Interview mit Uni-Zeitung:
„Lautschrift“ oder Leisetreter?

Die maßgeblich von der Uni-Verwaltung finanzierte und abgesegnete Studi-Zeitung „Lautschrift“ fragte um ein Interview zur Leerstandsituation an. Wir beantworteten die Fragen schriftlich, woraus ein geglätteter und mit einigen Fehlern behafteter Text entstand. Nachdem Recht auf Stadt diese korrigierte, hieß es plötzlich, das Interview werde nicht veröffentlicht, „weil der Artikel im Moment nicht so gut reinpasst“. Falls wir unsere eigenen Antworten auf unserer Homepage veröffentlichen, dürften wir nicht die originalen Fragen benutzen und den Namen „Lautschrift“ nicht nennen. Dem kommen wir natürlich untertänigst nach und veröffentlichen nichts, sondern dokumentieren nur. Hier die Dokumentation der originalen Fragen und Antworten.

Lautschrift oder Leisetreter 1

Logo der Regensburger Studierendenzeitschrift „Lautschrift“

Wer seid ihr und was ist euer Selbstverständnis?

Recht auf Stadt Regensburg gründete sich 2015. Es kamen Menschen aus den verschiedensten Richtungen zusammen, die alle der Gedanke einte, aus Regensburg eine Kommune für Menschen zu machen. Leider haben in „marktkonformen“ Städten, wie es Regensburg eine ist, nicht die Bewohnenden das Sagen, sondern das Kapital. Es zählt nicht die Lebensqualität, sondern die bestmögliche Verwertbarkeit. Dies durchzieht alle Bereiche des gemeinsamen Lebens, Wohnen, Gesundheit, Altenpflege, Kultur, Mobilität, Bildung, Umwelt. Die Folgen dieser Politik sind so katastrophal wie bekannt: Nicht nur werden Grundbedürfnisse zunehmend zum unbezahlbaren Luxus, die Bewohnenden selbst werden zum lästigen „Beifang“ und sollten sich möglichst an den Stadtrand verdrücken, Stichwort „Gentrifizierung“. Wir setzen dagegen eine solidarische Ökonomie und absolut hierarchiefreie, konsensorientierte Basisdemokratie. 1

Wie genau sieht eure Arbeit aus?

Unsere Arbeit ist konkret. Es soll nicht nur im luftleeren Raum etwas bejammert werden, sondern wir versuchen, bestehende Missstände durch konkrete Einmischung zu beseitigen. Wir verstehen uns sozusagen als arbeitender Zusammenschluss. Allerdings ist konkrete Arbeit nicht leicht und selten von Erfolg gekrönt. Eine allgemeine Demo zu organisieren ist sicher sinnvoll und wenn ein paar Leute kommen, gilt sie als Erfolg. Aber erreicht ist damit nichts, selbst wenn Tausende teilnehmen. Wir versuchen, eine Öffentlichkeitsveranstaltung immer beispielsweise mit einer Eingabe an den Stadtrat oder Ähnlichem zu verbinden. So organisierten wir eine „Nacht der Solidarität“, bei der wir für Obdachlose am Bahnhof kochten. Gleichzeitig starteten wir eine Petition zu einer rechtlich möglichen Beschlagnahme des seit Jahren leer stehenden Hotels „Star Inn“ am Bahnhof, damit dort mit dem Konzept „Housing First“ für wohnungslosen Menschen ein menschenwürdiges Obdach geschaffen werden kann. Selbstredend lehnte der Sozialausschuss des marktkonformen Regensburger Stadtrats unsere Eingabe ab, übrigens einstimmig, mit den Stimmen von AfD bis Ribisl! 2

Warum ist eure Arbeit so wichtig, was ist eure Motivation und welche Ziele verfolgt ihr?

Leider ist unsere Arbeit nicht wichtig, denn in den nun zehn Jahren haben wir nichts Messbares erreicht. Trotz unserer Aufklärungsarbeit, Petitionen, Boykottaufrufen, Eingaben, diversen Versuchen von Hausrettungen (wie wir „Hausbesetzungen“ nennen), elaborierten Kunstaktionen, Leerstandskundgebungen, Klagen gegen die Stadtverwaltung, einem mitinitiierten Bürgerbegehren oder auch Strafanzeigen. Das Problem ist, Stadtverwaltung, Justiz und Legislative spielen nicht fair. Die rechtliche Lage kann noch so eindeutig sein, die Vorschläge noch so vernünftig und gut begründet, alles wurde und wird abgeblockt oder ignoriert. Beispielsweise konnten wir nachweisen, dass alle Behauptungen der Stadtverwaltung für die Schließung des sehr beliebten kommunalen Pflegeheims „Michlstift“ falsch bzw. frei erfunden waren. Zuletzt erreichten wir sogar per Klage beim Verwaltungsgerichtshof in München die Herausgabe eines Gutachtens, das die Eignung des Michlstift für die Pflege eindeutig bestätigte. Umsonst. Trotz damaliger hochheiliger Wahlversprechen der SPD wurde das städtische Seniorenheim von Wolbergs und der aktuellen Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer geschlossen. 3 Jetzt gibt es viel zu wenige Pflegeplätze für unsere alten Menschen in Regensburg, was wir damals schon auf der Grundlage einer stadteigenen Studie prognostizierten. Dafür bekommen private Pflegeheime ihre Häuser sogar trotz massiver Pflegemissstände 4 voll, was vermutlich der eigentliche Zweck der Schließung des Michlstifts war. Unsere Motivation und unser Ziel ist es, dass Menschen ihre Hoffnung verlieren, andere Menschen würden als Stellvertretende in ihrem Interesse handeln. Echte Demokratie kann es nur bei direkter Mitbestimmung aller geben.

Wie sieht die akute Situation in Deutschland/Regensburg zum Thema Leerstand aus und habt ihr eine Zukunftsprognose?

Die Prognose könnte düsterer kaum sein. Obwohl immer mehr Menschen verstehen, dass eine auf Egoismus, Konkurrenz und Profitgier aufgebaute Gesellschaft keinen Bestand haben kann, können sich wohl mehr Menschen das Ende der Welt vorstellen, als den Beginn einer auf Solidarität und Gemeinwohl aufgebauten Gesellschaft. Leerstand bei gleichzeitiger, verzweifelter Wohnungsnot ist nur eines der sichtbarsten Zeichen für eine allgemeine Tendenz. Wobei in Regensburg immer noch alles einen Dreh schlimmer ist als anderswo. Während in Nürnberg mit einer sogenannten Zweckentfremdungssatzung über 100 Wohnungen wieder als Wohnraum zurückgeholt werden konnten, wurde in Regensburg die Zweckentfremdungssatzung dazu missbraucht, illegale Ferienwohnungen zu legalisieren. Rückgeholte Wohnungen im gleichen Zeitraum abzüglich der rechtsmissbräuchlich legalisierten Zweckentfremdungen: minus 49! 5 So schön das wäre: „System Change, not Climate Change!“, es wird vermutlich anders herum laufen: Zuerst muss die Katastrophe endgültig sein, dann wird möglicherweise endlich Vernunft einkehren, vielleicht sogar einmal in Regensburg.

Wie kommt es zu dieser Situation, welche Faktoren spielen eine Rolle und was sind die Folgen?

Leerstand bei gleichzeitiger Wohnungsnot ist zwar ein Skandal, aber für eine kapitalistische Wirtschaftsform etwas ganz Normales und Logisches. Spekulanten spekulieren auf höhere Weiterverkaufspreise, dazu braucht es keine Mietenden. Im Gegenteil, umso mehr Not, desto rasanter steigen die Preise. Gegen Wohnungsnot hilft im Grunde nur eines: Die Abschaffung von Eigentum und stattdessen das alleinige Recht auf Besitz. Besitz ist das, was ein Mensch wirklich braucht, eben das, wo sie*er darauf „sitzt“. Anders ausgedrückt: Die Häuser denen, die drin wohnen. Eigentum aber hat die obszöne Eigenschaft, beliebig viele andere von Besitz ausschließen zu können, auch wenn die*der Eigentümer*in, die Sache gar nicht „besitzt“, also braucht. Alle andere Gründe, die von bürgerlichen Interessengruppen oft als Grund für Leerstand angegeben werden, zerstrittene Erbengemeinschaften, Baupreise etc., sind nur Nebelkerzen.

Habt ihr konkrete Forderungen an die Politik oder was wünscht ihr euch?

Wir haben keine Forderungen an die Politik. Wir machen zwar Eingaben, schreiben Aufsichtsbeschwerden oder strengen Klagen an, aber nicht in der Hoffnung, Gehör zu finden, sondern um die Entdemokratisierung unserer Kommune aufzuzeigen. Was will mensch schon von einem Stadtrat erwarten, der trotz aller von uns gelieferten Fakten einer Verwaltung die illegale Legalisierung von Zweckentfremdungen durchgehen lässt? Der alten Menschen ihr Seniorenheim wegnimmt und renditeorientierten Privatheimen in der Hand von Equity-Fonds ausliefert? Der trotz Bürger*innenbegehren über 220 günstige Studiwohnungen einfach wegsprengen lässt, wie 2022 auf dem Keplerareal geschehen? 6 Nein, wir richten uns konkret an die Menschen der Kommune Regensburg. Um eine echte Demokratie zu schaffen, müssen die Menschen über die Dinge, die sie betreffen selbst bestimmen. Aber, und das ist das Problem, echte Demokratie macht Arbeit. Ich muss mich informieren, an Treffen teilnehmen, meinen Standpunkt argumentativ vertreten, verlässlich Aufgaben erledigen usw. Leider ist unsere Gesellschaft im Moment auf Schimpfen und Hoffen auf irgendwelche Autoritäten ausgelegt. Auch viele linke Menschen denken leider oft nur in hierarchischen, autoritären Strukturen und Richtungen, was einfach nur langweilt. Was wir brauchen und was wir uns wünschen ist eine Kultur der gegenseitigen Hilfe und der selbstverständlichen Rücksicht. Wenn ich nicht zuerst an meinen Vorteil denke, sondern an den Vorteil und Nutzen für alle, ist eigentlich alles erreicht. Dann klappt es in der WG, in Gruppen, in der Kommune und die menschliche Zivilisation geht sehr wahrscheinlich auch nicht jämmerlich zugrunde. Doch wir wissen, im Moment läuft mit „Ich zuerst!“ („Amerika first!“) das gegenteilige Projekt.

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