Petition „Obdachlose in leere Hotels! Wohnen zuerst!“:
„Unser Vorschlag als Verwaltung ist daher, dass die Petition abgelehnt wird“

Mitte Januar 2022 startete das Bündnis Solidarische Stadt Regensburg die Petition „Obdachlose in leere Hotels! Wohnen zuerst!“. Darin wurde die Beschlagnahme aktuell leerstehender Hotels sowie die Einführung des Konzepts „Housing First / Wohnen zuerst“ gefordert, das Obdachlosen Wohnraum ohne jede Vorbedingung, aber mit dem Angebot sozialer und psychischer Beratung zur Verfügung stellt. Am 31.03.2022 wurde die Petition dem Stadtratsausschuss für Soziales vorgelegt.

Petitionsbild3 Homepage

Unterschlagene Informationen im Vorfeld

Das Konzept „Housing First / Wohnen zuerst“ wurde in den 90er Jahren in den USA entwickelt und seitdem mit großem Erfolg vor allem in skandinavischen Ländern angewandt. Vor allem Finnland konnte damit die Obdachlosigkeit drastisch reduzieren.

Housing First geht von dem einfachen Gedanken aus, dass es Menschen unmöglich schaffen, Probleme und Traumata, die zur Obdachlosigkeit führten oder sich in der Obdachlosigkeit entwickelten, in der Obdachlosigkeit zu bewältigen. Menschen brauchen einen Ort der Ruhe und Sicherheit, um wieder Tritt zu fassen. Deshalb stellt Housing First Obdachlosen Wohnraum ohne jede Vorbedingung zur Verfügung. Sie müssen also nicht clean werden, bevor sie eine Wohnung bekommen, sondern umgekehrt, die Wohnung soll ihnen helfen, clean zu werden.

In Regensburg spielt dieses Konzept noch keine Rolle. In keiner einzigen Stadtratsvorlage zur Obdachlosigkeit wurde der Begriff bislang erwähnt, geschweige denn als Möglichkeit diskutiert. Um dieser Wissenslücke über ein international anerkanntes Konzept zu begegnen, war der Petition der offizielle „Housing First Guide Europe“ in deutscher Sprache beigefügt. Aber zur Überraschung des Bündnisses fehlte dieser in den Anlagen zum Tagesordnungspunkt Petition. Eine sofortige Reklamation bei der Oberbürgermeisterin sowie der Ausschussvorsitzenden Freudenstein wurde nicht beantwortet.

Endlich „Housing First“, aber falsch

Auch in der Debatte über den zukünftigen Umgang mit Obdach- und Wohnungslosigkeit in Regensburg am 31.03.2022 im Ausschuss für Soziales und allgemeine Stiftungsangelegenheiten, kam der Begriff „Housing First“ kein einziges Mal vor. Erst am Schluss, als über den letzten Tagesordnungspunkt „Petition“ abgestimmt werden sollte, erwähnte die Leiterin des Sozialamts Frau Ebenhöch das Konzept:

„Das Housing First ist ein Programm für Menschen, die ein ganz besonders hohes Maß an Hilfe brauchen, um die Obdachlosigkeit hinter sich zu lassen. Und das tut man, indem man zunächst mal als Sofortmaßnahme sozusagen Wohnraum zur Verfügung stellt.“

An dieser Ausführung ist so ziemlich alles falsch, was nur falsch sein kann. Zunächst einmal ist das Konzept in keinster Weise nur für Menschen gedacht, „die ein ganz besonders hohes Maß an Hilfe brauchen“. Es wurde laut Housing First Guide entwickelt für Menschen mit „hohem Unterstützungsbedarf“, und das dürfte auf alle Menschen zutreffen, die offiziell von der Stadtverwaltung als Obdachlose erfasst werden.

Housing First ist auch keine „Sofortmaßnahme“, sondern eine Dauermaßnahme. Housing First beinhaltet nicht nur die bedingungslose Zurverfügungstellung von Wohnraum, sondern bietet von Anfang an psychosoziale Betreuung an. Gerade dieses Kernelement von Housing First wird von Frau Ebenhöch komplett unterschlagen.

