Regensburg, den 29.07.2020:
Offener Brief zur „Kommunalen Aufnahme“ in der Stadt Regensburg

Solidarische Stadt Regensburg unterstützt zusammen mit den Bündnispartnern Recht auf Stadt und ueTheater den offenen Brief von Seebrücke Regensburg, in dem die Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Bekenntnis der Stadtverwaltung zum Konzept der “Sicheren Häfen” gefordert wird.

Seebrücke Demo Dieselstraße

Sehr geehrte Frau Maltz-Schwarzfischer, sehr geehrte Frau Dr. Freudenstein, sehr geehrter Herr Artinger und sehr geehrte Stadtratsmitglieder der Stadt Regensburg,

auch wenn in Bayern die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, inklusive der Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung, nach und nach gelockert werden, ist die Pandemie noch längst nicht vorüber. Immer wieder werden sogenannte „Hotspots“ bekannt, in denen gehäufte Fälle neuer Corona-Infektionen auftreten. Auch Regensburg hat vor nicht allzu langer Zeit als „bundesweiter Corona-Hotspot“ Schlagzeilen gemacht. Grund dafür: die rasante Ausbreitung von Corona- Infektionen in den Sammelunterkünften für Geflüchtete. Vor dem Hintergrund, dass bereits drei geflüchtete Personen in bayerischen Sammelunterkünften an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben sind – zwei davon im April, einer Anfang Mai – ist es völlig unverständlich wie wenig sich an der Situation für die Geflüchteten in Regensburg seitdem verbessert hat.

Ganze Unterkünfte wurden unter Quarantäne gestellt. Vertreter*innen der Zivilbevölkerung erreichten einzelne Hilferufe von Bewohner*innen, die sich vor einer Ansteckung fürchten und sich um ihre Angehörigen mit Vorerkrankungen oder Risikoprofil sorgen. Die Bewohner*innen wiederum hatten aufgrund des Kontaktverbots zu Ehrenamtlichen und aufgrund der mangelhaften Versorgung mit W-Lan kaum Informationen zur Situation. Wegen der beengten Verhältnisse und der Unmöglichkeit diesen zu entkommen, bestanden kaum Möglichkeiten, die eigene Ansteckungsgefahr zu verringern. Die Quarantäne wurde in den Regensburger Geflüchteten-Unterkünften inzwischen aufgehoben. Was bleibt ist die ständige – und realistische – Sorge vor einem erneuten Ausbruch.

Denn die menschenunwürdigen Verhältnisse, in denen die Bewohner*innen untergebracht sind, bleiben. Nach wie vor werden hunderte Menschen gezwungen, auf engstem Raum miteinander zu leben. Dutzende Personen müssen sich sanitäre Anlagen und Kochmöglichkeiten teilen und können sich an die Gebote des „Social Distancing“ nicht halten, weil die Möglichkeiten dazu fehlen. Diese Personen haben nicht die Wahl dort zu leben. Sie sind der Situation und den Entscheidungen von Behörden – und somit der Gefahr durch das Corona-Virus – schlichtweg ausgeliefert. Umso mehr fordern wir alle zuständigen Behörden auf, jetzt rasch zu handeln und den Geflüchteten die Möglichkeiten zum Infektionsschutz zukommen zu lassen, die andernorts als selbstverständlich gelten.

Oftmals wurden wir mit dem Argument konfrontiert, die Sammellager seien durch die Regierung des Freistaats Bayern bzw. der Oberpfalz verwaltet und somit könne die Stadt Regensburg an der Situation der Geflüchteten in diesen Unterkünften nichts ändern. Dies ist eine Verleugnung des eigenen Handlungsspielraums. Daher stellen wir die folgenden Forderungen, die sich allesamt im Rahmen der Möglichkeiten der Stadt Regensburg befinden:

  • Kurzfristig Wohnraum anbieten: die Stadt Regensburg soll in Zeiten der Corona-Pandemie kurzfristige Lösungen finden, wie für Geflüchtete mehr Wohnraum geschaffen wird und der zentralen, beengten Unterbringung entgegengewirkt wird – beispielsweise indem Jugendherbergen und andere Gebäude, die (noch) leer stehen, ausfindig gemacht und der Regierung angeboten werden. Wichtig ist, dass die betreffenden Gebäude sich imOffener Brief zur „Kommunalen Aufnahme“ in der Stadt Regensburg Stadtgebiet befinden, sodass Schule, Arbeits- oder Ausbildungsplatz und Sozialkontakte erhalten bleiben. Besonderes Gewicht erhält die Forderung der Entzerrung auf Grundlage der Studie „SARS‐CoV‐2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete: Epidemiologische und normativ‐rechtliche Aspekte“ der Universität Bielefeld (1), die einmal mehr die besondere Gefährdung von Bewohner*innen in Sammelunterkünften unterstreicht.
  • Langfristig Wohnraum anbieten: die private Wohnsitznahme für Geflüchtete mit Arbeits- oder Ausbildungsplatz wird durch die oft monatelangen Bearbeitungszeiten im Antragsverfahren zwischen Stadt Regensburg und Regierung der Oberpfalz erschwert. Hier sollen Ermessensspielräume ausgeschöpft und das Antragsverfahren von Seiten der Stadt erleichtert und beschleunigt werden. Sämtlichen Geflüchteten in Arbeit oder Ausbildung soll der Auszug aus Gemeinschaftsunterkünften in finanzierbare Einzelunterkünfte erlaubt werden – im besten Falle wird ein gänzliches Ende der Lagerunterbringung von der Stadt proaktiv mitgestaltet. Ebenfalls soll sich die Stadt um eine Änderung bei der Ausstellung von Wohnberechtigungsscheinen für geförderte Wohnungen bemühen; diese sollten für alle bedürftigen Geflüchteten – insbesondere auch mit Duldungsstatus – ausgestellt werden.
  • Städtische Asyl-Sozialberatung in Gemeinschaftsunterkünften: wir begrüßen es, dass die Stadt ihre Asyl-Sozialberatung in den Gemeinschaftsunterkünften seit dem 17. Juli wieder aufgenommen hat. Diese war viel zu lange eingestellt, obwohl sie gerade durch die Pandemie und damit verbundene Schwierigkeiten wie Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzverluste dringend benötigt wurde. Um sie in angemessenem Rahmen bieten zu können, ist eine Erhöhung des Zuschusses an die freien Träger der Asyl-Sozialberatung notwendig. Ein Beratungsschlüssel von 1:100 ist anzustreben.
  • Psychosoziale und psychiatrische Versorgung sicherstellen: wie bereits 2019 aus einer Stellungnahme der Caritas Regensburg und des Vereins Solwodi (2) hervorging, besteht ein erheblicher Mangel an psychiatrischer und fachärztlicher Versorgung für Menschen im Ankerzentrum und den Sammelunterkünften. Zudem musste der Verein Alveno, der vergeblich um finanzielle Unterstützung der Stadt Regensburg gebeten hatte, sein psychologisches Betreuungsangebot aufgrund mangelnder Kapazitäten einstellen. Gerade Geflüchtete stellen jedoch eine besonders vulnerable Gruppe dar, nicht nur aufgrund der aktuellen Wohn- und Lebensrealität, sondern auch aufgrund der erheblichen traumatischen Erfahrungen, die viele von ihnen in den Herkunftsländern und auf der Flucht machen mussten. Die Stadt soll sich für die Schaffung einer hauptamtlichen Facharztstelle für Psychiatrie & Neurologie im Ankerzentrum und eine verbesserte Versorgung für alle Geflüchteten einsetzen. Hierfür ist auch finanzielle Unterstützung notwendig.
  • Auswirkungen auf Aufenthaltsstatus bei Kündigungen: aufgrund der Corona-Pandemie haben ca. 40 Geflüchtete in Regensburg Arbeit, Minijobs, Ausbildung oder Praktika verloren. Manche, aber nicht alle, dieser Kündigungen wurden zurückgenommen. Das Ausländeramt soll sicherstellen, dass für Geflüchtete durch Corona-bedingte Kündigungen keine Auswirkungen auf ihre Aufenthaltsstatus entstehen können. Hierzu sollen alle Ermessensspielräume vollständig zugunsten der Betroffenen ausgenutzt werden.
  • Internetversorgung für Geflüchtete: die Bereitstellung von W-Lan in den Gemeinschaftsunterkünften durch zivile Akteur*innen (Freifunk, Campus Asyl) wird immer wieder durch technische Schwierigkeiten und Kapazitätsmängel erschwert. Generell, aber insbesondere in Zeiten der Pandemie, ist ein zuverlässiger Internetzugang aber sehr wichtig für die Geflüchteten, um sich über die aktuelle Lage zu informieren, online-Sprachkurse und andere Bildungsangebote zu nutzen, Kindern die Möglichkeit auf Home Schooling zu geben und Kontakt zu Freunden und Angehörigen zu halten. Es wird um Unterstützung vonseiten der Stadt gebeten, um alle Gemeinschaftsunterkünfte mit stabilem W-Lan in ausreichender Kapazität ausstatten zu können.

