Kommunales Pflegeheim St. Michael:
Kein Gutachten? Recht auf Stadt reicht Befangenheitsantrag ein

„Jede Einwohnerin und jeder Einwohner der Stadt Regensburg im Sinne des Art. 15 Abs. 1 GO hat Anspruch auf freien Zugang zu den bei der Stadtverwaltung vorhandenen amtlichen Informationen nach Maßgabe dieser Satzung.“ So steht es in Paragraph 1 der 2011 vom Stadtrat Regensburg verabschiedeten Informationsfreiheitssatzung. Doch mit immer neuen Ausflüchten wurden Vertreter*innen von Recht auf Stadt amtliche Informationen vorenthalten oder nur zu Bedingungen gewährt, die eine Auswertung so gut wie unmöglich machten. Schließlich wurde es Recht auf Stadt zu dumm und es reichte beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage ein. Die Stadtverwaltung wollte partout ein Gutachten über die weitere Eignung des Michlstifts als Alten- und Pflegeheim nicht herausgeben. Schon über 3 Jahre wartet die Initiative auf eine Entscheidung. Nun will das Verwaltungsgericht im Hauruckverfahren anscheinend die Klage zugunsten der Stadtverwaltung abwürgen. Ein Bescheid zur Ablehnung von Prozesskostenhilfe soll offensichtlich als vorweggenommenes Urteil dienen und Recht auf Stadt zum Aufgeben zwingen. Die Begründung der Ablehnung ist nach Ansicht der Initiative derart haarsträubend, dass diese sofortige Beschwerde einlegte und einen Befangenheitsantrag gegen alle drei beteiligten Richter*innen stellte.

35 Verwaltungsgericht

Verwaltungsgericht Regensburg – Kein Hort der Demokratie

Keine Prozesskostenhilfe

Hat jemand nicht das Geld für eine anwaltschaftliche Vertretung, besteht Anspruch auf Prozesskostenhilfe (PKH). Denn gegenüber potenteren Gegnern soll vor Gericht Waffengleichheit herrschen. Diese ist im vorliegenden Fall bitter nötig, da der ehrenamtlichen Initiative Recht auf Stadt das komplette Rechtsamt der Großstadt Regensburg gegenübersteht. Doch der Antrag des Aktivisten von Recht auf Stadt auf PKH wurde trotz nachgewiesener finanzieller Bedürftigkeit abgelehnt.

Dies ist nicht ungewöhnlich. Recht auf Stadt macht regelmäßig die Erfahrung, dass PKH von Regensburger Gerichten höchst eigenwillig vergeben wird. Oft wird diese erst zugesprochen, wenn sie im Grunde nichts mehr nützt: Während oder sogar nach (!) dem Prozess. Warum? Nun, vermutlich ist mit Hilfe des Zuckerls „Prozesskostenhilfe“ die bedürftige Prozesspartei viel eher bereit, einem Vergleich zuzustimmen. Das spart der Richterschaft eine Menge Arbeit: Es muss kein Urteil geschrieben werden und es droht keine Berufung. Fall abgehakt. Und ist der Prozess gewonnen, kann Richter*in ja Prozesskostenhilfe großzügig verteilen, denn zahlen tut dann sowieso alles die unterlegene Partei.

Wenn trotzdem im Vorfeld entschieden wird, dann hat dies ebenfalls anscheinend oft prozessökonomischen Charakter. Denn meist wird PKH wegen angeblich geringer Erfolgsaussichten verweigert. Das heißt dann: Gib auf! Du hast keine Chance! Sparen wir uns das Ganze! Was aber noch lange nicht bedeutet, dass im Prozess nicht doch noch PKH zugesprochen werden kann! Auch das haben Aktivisten von Recht auf Stadt schon erlebt. Denn, wie oben schon gesagt, das Druckmittel PKH ist für Regensburger Richter*innen schätzungsweise oft nur dazu da, Vergleiche damit zu erreichen.

Nun ist Recht auf Stadt womöglich noch auf eine weitere funktionale Anwendung gegen Sinn und Zweck von PKH an Regensburger Gerichten gestoßen: Das vorweggenommene Urteil. Im Gesetz heißt es so schön, PKH müsse gewährt werden, wenn hinreichende Erfolgsaussichten bestehen und die Klage nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Logisch, denn die tatsächlichen Erfolgsaussichten sollen ja in einem Verfahren mit professioneller, anwaltschaftlicher Unterstützung geklärt werden.

