille, Foto: Herbert Baumgärtner

So richtig ab ging es dann mit Kizzy Suzuki. Nicht nur ihre phänomenale Lautstärke motivierte viele zum Pogotanz, auch ihre ungemein kraftvollen Arrangements ließen wohl so manche Freudenträne rollen. Auch hier heizte eine Powerfrau ein: Heike am Bass und Gesang.

Open Air Rescue and Shelter - Kizzy Suzuki

Kizzy Suzuki, Foto: Herbert Baumgärtner

Die Ideale Weiterführung war der gerade Blues-Rock der Rusty Road Runners, beziehungsweise wäre es gewesen, denn nach ein paar Songs fiel plötzlich der gesamte Strom auf dem Gelände aus. Worst Case! Erst nach einiger Zeit gelang es, einzelne Stromkreise wieder zu aktivieren. Doch die PA und damit der Gesang musste aus Sicherheitsgründen offline bleiben. Aber die Rustys ließen sich nicht beirren. Sie drehten ihre Amps auf Anschlag und spielten den Rest des Konzerts instrumental. Dem Publikum hat es sichtlich gefallen. Fast schon süchtig wurde nach Zugaben gerufen. Hinterher sagte einer der Musiker, das sei ihr bestes Konzert seit langem gewesen. Danke Jungs! Ihr wart toll!

Open Air Rescue and Shelter - Rusty Road Runners

Rusty Road Runners, Foto: Herbert Baumgärtner

Abdancen mit Jellyfish

Nun muss endlich einmal erwähnt werden, was für ein unglaublich geiles und vielseitiges Gelände der ehemaligen Prinz-Leopold-Kaserne ist. Dank des Einsatzes des Vereins „Kulturviertel Regensburg“, kurz PrinzLeoKultur (PLK), ist hier im Grunde alles möglich! Es gibt einen riesigen freien Platz, eine riesige Überdachung, eine wunderbar geräumige Halle, einen etwas weniger großen Kubus und viele kleinere Räumlichkeiten. Es dürfte kaum etwas Künstlerisches geben, was hier nicht möglich ist: Ateliers, Bandräume, Möbelwerkstatt, Workshops, Konzerte, Theater, Ausstellungen, Performance …

Es muss deutlich ausgesprochen werden: Sollte dieses Gelände tatsächlich abgerissen werden, ist das schlicht ein Verbrechen an der Regensburger Kultur!

Wie multifunktional das Gelände ist, zeigte sich besonders beim letzten Akt des Benefiz-Festivals. Um 22 Uhr war draußen aus Lautstärkegründen natürlich Schluss. Aber in der Halle ging es bis 1 Uhr weiter. Da ließ es die Jellyfish-Crew mit DJ Hans nochmal so richtig krachen. Techno und Rave ließ die Menge schweben. Trotzdem zeigten Lautstärkemessungen, dass die maximal erlaubte Phonzahl zum nächstliegenden, bewohnten Ort, der GU, locker eingehalten werden konnte. Wo in Regensburg ist das im unkommerziellen Bereich sonst noch möglich?

Open Air Rescue and Shelter - Jellyfish

Jellyfish

Resümee und Ausblick

Da das Wetter leider nicht mitspielte, waren die Spendeneinnahmen geringer als erhofft. Trotzdem blieb ein nennenswertes Plus. Somit hat das Soli-Open-Air seinen Teil dazu geleistet, dass weiterhin Menschen auf dem Mittelmeer gerettet werden können und weiterhin Menschen, die möglicherweise vorher aus Seenot gerettet wurden, vor Abschiebungen geschützt werden können. Ein schönes Gefühl!

Doch Spenden für eine gute Sache sind nicht der einzige, positive Aspekt. In der Regel haben derartige Events viele weitere, erfreuliche Nachwehen. Die Käuferin eines Bildes der Soliausstellung, eine pensionierte Lehrerin, hat sich spontan bereit erklärt, Alphabetisierungskurse für Geflüchtete anzubieten. Schon deshalb hat sich der Aufwand und der Stress gelohnt!

Sea-Eye und BüSyl sind sich einig: Sollte das PLK-Gelände nächstes Jahr in der Form noch existieren und sollte sich an der menschenrechtswidrigen Abwehr und Abschiebung von Schutzsuchenden bis dahin nichts geändert haben, wird es vermutlich ein „Rescue & Shelter“-Open-Air 2023 geben, und 24 und 25 …

Sea-Eye und BüSyl

Kommentar abgeben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert