Petition „Obdachlose in leere Hotels! Wohnen zuerst!“:
Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde über Bgm Freudenstein und Sozialamtsleiterin Ebenhöch

Um das Soziale ist es in Regensburg schlecht bestellt. Über die Verwaltung und dem Stadtrat ist das schon seit längerem bekannt. Doch das Bündnis Solidarische Stadt Regensburg musste die Erfahrung machen, dass auch Organisationen wie die “Sozialen Initiativen” kräftig daran mitmischen, dass sich nichts zum Positiven ändert. Die Obdachlosenzeitung “Donaustrudl” orderte einen verkürzte Version unseres Artikels “Unser Vorschlag als Verwaltung ist daher, dass die Petition abgelehnt wird”. Doch der Vorsitzende der Sozialen Initiativen Reinhard Kellner legte ein Veto ein. Vieles sei darin falsch! Der Artikel dürfe erst in der nächste Ausgabe mit einer von ihm verfassten Gegendarstellung erscheinen. Das war im April. Bis heute ist weder unser Artikel über Obdachlosigkeit in der Zeitung für Obdachlose erschienen, noch die “Berichtigungen” Kellners. Kann es sein, dass der Chef der Sozialen Initiativen, der sich nicht zu schade war, sich öffentlich hinter die von uns massiv kritisierten Pläne bezüglich des künftigen Umgangs mit Obdachlosen der “Sozial”-bürgermeisterin Freudenstein zu stellen, keine Fehler gefunden hat?

Bild des leerstehenden Hotels Star Inn in Regensburg als Illustration der Petition Obdachlose in leere Hotels! Wohnen zuerst!

An
Regierung der Oberpfalz
Emmeramsplatz 8
93047 Regensburg

 

Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde über

  • Astrid Freudenstein, Bürgermeisterin von Regensburg
  • Doris Ebenhöch, Leiterin des Amtes für Soziales

 

Sehr geehrte Damen und Herren der Regierung der Oberpfalz,

Unser Bündnis Solidarische Stadt Regensburg reichte am 09.02.2022 die Petition Obdachlose in leere Hotels! Wohnen zuerst!1 in den Regensburger Stadtrat ein. Am 31.03.2022 wurde unsere Eingabe im Ausschuss für Soziales und allgemeine Stiftungsangelegenheiten als Vorlage VO/22/18830/50 behandelt. Leider war die Darlegung unserer Petition durch Bürgermeisterin Astrid Freudenstein und der Leiterin des Amtes für Soziales Doris Ebenhöch derart unzureichend und fehlerhaft, dass wir Beschwerde einlegen müssen.

Unseres Erachtens wurden die Rät*innen im Regensburger Stadtrat nicht nur fehlerhaft von Freudenstein und Ebenhöch unterrichtet, es wurden sogar bewusst Teile der Petition unterschlagen. Wir fühlen uns als Bürger*innen dieser Stadt, die sich aktiv an der sozialen Ausgestaltung unseres Gemeinwesens beteiligen, missachtet und diskriminiert.

Außerdem hat die Verwaltung die Stadträt*innen umfassend und objektiv zu informieren, damit diese verantwortungsvoll und bestmöglich entscheiden zu können. Werden diesen Informationen vorenthalten, verstößt die Verwaltung gegen ihren dienstlichen Auftrag.

Sachverhalt

Unterschlagung von Anlagen

Als unsere Petition als Tagesordnungspunkt im Sitzungskalender auf der Homepage der Stadt veröffentlicht wurde, mussten wir feststellen, dass zwei wichtige Anlagen fehlten. Es waren dies ein Facebookeintrag, in dem wir die Stadträt*innen über das Verhalten von Bürgermeister Ludwig Artinger gegenüber Unterschriftensammler*innen für unsere Petition informierten.

Darüber hinaus wurde auch der ebenfalls eingebrachte „Housing First Guide Europe“ (siehe Anhang) den Stadträt*innnen vorenthalten. Das Konzept „Housing First“ wurde bislang im Stadtrat noch nie behandelt. Es war also von entscheidender Bedeutung, dass die Stadträt*innen vorab informiert werden, damit sie in der Sitzung eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen können. Wie wichtig dies gewesen wäre, zeigen die Ausführungen von Frau Ebenhöch, auf die wir weiter unten eingehen werden.