Doch der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg gegen PKH in Sachen Gutachten Michlstift gleicht in seinem Umfang und Detailtiefe einem Urteil. Von wegen hinreichend! Es wurde offensichtlich einzig der angeblich tatsächliche Erfolg geprüft. Damit wird das System PKH vollkommen pervertiert. Um überhaupt noch eine Chance auf PKH und damit auf anwaltliche Unterstützung zu bekommen, braucht es bereits anwaltliche Unterstützung!

Nur 14 Tage

Neben der Ablehnung von PKH, gegen die Recht auf Stadt innerhalb von 14 Tagen Beschwerde einlegen musste – ohne rechtsanwaltschaftliche Hilfe! – flatterte zeitgleich (!) die Anfrage des Verwaltungsgerichts ein, ob die Beteiligten mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden wären. Und jetzt kommt der Hammer! Sollten die Beteiligten nicht damit einverstanden sein – und da das Urteil durch den PKH-Bescheid faktisch feststeht, ist das Recht auf Stadt selbstverständlich nicht – werde vom Gericht in Betracht gezogen, das Verfahren nur per Gerichtsbescheid abzuwickeln. Zitat:

„Das Gericht bittet um Mitteilung, ob in vorliegender Streitsache Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 101 Abs. 2 VwGO besteht. Falls nicht, zieht das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Betracht (§ 84 VwGO).“

Das heißt, das Verwaltungsgericht will das Verfahren ohne jede Beteiligung der Öffentlichkeit, wozu ja eine mündliche Verhandlung auch dienen soll, nach 3 Jahren fast faktischem Nichtstuns innerhalb von nur 14 Tagen geräuschlos ad acta legen!

Selbstredend beeilte sich das Rechtsamt der Stadtverwaltung Regensburg gegen dieses Vorgehen „keine Einwände“ zu haben. Unterstreichung im Original.

Befangenheitsantrag

Wegen dieses durchsichtigen Schelmenstücks reichte Recht auf Stadt neben der Beschwerde gegen die Verweigerung von PKH auch einen Antrag wegen Befangenheit gegen die verantwortlichen Richter*innen ein. Allerdings bezog sich die Initiative im Antrag weniger auf den zeitlichen Druck, sondern stützte sich hauptsächlich auf die Begründung der PKH-Ablehnung seitens der Richter*innen. Denn deren Ausführungen sind nach Meinung der Initiative nicht nur haarsträubend einseitig. Die Richter*innen schrecken offenbar nicht einmal davor zurück, eindeutige Vertragsbedingungen zugunsten der Regensburger Stadtverwaltung umzuinterpretieren und sogar umzuschreiben.

Vertrag

Unmissverständlich heißt es nämlich in der Auftragsbestätigung vom 19.12.2013, dass der Auftragnehmer, also der Gutachtenersteller Kuratorium Deutsche Altenhilfe (KDA), den Auftraggeber, also die Stadtverwaltung Regensburg, um Erlaubnis zu fragen habe, wenn das Gutachten an Dritte weitergegeben werden soll. Umgekehrt gibt es keine Vertragsvereinbarung, welche die Stadtverwaltung zu Selbigem verpflichtet. Dieser Sachverhalt wird vom KDA am 08.10.2019 ausdrücklich bestätigt:

„Wir haben uns als Auftragnehmerin verpflichtet, über alle auftraggeberbezogenen Informationen bei der Vertragsdurchführung Stillschweigen zu bewahren. Eine Weitergabe an Dritte bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung durch unseren Auftraggeber.“

Trotzdem behauptet die Stadtverwaltung, sie dürfe vertraglich das Gutachten nicht ohne Erlaubnis an Dritte weitergeben, und diese Erlaubnis sei vom KDA nicht erteilt worden. Das Gericht folgt dieser Behauptung. Aus dem PKH-Ablehungsbescheid:

„Die Herausgabe einer Kopie des Gutachtens durch die Beklagte [Stadtverwaltung Regensburg, R.a.S.] würde sich für diese als eine nach der Vereinbarung unzulässige Weitergabe an Dritte darstellen.“

„Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Beigeladenen [KDA, R.a.S.] als Auftragnehmer zur Herausgabe einer Kopie an den Kläger liegt nicht vor.“

Allerdings scheint auch den Richter*innen aufgefallen zu sein, dass sich nirgends eine derartige Klausel finden lässt. Und so schreiben sie die ursprüngliche Vereinbarung einfach um:

„Die Einwilligung war dabei auch nach Sinn und Zweck von der Beigeladenen als Auftragnehmer und nicht „durch den Auftragnehmer“, wie der insofern missverständliche Wortlaut der Vereinbarung nahelegt, einzuholen.“

Missverständlich ist aber an der Vertragsklausel gar nichts. Diese lautet nämlich:

„Weitergabe an Dritte etc. bedürfen der vorherigen schriftlichen Einwilligung, die durch den Auftragnehmer [KDA, R.a.S] schriftlich einzuholen ist.“

Sogar juristische Laien erkennen, wer hier fragen muss und wer nicht.

Urheberrecht

Neben den Vertragsklauseln beruft sich die Stadtverwaltung auch auf das Urheberrecht, das eine Herausgabe angeblich verbiete. Für einen Urheberrechtsschutz braucht es aber eine gewisse Schöpfungshöhe. Daher bemühen sich die Richter*innen redlich und werden tatsächlich fündig, allerdings nur in einem einzigen (!) Fall. Es handelt sich um eine fünfspaltige Tabelle, die fünf Generationen des Altenwohnbaus aufführt, nebst grafischer Darstellung des jeweiligen Wohnbaukonzepts. Diese loben die Richter*innen ausführlich:

„Die individuelle Prägung der schöpferischen Leistung zeigt sich in diesem für den Betrachter aus der Darstellung ergebenden belehrenden Charakter und weist damit urheberrechtliche Qualität auf.“

Belehrend ist aber in der Grafik wenig, entlehrend dagegen viel. Die vierte Generation (Ende der 90er Jahre bis heute) habe laut Richter*innen das Leitbild „Familie“. Im Ernst? Die modernen, gewinnorientierten Altenheimkastenburgen, wo eine Pflegekraft kaum noch Zeit für eine ausreichende, minimale Grundversorgung der Bewohner*innen hat, sei „Familie“? Wer‘s glaubt, wird wohl Richter*in.

Funfakt: Nach der Angabe im Bescheid „fünf Generationen des Altenwohnbaus“ ist die Grafik nach Sekunden dutzendweise im Internet zu finden, offensichtlich oft mit Autorisation des KDA.

Demokratie

Übrigens verstößt auch die Herausgabe einer tatsächlich urheberrechtsgeschützten Kopie noch lange nicht gegen das Urheberrecht. Wäre das so, dürften Studierende keinerlei Kopien aus urheberrechtlich geschützten Werken anfertigen. Erst wenn derartige Kopien veröffentlicht werden, liegt eine Urheberrechtsverletzung vor!

Das ficht aber die Richter*innen anscheinend nicht an, denn man kennt das ja: Die bösen Leutchen von Recht auf Stadt würden damit bestimmt an die Öffentlichkeit gehen! Deshalb prophezeien sie:

„Im Hinblick auf die klägerischen Äußerungen im Schriftsatz vom 9. Dezember 2016, in dem der Kläger vorträgt, dass das Bürgerstift St. Michael von der Beklagten aus für den Bürger rational nicht nachvollziehbaren Gründen geschlossen worden sei, der Öffentlichkeit würden sie betreffende Informationen vorenthalten, und er dabei als Mitglied der Initiative „Recht auf Stadt – Regensburg“ die Herausgabe einer Kopie des Gutachtens anfordert, um etwaige von der Beklagten getroffene Fehlentscheidungen aufzudecken, verlässt dies die Sphäre des privaten bzw. eigenen Gebrauchs. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger die Informationen einer breiten Masse zugänglich machen will, um öffentlichkeitswirksam auf etwaige Missstände bei der Beklagten hinzuweisen.“

Furchtbar! Die „breite Masse“ könnte eventuell von „etwaigen Missständen bei der Beklagten“, der Stadtverwaltung Regensburg, erfahren! Noch Fragen?

Kommentar

  1. Jürgen

    Klasse so, KÄMPFT WEITER !!!

    Hatte selbst schon einige “Erfahrungen” mit unserem Justizsystem (alle möglichen Bereiche und Instanzen), ging bis in die obersten Instanzen, Justizministerium, Petition im Landtag und diverses mehr.

    Und natürlich hab ich auch einige Male verloren.

    Aber der Kampf gegen dieses Selbstherrlichkeit per se war es wert.

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