Und was Frau Ebenhöch ebenfalls völlig unerwähnt lässt: Im Gegensatz zur konventionellen Obdachlosenpolitik, die auf ein Stufenkonzept bis hin zur „Mietfähigkeit“ setzt, funktioniert Housing First. Gerade für Menschen mit sehr hohem Hilfebedarf, insbesondere für Langzeitwohnungslose, bietet es einen Weg zurück. Aus dem Housing First Guide Europe:

„Finnland berichtet einen Rückgang der absoluten Anzahl langzeit-wohnungsloser Menschen seit dem Beschluss Housing First Angebote als zentralen Punkt der nationalen Strategie zur Beendigung von Wohnungslosigkeit zu implementieren. Im Jahr 2008 waren 2.931 Menschen in den zehn größten Städten langzeit-wohnungslos. Die Anzahl fiel Ende 2013 auf 2.192, was einer Reduktion von 25 % entspricht.“

Und was passiert in deutschen Städten? Die Obdachlosigkeit steigt und steigt. In Regensburg hat sie sich in den letzten Jahren laut Schätzungen der Caritas verdoppelt!

Aber was hilft die tollste Idee, wenn es am Geld fehlt. Frau Ebenhöch weiter:

„Die Idee des Housing First, die können wir mitnehmen, aber im Moment fehlen uns dafür schlicht und ergreifend einfach auch die Voraussetzungen. Wir haben keine Wohnungen. Wir können im Moment auch überhaupt nicht sagen, was das kosten würde und was für ein Betreuungsaufwand letztenendes dahinter steckt.“

Zum einen stimmt es nicht, dass es keine Wohnungen gibt. Das Bündnis verwies in der Petition auf die beiden, schon über einem Jahr leerstehenden Hotels „Star Inn“ und „Mercure“. Hotelzimmer eignen sich perfekt für Housing-First-Programme.

Zum anderen ist über die Kosten zumindest eines bekannt: Es würde billiger. Ein Anmieten der Hotels beispielsweise wäre mit Sicherheit günstiger als neue Ersatzbauten für die Notunterkünfte in der Aussiger Straße. Der Housing First Guide stellt bezüglich Kosten fest:

„Untersuchungen ergaben, dass Housing First Angebote bei niedrigeren Kosten bedeutend bessere Ergebnisse liefern konnten, als Stufenplan-Angebote. Vergleichsweise kostet somit Housing First erheblich weniger als andere Angebote der Wohnungslosenhilfe.“

Und warum ist das so? Weil Housing First Obdachlosigkeit nicht verwaltet, sondern nachhaltig beendet. Wieder aus dem Housing First Guide:

„In den meisten Fällen beenden europäische Housing First Angebote die Wohnungslosigkeit bei mindestens acht von zehn Personen“

Aber natürlich, so etwas Vernünftiges und gleichzeitig Menschenfreundliches ist für Regensburg wohl doch etwas zu revolutionär. Deshalb empfahl die Leiterin des Sozialamts abschließend:

„Unser Vorschlag als Verwaltung ist daher, dass wir uns jetzt zunächst primär mit dem Konzept beschäftigen und bitten Sie deshalb, dass die Petition insgesamt aus den genannten Gründen abgelehnt wird“.

Und die Stadträt*innen ließen sich nicht lange bitten. Der Ausschuss für Soziales und lehnte einstimmig (!) und ohne jede Debatte die Petition „Obdachlose in leere Hotels! Wohnen zuerst!“ ab.

Schwarze Pädagogik statt Adam Riese

Statt Housing First stimmte der Ausschuss für ein angeblich „dezentrales“ Modell, wobei es nicht ganz klar wurde, ob es nicht vielmehr darum geht, überhaupt keine Notunterkünfte in größerer Zahl mehr zur Verfügung stellen zu müssen. Dezentral heißt nämlich auch oft unsichtbar.

Dass diese Sorge nicht ganz unbegründet ist, zeigt die Ermittlung der Zahl Obdachloser durch die Verwaltung. Am Beginn von Bürgermeisterin Freudensteins im Ausschuss vorgelegtem „Konzept zur Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe“ wird richtig aufgeführt, welcher Personenkreis als obdachlos gilt. Dazu zählen z.B. auch Frauen in Frauenhäusern oder sogenannte „verdeckte“ Obdachlose, also Menschen die Woche für Woche auf einem anderen Sofa von Bekannten schlafen müssen, weil sie keine eigene Bleibe haben. Die Caritas, die mit ihren Streetworker*innen einen guten Überblick hat, schätzt nach diesen Kriterien die Zahl Obdachloser in Regensburg auf circa 500.

Doch als die Bürgermeisterin den tatsächliche Bedarf für Regensburg angibt, zählen plötzlich nur noch Menschen als obdachlos, die an einem bestimmten Tag „ordnungsamtlich“ einer Notunterkunft zugeteilt waren. Das heißt, sogar Menschen, die im Freien schlafen und nicht in einer Sammelunterkunft, weil sie z.B. aus Angst vor Corona nicht mit mehreren Unbekannten im gleichen Zimmer nächtigen wollen, fallen raus. Aus 500 Obdachlosen werden plötzlich nur noch 185.

Frau Ebenhöch muss zwar auf Nachfrage zugeben, dass die Dunkelziffer bei mindestens 100 bis 150 zusätzlichen Menschen liege. Aber sie und auch kein*e Stadträt*in kommt auf die Idee, eins und eins zusammenzuzählen und den Bedarf realistisch anzusetzen.

Immerhin soll ein sogenanntes „Chancenhaus“ für Familien gebaut werden. Was nett klingt, zeugt jedoch von etwas anderem: Statt einem Menschenrecht auf Wohnraum gibt‘s nur eine Chance, sozusagen nach Art eines Lottogewinns. Wer sich im Chancenhaus gut aufführt, bekommt die Chance auf eine richtige Wohnung – die es aber laut Ebenhöch gar nicht gibt.

Und damit die einmal dort untergebrachten Familien den bloß geduldeten Charakter auch ja nicht vergessen, wird das Chancenhaus mit einigen Gemeinheiten ausgestattet. So bekommen Familien keine eigene Küche oder ein eigenes Bad, sondern nur einen eigenen Herd in einer Großküche und ein abschließbares Badabteil in einem gemeinsamen Waschraum. Dies soll zum einen der Kontrolle dienen, aber auch das Leben dort nicht ganz so angenehm gestalten, wie die Bürgermeisterin offen zugibt. Nicht damit Familien noch einfällt, im Chancenhaus auf Dauer bleiben zu wollen!

Den Bedarf klein rechnen und möglichst unwohnlich? Das ist alles, was Housing First nicht ist: Schwarze Pädagogik und einen Scheiß auf Adam Riese geben.

 


Liste der Stadträt*innen, welche die Petition ablehnten

Im Ausschuss für Soziales und allgemeine Stiftungsangelegenheiten sind insgesamt 17 Stadträt*innen vertreten. Alle, von AfD bis Ribisl, lehnten die Petition geschlossen ab. Diese, bzw. deren Vertretungen an dem Tag waren:

Erhard Brucker (AfD)
Theresa Eberlein (Bündnis 90/Die Grünen)
Daniel Gaittet (Bündnis 90/Die Grünen)
Monir Shahedi (Bündnis 90/Die Grünen)
Dr. Astrid Freudenstein 2. Bürgermeisterin (CSU)
Dagmar Schmidl (CSU)
Ariane Weckerle (CSU)
Bernadette Dechant (CSU)
Erich Tahedl (CSU)
Alexander Irmisch (SPD)
Hans Holler (SPD)
Thomas Mayr (Brücke)
Ernst Zierer (Brücke)
Gabriele Opitz (FDP)
Astrid Lamby (ÖDP)
Günther Riepl (Freie Wähler)
Jakob Friedl (Ribisl)

 

Kommentar

  1. Eisenbeis Bernhard

    Regensburg und seine Politiker haben sich mal wieder mit schwarzem Ruhm bekleckert! Schande für alle Politiker besonders die sogenannten “Grünen und Sozialen “ Schande! Von AfD (Adolf für Deutschland) sowie den Lederhosen ( CSU) nichts anderes erwartet! Zwei leere Hotels doch keinen Platz für die bald frierenden Menschen im eigenen Lebensraum! Die Stadt sollte sich ein Beispiel nehmen was machbar ist zeigt die Familie Buschheuer Euch allen seit Jahren, doch die Politik versagt wie schon so oft in dieser Stadt! Eigentlich sehr traurig !

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