Staatsanwaltschaft will nicht gegen AfD ermitteln:
AfD-Anzeige: Hanebüchene Gründe für Einstellung

Das Bündnis “Solidarische Stadt Regensburg” stellte Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen die Herausgeber*innen eines Flugblattes, das von der AfD am 05.11.2019 auf dem Regensburger Domplatz verteilt wurde. Die Regensburger Staatsanwaltschaft will die Ermittlungen einstellen, da “der Flyer keinen strafrechtlich relevanten Inhalt hat.” Insbesondere wird von der Staatsanwaltschaft angeführt, es gehe im Flugblatt gar nicht um “alle Flüchtlinge”, sondern lediglich um “die Einschleusung von Wirtschaftsmigranten, also von Flüchtlingen, die keine Gründe für ihre Flucht haben, die ein Asylrecht begründen könnten”. Solidarische Stadt hat gegen diese durch nichts belegte Behauptung Beschwerde eingelegt. Anbei die Dokumentation der Beschwerde. Hier das anonymisierte Schreiben der Regensburger Staatsanwaltschaft.

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Infostand der AfD mit Motiv „SICHERE STÄDTE STATT „SICHERE HÄFEN“!“ auf Rollup

Sehr geehrte Generalstaatsanwaltschaft,

hiermit wird Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Regensburg erhoben, die eigentlich die Anzeige gegen die Fraktionsvorsitzenden der AfD im bayerischen Landtag Frau Katrin Ebner-Steiner sowie Herrn Prof. Dr. Ingo Hahn wegen Volksverhetzung bearbeiten sollte.

„Eigentlich“, da keinerlei Bearbeitung erkennbar ist. Weder wurden die Angezeigten befragt, noch wurden einschlägige Quellen zur Beurteilung herangezogen, wie beispielsweise Informationen des Verfassungsschutzes. Auch der gesellschaftliche Kontext, der für eine Bearbeitung eines Verfahrens wegen Volksverhetzung unabdingbar ist, blieb völlig außer Acht. Bei einer ordentlichen Bearbeitung wäre es mit Sicherheit zu keiner Einstellung gekommen:

  • Eine Befragung der Angezeigten dahingehend, wen Sie im Flugblatt mit „kriminelle Schleuser und Schlepper“ sonst gemeint haben könnten, wenn nicht die im Flugblatt erwähnte „Seenotrettung auf dem Mittelmeer“, hätte die absurden These der Staatsanwaltschaft, ein Zusammenhang lasse sich nicht herauslesen, schnellstens widerlegt.
  • Der Verfassungsschutz nannte den sogenannten Flügel der AfD eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ und erklärte ihn zum Beobachtungsfall. Die Flugblatt-Herausgeberin Frau Katrin Ebner-Steiner wird diesem rechten Flügel zugeordnet. Vor kurzem empfing sie dessen Repräsentanten Björn Höcke, der offiziell Faschist genannt werden darf, im Bayerischen Landtag mit einer innigen Umarmung, wie die Presse schrieb.1 Die Landtagspräsidentin Frau Ilse Aigner verbot Höcke den Zugang zur Plenarbühne und äußerte: „Herr Höcke muss wissen, dass er als Faschist und jemand, der unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, hier nicht willkommen ist.“ Trotzdem scheint die Staatsanwaltschaft davon auszugehen, bei den AfD-Fraktionsvorsitzenden handele es sich um lupenreine Demokraten, die kein Wässerchen trüben können und selbstverständlich nur die besten, rechtsstaatlichen Absichten haben. Denn sie hätten ja lediglich dazu aufgerufen „die Einschleusung von Wirtschaftsmigranten, also von Flüchtlingen, die keine Gründe für ihre Flucht haben, die ein Asylrecht begründen könnten, zu unterbinden“, so die Staatsanwaltschaft. Jeder „verständige Durchschnittsleser“, den die Staatsanwaltschaft als Maßstab anführt, weiß jedoch: Wer von einer „Umsiedlungsmaschinerie“, wie es im Flugblatt heißt, schwadroniert, hat keine rechtsstaatlichen, sondern rassistische und damit volksverhetzende Ziele.
  • Statistisch werden jeden Tag mehr als fünf Straftaten gegen Geflüchtete verübt.2 Jeden zweiten bis dritten Tag gibt es Übergriffe auf Geflüchtetenunterkünfte. Menschen, die sich für Schutzsuchende einsetzen, erhalten Morddrohungen. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeigt, dass es nicht bei Drohungen bleibt. Der Hauptangeklagte Stephan Ernst sagte im Prozess aus, die Teilnahme an einer AfD-Demonstration in Chemnitz am 1. September 2018 sei für ihn der Auslöser für die konkrete Planung der Tat gewesen.3 Da ein direkter Zusammenhang zwischen Hassbotschaften und Taten besteht, wurde von der Bundesregierung mit dem „Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität“ der Strafkatalog für derartige Verbrechen erweitert und die einzelnen Strafmaße erhöht. Der Bayerische Justizminister Eisenreich äußerte zu diesem Gesetz: “Hasskriminalität unterdrückt die Meinungsfreiheit anderer und vergiftet das gesellschaftliche Klima. Zudem kann aus Hass und Hetze reale Gewalt entstehen. (…) Wer die Demokratie und die Meinungsfreiheit schützen will, muss strafbaren Hass konsequent bekämpfen.”4 Die Staatsanwaltschaft blendet die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die bei einer Anzeige wegen Volksverhetzung als erstes in Betracht gezogen werden müssten, vollkommen aus. Dies hat mit einer seriösen juristischen Vorgehensweise nichts zu tun. Mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, nichts zu unternehmen, werden die politischen Bemühungen, Hasskriminalität einzudämmen, geradezu torpediert. Denn was kann hasserfüllter und hetzerischer sein, als in einem Flugblatt, das auch prominent auf der Startseite der AfD-Homepage präsentiert wurde, Flüchtlingshelfende als „kriminelle Schleuser“ hinzustellen und Flüchtende pauschal und ohne Abstriche als „Gefahr“ zu bezeichnen?

Alle diese Punkte hätte die Regensburger Staatsanwalt berücksichtigen müssen. Stattdessen führte sie Begründungen dafür an, dass es im Flugblatt „keinen strafrechtlich relevanten Inhalt“ gebe, die den Tatbestand der Rechtsbeugung zu erfüllen scheinen.

Nun die Ausführungen der Staatsanwaltschaft im Einzelnen. Alle eingerückten Zitate stammen aus dem Schreiben vom 19. Juni 2020.

Seenotrettung

Zunächst geht die Staatsanwaltschaft auf die Unterstützer*innen von Schutzsuchenden ein, die in der Anzeige an zweiter Stelle als von der Hetze betroffene, gesellschaftliche Gruppe angeführt wurden. Allerdings erwähnt die Staatsanwaltschaft hierbei nur die Seenotrettung.

„In dem Flyer wendet sich die AfD gegen die Seenotrettung im Mittelmeer. „Dubiose Nichtregierungsorganisationen und linksradikale Hobbykapitäne“ würden als Shuttleservice fungieren. Der Straftatbestand der Volksverhetzung setzt jedoch voraus, dass eine aufgrund bestimmter Merkmale von der übrigen Bevölkerung unterscheidbare Gruppe von Personen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr abgrenzbar ist, betroffen sein muss. Mit den Hobbykapitänen dürften die Kapitäne gemeint sein, die u.a. für den Verein Sea-Eye Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten. Diese Kapitäne sind jedoch individuell abgrenzbar, stellen also keine Bevölkerungsgruppe i.S.d. § 130 StGB dar.“

Die Staatsanwaltschaft unterschlägt völlig, dass sich die Flugblattherausgeber*innen, wie wir in der Anzeige darlegten, keineswegs nur und in erster Linie auf die Organisationen der Seenotrettung bezogen. Vor allem richtet sich deren Hetze gegen Städte, die sich zu „Sicheren Häfen“ für Geflüchtete erklärten. Diese Städte werden auf der Titelseite (!) unter der Überschrift „SICHERE STÄDTE STATT ‚SICHERE HÄFEN‘“ explizit und ebenfalls in Großbuchstaben genannt: „ASCHAFFENBURG, BAMBERG, ERLANGEN, FÜRTH, MÜNCHEN, NÜRNBERG, PASSAU, REGENSBURG, WÜRZBURG“.

Es ist ungeheuerlich, dass die Staatsanwaltschaft diese mit Sicherheit von zahlenmäßiger Erheblichkeit und nicht mehr individueller Abgrenzbarkeit zu bezeichnende Gruppe von Kommunen einfach übergeht. Und dies, obwohl wir die Folgen der Hetze am Beispiel der Regensburger Bürgermeisterin belegten.

Es ist schwer zu glauben, dass der Staatsanwaltschaft hier nur eine Unachtsamkeit unterlief. Vielmehr ist zu vermuten, dass diese bewusst selektiv vorging, um einen nicht strafrechtlich relevanten Inhalt behaupten zu können.

„Dass sich die Bezeichnung „kriminelle Schleuser und Schlepper“ auf diese Kapitäne und die Nichtregierungsorganisationen beziehen, lässt sich aus dem Flyer nicht herauslesen.“

Im Gegenteil: Es ist völlig unmöglich, einen anderen Bezug herauszulesen. Nirgends im Flugblatt wird auch nur angedeutet, es gehe nicht ausdrücklich um die Seenotrettung oder es gebe auch eine berechtigte Seenotrettung. Die Staatsanwaltschaft dürfte sich schwer tun, einen Beleg für ihre Deutung anzuführen. Die Befragung der Flugblattverantwortlichen hat die Staatsanwaltschaft, wie bereits erwähnt, unterlassen.

„Eine Organisation ist auch kein taugliches Angriffsobjekt des Straftatbestandes der Volksverhetzung.“

In dem Flugblatt wird nicht gegen eine Organisation gehetzt, sondern gegen eine Bewegung. Diese Bewegung will Menschen vor dem Ertrinken retten und eine sichere, menschenwürdige Zuflucht für sie schaffen. Zu dieser Bewegung gehören Rettungsorganisationen und deren ehrenamtliche Helfer*innen, viele ehrenamtliche Unterstützer*innen von Geflüchteten vor Ort, sowie Städte und Kommunen, die sich unter dem Überbegriff „Sicherer Hafen“ sammeln.

Zusammengefasst wird diese Bewegung, wie auch im Flugblatt explizit ausgeführt, unter der Bezeichnung „Seebrücke“. Deren Erkennungsfarbe ist orange, da Schwimmwesten meist orange sind. Viele Unterstützer*innen tragen diese Farbe bei Demos, Kundgebungen oder Informationsveranstaltungen und sind dadurch sehr wohl ein „taugliches Angriffsprojekt“.

Auch hier versucht die Staatsanwaltschaft mit tendenziösem Vorgehen die Anzeige auszuhebeln. Sie macht aus einer breiten Bewegung eine nicht als Bevölkerungsgruppe im Sinne von § 130 StGB zu fassende Organisation.

Geflüchtete

Erst an zweiter Stelle geht die Staatsanwaltschaft an die von der Anzeige in den Fokus gestellte Gruppe der Geflüchteten ein.

„Die Bezeichnung von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen, als „Migranten“, „Wirtschaftsmigranten“ und „Asylbewerber“ erfüllt für sich noch nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung.“

Dies wurde auch keineswegs behauptet. Die Begriffe wurden in der Anzeige aufgezählt, um zu belegen, dass im Flugblatt die Bevölkerungsgruppe, gegen den sich der Hass richtet, klar benannt wird. Freilich werden diese Begriffe nie neutral verwendet, sondern immer in einem verleumderischen Zusammenhang. Zum Beispiel heißt es auf der Titelseite „Waffenverbot für Asylbewerber“. Selbst die Regensburger Staatsanwaltschaft dürfte einsehen, dass eine Wendung, wie etwa „Waffenverbot für Staatsanwälte“, eine rein diffamierende Aussage ist, trotz dem sachlichen Begriff „Staatsanwälte“.

„Es ist vielmehr ausgehend vom Wortlaut eine Auslegung unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Ausgangspunkt ist der objektive Sinngehalt einer Äußerung, wie sie ein unbefangener, verständiger Durchschnittsleser versteht. Im vorliegenden Fall wird propagiert, es solle Schluss sein „mit dem Einschleusen von Wirtschaftsmigranten (inklusive des ein- oder anderen Machetenmörders)“. Damit wird objektiv nur dazu aufgerufen, die Einschleusung von Wirtschaftsmigranten, also von Flüchtlingen, die keine Gründe für ihre Flucht haben, die ein Asylrecht begründen könnten, zu unterbinden. Die Äußerung bezieht sich also objektiv nicht auf alle Flüchtlinge, sondern nur auf die genannten.“

Der Zusammenhang und der objektive Sinngehalt wird von der Staatsanwaltschaft ständig außer Acht gelassen. Die auf diese Aussage folgenden Sätze sind der beste Beweis dafür. Statt den Zusammenhang und den objektiven Sachverhalt, wie ihn ein „verständiger Durchschnittsleser“ mühelos erkennen kann, festzustellen, versteigt sich die Staatsanwaltschaft zu der Behauptung, es würde „objektiv“ nur dazu aufgerufen, „die Einschleusung von Wirtschaftsmigranten, also von Flüchtlingen, die keine Gründe für ihre Flucht haben, die ein Asylrecht begründen könnten, zu unterbinden“.

Die Antwort darauf, aus welchem Zusammenhang und aus welcher Objektivität dies aber geschlossen werden könne, bleibt die Staatsanwaltschaft schuldig. Das muss sie auch, denn es findet sich, wie eingangs bereits ausgeführt, im gesamten Flugblatt auch nicht andeutungsweise ein Hinweis darauf, dass lediglich Schutzsuchende ohne ausreichendem Asylgrund gemeint sein könnten. Immer wird völlig unterschiedslos auf alle Geflüchteten Bezug genommen und zwar mit zwei hetzerischen Assoziationsketten:

„Asylsuchender“ = Gefahr

Auf der Titelseite lautete die Assoziationsketten beispielsweise:

  • „Asylsuchender“ > „SICHERE STÄDTE STATT ‚SICHERE HÄFEN‘“ > „Waffenverbot für Asylbewerber“

Auf der Rückseite:

  • „Migranten“ > „Umsiedlungsmaschinerie“ > „Gefahr“ > „Wirtschaftsmigranten“ > „Machetenmörder“ > „Waffenverbot für Asylbewerber – was denn sonst?“

„Migranten“ = Schmarotzer

Beleg auf der Rückseite:

  • „Migranten“ > „Wirtschaftsmigranten“ > „Ausgangssperren in Ankerzentren – wir führen keine Luxusressorts!“ > „Gemeinnützige Arbeit statt Nichtstun“

Die Assoziationsketten zeigen eindeutig, dass im Flugblatt nicht zwischen „Migranten“ und „Wirtschaftsmigranten“ unterschieden wird, sondern vielmehr alle Migranten bzw. Flüchtenden unterschiedslos als bloße „Wirtschaftsmigranten“ diffamiert werden.

Die Staatsanwaltschaft jedoch reißt das Wort „Wirtschaftsmigranten“ aus dem verwendeten Zusammenhang und verleiht ihm rechtsstaatliche Weihen, obwohl dessen objektiver Sinngehalt nur eine weitere Schmähung gegen Geflüchtete ist.

„Durch die Formulierung „der ein oder andere Machetenmörder“ wird auch nicht die Gesamtheit der Flüchtlinge als Machetenmörder verunglimpft. Eine abgrenzbare Gruppe von einiger zahlenmäßiger Erheblichkeit stellen diese nicht dar.“

Wie oben in den Ausführungen zu den Assoziationsketten dargelegt, werden im Flugblatt unterschiedslos alle Flüchtenden als Gefahr dargestellt. Im Flugblatt lautet die betreffende Passage: „Wer das [die Seenotrettung] unterstützt, (…) bringt uns in Gefahr. Schluss mit dem Einschleusen von Wirtschaftsmigranten (inklusive des ein oder anderen Machetenmörders)“.

Wer nicht offenbar bewusst selektiv wie die Staatsanwältin liest, sondern wie ein „verständiger Durchschnittsleser“ erkennt sofort, dass die Gesamtheit der Schutzsuchenden gemeint ist, welche als potentielle Machetenmörder assoziiert und damit verdächtigt werden. Darum sollen unterschiedslos alle Schutzsuchenden abgewehrt werden. Eine andere Intention ist auch beim besten Willen nicht seriös herauszulesen.

Im Grunde muss das Vorgehen der Staatsanwaltschaft hier als Rechtsbeugung gewertet werden. Die Staatsanwaltschaft missdeutet die Aussage des Flugblatts offensichtlich absichtlich und völlig ohne Beleg zugunsten der Angezeigten, damit die Hetze gegen Flüchtende nicht mehr unter § 130 StGB fällt.

“Anders die Flüchtlinge, die nach Europa fliehen, ohne Asylgründe zu haben. Diese sind als Gruppe i.S.d. § 130 StGB anzusehen. Jedoch liegt allein in der Forderung, die Einschleusung solcher Flüchtlinge zu unterbinden, noch kein Aufstacheln zum Hass gegen sie.“

Auch hier muss wieder von Rechtsbeugung gesprochen werden. Wieder behauptet die Staatsanwaltschaft völlig Unbelegtes: Die Flugblattherausgeber*innen bezögen sich angeblich nur auf „Flüchtlinge, die nach Europa fliehen, ohne Asylgründe zu haben“. Wie bereits dargelegt, assoziieren die Flugblattschreiber*innen in hetzerischer Weise, alle Migranten seien nur „Wirtschaftsmigranten“, und sie gebrauchen dieses Wort in diffamierender Intention als Synonym für „Migranten“ bzw. „Asylbewerber“.

Die Regensburger Staatsanwaltschaft aber will das Offensichtliche offenbar nicht erkennen. Dies kann nur einen Grund haben, § 130 StGB zu umgehen.

Und noch ein äußerst bedenklicher Aspekt muss hier angesprochen werden: Ob jemand ein Recht auf Asyl in Europa hat, wird vor europäischen Gerichten geklärt. Wer die Forderung der Flugblattherausgeber*innen, Seenotrettung nicht zu unterstützen, damit Schutzsuchende erst gar nicht die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen, als legitim erachtet, stellt sich gegen geltendes Recht. Im Grunde ist diese Forderung die hasserfüllteste Aussage im ganzen Flugblatt, denn deren Umsetzung bedeutet, asylsuchende Menschen ertrinken zu lassen.

“Nach der Rechtsprechung liegt ein Aufstacheln zum Hass dann vor, wenn eine Äußerung objektiv und subjektiv dazu geeignet und bestimmt ist im Sinne eines zielgerichteten Handelns, eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegenüber dem betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu steigern. Es reicht beispielsweise, wenn Asylbewerber pauschal als betrügerische Schmarotzer oder Sozialparasiten bezeichnet werden oder wenn die wahrheitswidrige Behauptung aufgestellt wird, Flüchtlinge hätten ein Mädchen entführt oder vergewaltigt. Ein Aufstacheln zum Hass liegt daher im vorliegenden Fall nicht vor.”

Wie die Staatsanwaltschaft selbst ausführt, muss im Falle des Flugblatts geradezu zwingend Anklage erhoben werden, denn alle angeführten Punkte liegen vor. Geflüchtete werden als betrügerische Schmarotzer oder Sozialparasiten beschrieben und es werden mehrere wahrheitswidrige Behauptungen über sie aufgestellt:

  • Geflüchtete werden in ihrer Gesamtheit als „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert. Mit den Forderungen: „Ausgangssperren in Ankerzentren – wir führen keine Luxusressorts!“ sowie „Gemeinnützige Arbeit statt Nichtstun“ wird ihnen Schmarotzer- und Parasitentum unterstellt.
  • Es werden folgende, wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt: Ankerzentren seien „Luxusressorts“ und Geflüchtete seien Nichtstuer, obwohl diesen in aller Regel verboten ist, zu arbeiten. Mit der Forderung nach „Waffenverbot für Asylbewerber“ wird ihnen das illegale Tragen von Waffen unterstellt, da diese während des Asylverfahrens natürlich keinen legalen Waffenschein erwerben können.

All dies demütigt Schutzsuchende, würdigt sie in extremer Weise herab und bringt sie in Misskredit, was, wie die bereits angeführten Statistiken belegen, Hass gegen Geflüchtete erzeugt und zu einer großen Zahl feindseliger Handlungen aufstachelt. Wie die Staatsanwaltschaft Regensburg trotz ihrer selbst aufgeführten Kriterien, die im Flugblatt in Reinkultur vorliegen, kein Aufstacheln zum Hass erkennen mag, ist juristisch nicht zu erklären.

“Die Tatbestandsvariante des böswilligen Verächtlichmachens setzt weiter voraus, dass dies in einer Weise geschieht, die einen Angriff auf die Menschenwürde darstellt. Nach der Rechtsprechung liegt ein solcher Angriff auf die Menschenwürde dann vor, wenn die Mitglieder einer Gruppe als menschlich unterwertig dargestellt werden und ihnen das Lebensrecht innerhalb der Gemeinschaft abgesprochen wird. Im vorliegenden Fall richtet sich die Äußerung gegen ein Aufenthalts- und Bleiberecht der sog. Wirtschaftsmigranten, nicht aber gegen ihr Lebensrecht. Das bloße Bestreiten des Aufenthaltsrechts stellt nach der Rechtsprechung noch keinen Angriff auf die Menschenwürde dar.”

Dass es sich eben nicht nur um „Wirtschaftsmigranten“, sondern um alle Geflüchteten handelt, die in ihrer Gesamtheit als bloße „Wirtschaftsmigranten“ diffamiert werden, wurde inzwischen hinlänglich belegt. Hier sei die freie Erfindung der Regensburger Staatsanwaltschaft, dass sich „die Äußerung gegen ein Aufenthalts- und Bleiberecht der sog. Wirtschaftsmigranten“ richte, auch mit Beispielen widerlegt:

Die auf der Titelseite des Flugblatts aufgestellten Forderungen lauten

  • „Express-Abschiebungen“ und nicht „Express-Abschiebungen für Wirtschaftsmigranten“;
  • „Kein Familiennachzug“ und nicht „Kein Familiennachzug für Wirtschaftsmigranten“;
  • „Ausgangssperren in Ankerzentren“ und nicht „Ausgangssperren in Ankerzentren für Wirtschaftsmigranten“;
  • „Gemeinnützige Arbeit statt Nichtstun“ und nicht „Gemeinnützige Arbeit statt Nichtstun für Wirtschaftsmigranten“;
  • „Waffenverbot für Asylbewerber“ und nicht „Waffenverbot für Wirtschaftsmigranten“.

Schon die Gleichsetzung von „Asylbewerber“ und „Wirtschaftsmigranten“ sowie der Begriff „Wirtschaftsmigrant“ selbst, der einen höchst abwertenden Charakter hat, erfüllt den Tatbestand des böswilligen Verächtlichmachens. Dass die Staatsanwaltsschaft diese Wort offensichtlich als völlig unbelastet betrachtet, stimmt mehr als bedenklich.

Im Flugblatt werden die Geflüchteten in ihrer Gesamtheit wörtlich als „Gefahr“ dargestellt, was diese als verbrecherisch und damit eindeutig als unterwertig kennzeichnet. Aufgrund dieser den Geflüchteten zugeschriebenen Eigenschaft wird ihnen das Lebensrecht innerhalb der Gemeinschaft abgesprochen. Es werden im Flugblatt „Express-Abschiebungen“ gefordert, „Kein Familiennachzug“, sowie „Ausgangssperren in Ankerzentren“.

Es wird ihnen aber nicht nur das Lebensrecht in der Gemeinschaft, sondern das Lebensrecht schlechthin abgesprochen, da die Einstellung der Unterstützung der Seenotrettung, und der Seenotrettung ansich, die laut AfD-Flugblatt lediglich „kriminelle Schleuser und Schlepper“ seien, verlangt wird. Zu fordern, Menschen einfach ertrinken zu lassen, ist der Gipfel von Hass und Hetze.

Die Ermittlungen müssen endlich ernsthaft aufgenommen werden! Die Staatsanwaltschaft muss seiner gesellschaftlichen Pflicht nachkommen, Hass und Hetze, die den Frieden in der Bevölkerung massiv gefährden, zu sanktionieren. Es darf keinen juristischen Freibrief für Hasskriminalität geben!

Es wird darum gebeten, weiterhin auf dem Laufenden gehalten zu werden.

(Unterschrift)


1 https://www.merkur.de/politik/bayern-afd-hoecke-landtag-muenchen-ilse-aigner-ueberraschungsbesuch-rechts-zr-13811196.html

2 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/rechtsextreme-gewalt-mehr-als-1700-straftaten-gegen-gefluechtete-und-unterkuenfte-a-845e6372-c1a1-4bdf-ba7b-1e089351e10b

3 https://rp-online.de/panorama/deutschland/luebcke-prozess-angeklagter-bezeichnet-afd-demo-2018-als-ausloeser_aid-52693695

4 https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2020/49.php

Kommentar

  1. Marianna

    die Chance, seitens der Staatsanwaltschaft, ein eindeutiges Zeichen gegen eine verallgemeinerte Diffamierung Geflohener zu setzen wurde damals leider verpasst. Erst war die AfD “zu klein” und zu “belanglos”, als dass man gegen sie vorgegangen wäre, heute ist sie zu groß und bedeutend, als dass man sich traut etwas gegen sie zu unternehmen, mit der Begründung sie nicht zum “Opfer” der bestehenden Justiz machen zu wollen. Es heißt doch nicht um sonst wehret den Anfängen!

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