Rede des IKS zum Gedenktag der rassistischen Morde in Hanau:
“Wir müssen es klar formulieren: Der Staat versagt nicht. Der Staat will nicht!”

Gedenken an Hanau 2023 auf Neupfarrplatz in Regensburg

Liebe Freund*innen, Liebe Antifaschist*innen,

schon wieder ist ein Jahr vergangen, seit wir hier den neun Opfern des rassistischen Attentats in Hanau gedacht haben. Für viele von uns ist dieses Jahr wahrscheinlich schnell vergangen. Wie anders mag es da den Angehörigen und Überlebenden dieses Anschlages gehen. Für sie ist jeder Tag und jede Nacht eine neue Herausforderung. Sie spüren jede Minute, jede Sekunde eine offene Wunde. Eine Wunde, die schmerzt und nach Linderung schreit. Es ist nicht möglich, den Schmerz nach so einem Attentat zu lindern. Aber es wäre möglich, die offene Wunde zu pflegen.

Die Angehörigen haben auch oft genug klar formuliert, was für sie wichtig wäre: Aufklärung und Gerechtigkeit! Die Betroffenen sagen, dass sie, solange ihre offenen Fragen nicht beantwortet sind und solange es keine politischen Konsequenzen gibt, keine Ruhe finden können. Sie investieren ihre ganze Kraft in die Aufklärung. Warum müssen sie als Betroffene das übernehmen, warum wird das nicht vom Staat übernommen? Die einzige Antwort darauf lautet, weil der Staat es nicht will. Der Untersuchungsausschuss wurde von den Angehörigen und Überlebenden selbst ins Leben gerufen. Im Ausschuss wird vertuscht und gelogen so wie wir es von den NSU Untersuchungsausschüssen kennen. Es ist der Verdienst der Betroffenen, dass sie mit unermüdlicher Energie nicht aufgeben und über alles informieren.

Wir müssen es klar formulieren: Der Staat versagt nicht. Der Staat will nicht. Denn Versagen würde bedeuten, dass Aufklärung ein erklärtes Ziel ist. Die Staatsanwaltschaft hat niemals von sich aus ermittelt. Sie hat erst damit begonnen, als ihr mit der Anzeige der Opferfamilien wegen des verschlossenen Notausgangs keine Alternative mehr geblieben ist. Sie hat jedoch das Verfahren schnell wieder eingestellt. Alle Argumente für eine Einstellung des Verfahrens sind in den Sitzungen des Untersuchungsausschusses widerlegt worden. Die unabhängige Ermittlungsagentur Forensic Architecture hat klar herausgearbeitet, dass bei offenem Notausgang genügend Zeit für die Menschen in der Bar gewesen wäre, sich in Sicherheit zu bringen. Dennoch wird der verschlossene Notausgang absehbar ohne juristische Konsequenzen bleiben. Genauso ist es mit der Nichterreichbarkeit des Notrufes 110 in der Tatnacht. Und genauso ist es mit dem Polizeieinsatz am Täterhaus. Wiederum Forensic Architecture hat in einer Video-Rekonstruktion die Abläufe rund um das Täterhaus detailliert nachgezeichnet. Die Aufzeichnungen belegen, dass zuerst die Zivilstreifen und danach das SEK das vermutliche Täterhaus über mindestens zwei Stunden nicht ausreichend überwacht, nicht umstellt und erst später gestürmt haben. Der Täter hätte also problemlos aus dem Haus fliehen und weiter morden können. Neu war die Auswertung der Kamera-Aufnahmen eines Polizeihubschraubers. Dieser war bereits 30 Minuten nach den Morden für zwei Stunden über Hanau und dem Stadtteil Kesselstadt unterwegs, ohne von den Polizeikräften am Boden über die Adresse des Täters informiert zu werden. Das hessische Innenministerium hat dieses Video nachträglich als Verschlusssache eingestuft. Bitte lest die weiteren Details in den Berichten zum Untersuchungsausschuss nach.

All diese neuen Erkenntnisse und der Umgang damit können die offenen Wunden der Angehörigen nicht lindern, sondern vergrößern sie noch.

Vor kurzem war eine Veranstaltung im Gewerkschaftshaus, bei der einige Angehörige da waren. Fatih Saraçoğlu, eines der Opfer in Hanau, ist in Regensburg aufgewachsen und hat hier den Großteil seines Lebens verbracht. Bei der VA hat sein Bruder erzählt, dass sich die Stadt Regensburg seit 3 Jahren nicht bei ihm gemeldet hat. Aber auch bei der Plakataktion „Say their names“ vor 2 Jahren hat die Stadt Regensburg eine unrühmliche Rolle gespielt. Hier der Neupfarrplatz ist symbolisch in Fatih Saraçoğlu Platz umbenannt worden. Die Plakate wurde immer wieder heruntergerissen und mit rechten Parolen beschmiert. Von der Stadt gab es keine Stellungnahme dazu, die Anzeige wurde nicht weiter verfolgt. Stattdessen gab es im letzten Jahr ein Bußgeldverfahren gegen den Anmelder der Aktion, da einige wiederaufgehängte Plakate angeblich an nicht genehmigten Stellen hingen. Und das ohne vorher mit dem Anmelder zu kommunizieren. Selbst bei Wahlplakaten ist es üblich vorher Kontakt aufzunehmen, bevor Strafen ausgesprochen werden. Die Stadt Regensburg rühmt sich auf der Seite Stabsstelle Erinnerungskultur mit dieser Aktion, aber hat nicht eingegriffen als diese Strafe bekannt wurde. Das ist ein Skandal! Auch wenn die Zahlung gerichtlich verhindert werden konnte. Gegen Rassismus genügen keine Lippenbekenntnisse, sondern tagtäglich müssen wir uns mit Taten entgegenstellen. Aktuell wird gegen die Geflüchteten, die auf einem Schiff in Bach untergebracht werden sollen, gehetzt. Die AfD hat versucht diese Stimmung auszunutzen und eine Kundgebung vor Ort gemacht. Es gab eine Gegenkundgebung. In der Sendung „Jetzt red i“ zu diesem Thema hat der Moderator eingangs von den beiden Kundgebungen berichtet und die antifaschistische Kundgebung auf eine Stufe mit der Kundgebung der AfD gestellt. Neben unserem Kampf gegen Rassismus und Faschismus müssen wir auch diese Angriffe auf linke, auf antifaschistische Positionen abwehren.

Abschließend möchten wir den Betroffenen unsere Anteilnahme, unsere Trauer und unsere Solidarität schicken und ihnen in ihrer Arbeit weiterhin viel Kraft und Durchhaltevermögen wünschen. Wir müssen uns weiterhin über ihre Arbeit, zum Beispiel im Untersuchungsausschuss, informieren. Und wir wissen, dass ihre Arbeit danach noch lange nicht beendet sein wird. Deshalb lasst uns den Angehörigen das Versprechen geben, dass wir unterstützend an ihrer Seite stehen und mit ihnen kämpfen!

Wir versprechen auch, dass wir die Opfer nicht vergessen werden. Denn wie Ferhat Unvar, eines der Opfer, geschrieben hat: „Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst.“, deshalb hier nochmal die Namen derer, die heute vor drei Jahren ermordet wurden.

Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin.

Wir wissen, dass Faschismus und Rassismus tötet.

Es liegt in unseren Händen, nie wieder Faschismus!

In diesem Sinne Schulter an Schulter gegen Faschismus!

Gedenken an Hanau 2023 auf Neupfarrplatz in Regensburg


Homepage der Initiative 19. Februar, auf der auch Redebeiträge der Angehörigen zu finden sind: https://19feb-hanau.org/2023/02/16/1783/

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