Per Email vom 23.03.2022 (siehe Anhang) an Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer sowie Bürgermeisterin Astrid Freudenstein, die den betreffenden Ausschuss am 31.03.2022 leiten sollte, baten wir darum, die Petition zu vervollständigen. Wir schrieben:

„Außerdem, was viel wichtiger ist, fehlt der Housing First Guide. Die Öffentlichkeit sowie die Stadträt*innen haben so keine Möglichkeit, sich ohne umständliche Recherche aus der Vorlage über dieses Konzept ausreichend zu informieren. Dies wiegt um so schwerer, als von Frau Freudenstein in ihren Ausführungen zur Obdachlosigkeit in Tagesordnungspunkt Ö2 kein einziges Wort zu dem zukunftsweisenden Konzept “Housing First” gesagt wird.

Wir bitten Sie, die entsprechenden Anlagen umgehend anzuhängen.“

Weder bekamen wir eine Antwort, was wir als äußerst respektlos betrachten, noch wurden die Anlagen nachgereicht. Das ist bis heute so, wie der Aufruf des betreffenden Tagesordnungspunktes im Sitzungskalender2 belegt.

Behandlung im Stadtrat

Wir stützen uns im Folgenden hauptsächlich auf unsere Auswertung der betreffenden Stadtratssitzung, die wir am 25.04.2022 als Information für die Petitionszeichner*innen in der Bündniszeitung veröffentlichten. Der Titel des Artikels ist ein Zitat Frau Ebenhöchs während der Ausschusssitzung am 31.03.2022: „Unser Vorschlag als Verwaltung ist daher, dass die Petition abgelehnt wird“.

In dieser Sitzung wurden entscheidende Weichen für den zukünftigen Umgang mit Obdachlosigkeit in Regensburg gestellt. Bürgermeisterin Freudenstein legte ein „Konzept zur Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe“ vor. Gerade deshalb wäre es so wichtig gewesen, auf die in der Petition geforderte Methode „Housing First“ einzugehen, welche laut Studien offenbar das einzige Konzept ist, mit dem Obdachlosigkeit deutlich und nachhaltig reduziert werden kann. Doch während der gesamten Debatte über das von Bürgermeisterin Freudenstein vorgestellte Konzept kam der Begriff „Housing First“ kein einziges Mal vor. Dies ist extrem auffällig, da „Housing First“ mittlerweile einer der zentralen Begriffe bei der Bekämpfung von Obdachlosigkeit ist. Wir gehen davon aus, dass dies vor allem an der mangelnden Information der Stadträt*innen durch die Verwaltung liegt.

Als am Ende als letzter Tagesordnungspunkt unsere Petition behandelt wurde, ließ sich der Begriff „Housing First“ nicht mehr vermeiden. Doch nun wurde von der Leiterin des Amtes für Soziales, Frau Doris Ebenhöch, der Begriff völlig unzureichend dargestellt. Auszug aus der von der Stadtverwaltung veröffentlichten Audioaufzeichnung der Sitzung:

„Das Housing First ist ein Programm für Menschen, die ein ganz besonders hohes Maß an Hilfe brauchen, um die Obdachlosigkeit hinter sich zu lassen. Und das tut man, indem man zunächst mal als Sofortmaßnahme sozusagen Wohnraum zur Verfügung stellt.“

An dieser Ausführung ist so ziemlich alles falsch, was nur falsch sein kann. Zunächst einmal ist das Konzept in keinster Weise nur für Menschen gedacht, „die ein ganz besonders hohes Maß an Hilfe brauchen“. Es wurde laut Housing First Guide entwickelt für Menschen mit „hohem Unterstützungsbedarf“, und das dürfte auf alle Menschen zutreffen, die offiziell von der Stadtverwaltung als Obdachlose erfasst werden.

Housing First ist auch keine „Sofortmaßnahme“, sondern eine Dauermaßnahme. Housing First beinhaltet nicht nur die bedingungslose Zurverfügungstellung von Wohnraum, sondern bietet von Anfang an psychosoziale Betreuung an. Gerade dieses Kernelement von Housing First wird von Frau Ebenhöch komplett unterschlagen.

Und was Frau Ebenhöch ebenfalls völlig unerwähnt lässt: Im Gegensatz zur konventionellen Obdachlosenpolitik, die auf ein Stufenkonzept bis hin zur „Mietfähigkeit“ setzt, funktioniert Housing First. Gerade für Menschen mit sehr hohem Hilfebedarf, insbesondere für Langzeitwohnungslose, bietet es einen Weg zurück. Aus dem Housing First Guide Europe:

„Finnland berichtet einen Rückgang der absoluten Anzahl langzeit-wohnungsloser Menschen seit dem Beschluss Housing First Angebote als zentralen Punkt der nationalen Strategie zur Beendigung von Wohnungslosigkeit zu implementieren. Im Jahr 2008 waren 2.931 Menschen in den zehn größten Städten langzeit-wohnungslos. Die Anzahl fiel Ende 2013 auf 2.192, was einer Reduktion von 25 % entspricht.“

Und was geschieht in deutschen Städten? Die Obdachlosigkeit steigt und steigt. In Regensburg hat sie sich in den letzten Jahren laut Schätzungen der Caritas verdoppelt.

Sozialamtsleiterin Ebenhöch führt weiter aus:

„Die Idee des Housing First, die können wir mitnehmen, aber im Moment fehlen uns dafür schlicht und ergreifend einfach auch die Voraussetzungen. Wir haben keine Wohnungen. Wir können im Moment auch überhaupt nicht sagen, was das kosten würde und was für ein Betreuungsaufwand letztenendes dahinter steckt.“

Auch diese Darstellung ist falsch. Zum einen gibt es in Regensburg genügend Wohnungen, die sich für Housing First hervorragend eignen würden. In unserer Petition verwiesen wir darauf, das im Moment zwei komplette Hotels mit rund 500 Zimmern leer stehen, das „Star Inn“ und das „Mercure“.

Zum anderen ist über die Kosten zumindest eines bekannt: Es würde billiger. Ein Anmieten der Hotels beispielsweise wäre mit Sicherheit günstiger als neue Ersatzbauten für die Notunterkünfte in der Aussiger Straße. Auch der Housing First Guide stellt bezüglich Kosten fest:

„Untersuchungen ergaben, dass Housing First Angebote bei niedrigeren Kosten bedeutend bessere Ergebnisse liefern konnten, als Stufenplan-Angebote. Vergleichsweise kostet somit Housing First erheblich weniger als andere Angebote der Wohnungslosenhilfe.“

Und warum ist das so? Weil Housing First Obdachlosigkeit nicht verwaltet, sondern nachhaltig beendet. Wieder aus dem Housing First Guide:

„In den meisten Fällen beenden europäische Housing First Angebote die Wohnungslosigkeit bei mindestens acht von zehn Personen“

Offensichtlich ist „Housing First“ das einzige Konzept, mit dem sich das von Bürgermeisterin Freudenstein erwähnte EU-Ziel, bis 2030 Obdachlosigkeit abzuschaffen, erreichen ließe.

Doch alle das Konzept betreffenden Informationen wurden den Stadträt*innen von der Verwaltung der Bürgermeisterin als Verantwortliche bewusst (!) vorenthalten.

Stattdessen werden die Stadträt*innen aufgefordert, die Petition, deren Inhalt sie im Grunde nicht kennen und ihnen auch falsch erklärt wurde, abzulehnen. Ebenhöch:

„Unser Vorschlag als Verwaltung ist daher, dass wir uns jetzt zunächst primär mit dem Konzept [von Bürgermeisterin Freudenstein, SSR] beschäftigen und bitten Sie deshalb, dass die Petition insgesamt aus den genannten Gründen abgelehnt wird“.

Wie nicht anders zu erwarten, lehnten die Ausschussmitglieder die Methode, mit der sich nachweislich Obdachlosigkeit deutlich verringern ließe und damit das Leid der betroffenen Menschen erheblich reduziert werden könnte, einstimmig ab.

Forderungen

Wir sind entsetzt über das Niveau, mit der in Regensburg über das so wichtige Thema diskutiert wird. Wir sind entsetzt darüber, dass auf der Grundlage offensichtlicher Unwissenheit Entscheidungen getroffen werden, die nachweichslich nichts am Status Quo der steigenden Obdachlosigkeit ändern werden. Da dies nicht nur eine kommunale Angelegenheit ist, sondern auch EU- und damit Bundesrecht betrifft, ist es dringend erforderlich, dass die Regierung der Oberpfalz die absichtlich unzureichende Information des Stadtrats durch die Verwaltung rügt.

  • Wir fordern, dass die entsprechende Debatte im Stadtrat nachgeholt und neu entschieden wird.

  • Wir fordern, dass zu dieser Debatte eine vom Bündnis Solidarische Stadt Regensburg vorgeschlagene Fachperson hinzugezogen wird, die objektiv die Stadträt*innen informiert.

Mit freundlichen Grüßen,
(Unterschrift) / Bündnis Solidarische Stadt Regensburg

Anlagen

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