Die Stadt Regensburg hat sich 2018 zum „Sicheren Hafen“ erklärt; am 23. Juli 2020 wurden nun auch der Beitritt zum Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ und die Unterzeichnung der „Potsdamer Erklärung“ (3) beschlossen. Wir begrüßen diese Schritte sehr. Allerdings betonen wir erneut: neben der aktiven Unterstützung der Seenotrettung und der Aufnahme von Geflüchteten außerhalb des Verteilungsschlüssels gehört zu einem Sicheren Hafen auch die Gewährleistung kommunalen Ankommens (Punkt 5 der acht Forderungen (4) an “Sichere Häfen”). Die Stadt soll somit für ein langfristiges Ankommen sorgen, indem alle notwendigen Ressourcen für eine menschenwürdige Versorgung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, medizinische Versorgung und Bildung zur Verfügung gestellt werden. Aktuell wird für Geflüchtete in Regensburg durch fahrlässige Vernachlässigung ihrer Situation eine Gefährdung ihres körperlichen Wohls und darüber hinaus auch ihres seelischen Wohls in Kauf genommen. Von einem „Sicheren Hafen“ ist anderes zu erwarten.


Gemeinsam mit vielen anderen Organisationen appellieren wir mit allem Nachdruck an die Verantwortlichen der Stadt Regensburg: tun Sie alles Ihnen Mögliche, dass auch Geflüchtete geschützt werden und sich selbst schützen können!

Die Seebrücke Regensburg

Erstunterzeichner*innen in alphabetischer Reihenfolge:

Ausbildung statt Abschiebung e.V.
attac Regensburg
Bund für Geistesfreiheit Regensburg
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regensburg
BürgerInnen-Initiative Asyl
CampusAsyl
Diem25 Ortsgruppe Regensburg
DKP Kreis Regensburg
GRÜNE Jugend Regensburg
GRÜNE Stadtratsfraktion Regensburg
Katholische Hochschulgemeinde Regensburg
Keine Bedienung für Nazis e.V.
KISS Regensburg
Die Linke. Kreisverband Regensburg
mut Partei Ortsgruppe Regensburg
Pax Christi Regensburg
Recht auf Stadt Regensburg
Regensburger Soziale Initiativen e.V.
Ribisl-Partie e.V.
Sea-Eye e.V.
Solidarische Stadt Regensburg
Space-Eye e.V.
ueTheater

Weitere Unterzeichner*innen in alphabetischer Reihenfolge:

Bündnis gegen Abschiebelager
Regensburg DGB Jugend Oberpfalz
eben.widerspruch
ÖDP Kreisverband Regensburg
Stadt ÖDP Stadtratsfraktion
SPD Stadtverband Regensburg

Kommentar abgeben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert