Rede von Recht auf Stadt auf der Kundgebung "Antikapitalistischer 1. Mai":
Weniger ist mehr!

Rede RaS erster Mai 22 Redner

Zwischenkundgebung auf dem Arnulfsplatz, Foto: Herbert Baumgärtner

Hallo liebe Menschen!

Ich bin der Kurt von Recht auf Stadt. Ich halte eine kleine Rede mit dem Titel: Weniger ist mehr!

Auf einem endlichen Planeten ist kein unendliches Wachstum möglich. Diese wirklich einfache Einsicht wird von Politik und kapitalistischer Wirtschaft nach Kräften und mit Tricks geleugnet. Plötzlich sei „Wachstum“ nicht einfach nur Wachstum, sondern „grünes Wachstum“. Natürlich ist das Schmarrn. Auch für ein neues Windkraftwerk müssen Flächen versiegelt, müssen Betonfundamente gelegt, müssen seltene Erden verbraucht werden. Kurz: Es gibt kein „grünes Wachstum“. Der Begriff ist eine Lüge.

Das einzige was Sinn macht, ist eine mengenmäßige Senkung des wirtschaftlichen Outputs. Wir brauchen nicht mehr Windkrafträder, sondern wir brauchen weniger Stromverbrauch.

2020 übererfüllte Deutschland sogar eines seiner Klimaziele: Es senkte seine Treibhausgasemissionen auf 740 Mio. Tonnen und damit 10 Mio. mehr als geplant! Super!

Doch das lag mitnichten an einer guten Regierungspolitik oder dass der Kapitalismus plötzlich aufhörte, Kapitalismus zu sein, sondern an Corona. Plötzlich gab es wieder sauberes Wasser in den Kanälen Venedigs und der Himmel war frei von Kondensstreifen.

Doch die Freude währte nicht lange. Schon 2021 lagen die Emissionen wieder bei 772 Mio. Tonnen und damit weit über der Planung. Grund: Wirtschaftswachstum.

Menschen im Kapitalismus wird tagtäglich eingebläut: Wirtschaftswachstum ist gut! Wirtschaftswachstum bedeutet Wohlstand!

Aber stimmt das? Ein Großteil des sogenannten Wachstums wird durch immer kurzlebigere Produkte erreicht.

Ist es wirklich ein Zuwachs an Lebensqualität, wenn ich alle paar Jahre einen neuen Kühlschrank kaufen muss, weil ein absichtlich eingebautes, minderwertiges Verschleißteil kaputt geht? Ein neues Handy, nur weil sich der Akku nicht auswechseln lässt? Neue Klamotten, weil diese schon nach dem ersten Tragen auseinanderfallen?

In einer vernünftig organisierten Wirtschaft würde es Sinn machen, Kühlschränke zu bauen, die möglichst lange halten, reparierbare Handys und strapazierfähige Klamotten.

In einer vernünftig organisierten Wirtschaft würde es Sinn machen, statt mehr Windkraftwerke für mehr Elektroautos, den ÖPNV flächendeckend und kostenlos auszubauen.

Eine vernünftig organisierte Wirtschaft würde nur soviel produzieren, wie für ein gutes Leben nötig ist, ohne den Planeten zu zerstören.

Der Kapitalismus ist nicht vernünftig. Der Kapitalismus braucht Wachstum, Wachstum, Wachstum. Ohne Wachstum kann er nicht überleben. Denn jede investierte Geldeinheit muss sich rentieren, muss mehr werden, muss zu Profit führen. Ohne Profit, ohne Wachstum des eingesetzten Kapitals, kein Kapitalismus.

Er ist deshalb auch nicht reformierbar. Ein grüner Kapitalismus ist eine Lüge.

Das heißt: Jede Zukunftsüberlegung, die auch nur annähernd auf einer kapitalistischen Denkweise beruht, führt früher oder später zur Zerstörung unseres Planeten.

Rede RaS erster Mai 22 SUV

Symbolbild für kapitalistisches Wirtschaftswachstum

Vier-in-Einem-Perspektive

Wie könnte nun aber eine nachkapitalistische Welt aussehen? Marx hat die vom Kapitalismus befreite Gesellschaft einmal so beschrieben: Morgens werde gejagt, nachmittags gefischt, abends Viehzucht getrieben, und nach dem Essen kritisiert, „wie ich gerade Lust habe“.

Wie ihr sicher sofort bemerkt habt, hat der alte Macho z.B. den Care- oder Sorgebereich komplett ausgespart, Altenpflege, Kindererziehung.

Wesentlich konkreter in Sachen kapitalismusfreie Welt wird die marxistische Feministin Frigga Haug. Sie fragt zuerst nach der gesellschaftlich und individuell sinnvollen und benötigten Arbeit und kommt dabei auf vier gleichberechtigte Arbeitsfelder:

  • Produktion
  • Sorge
  • Kultur
  • Politik

Dieses Schema nennt sie die Vier-in-Einem-Perspektive.

Für einen normalen Tag in einer kapitalismusfreien Welt hieße das, wir Menschen arbeiten täglich 4 Stunden in der Produktion – was sicher ausreicht, um die Grundbedürfnisse aller zu decken, wenn einmal der ganze kapitalistische Schnickschnack, der geplante Verschleiß usw., beseitigt ist. 4 Stunden widmen wir uns der Sorge, 4 Stunden der Kultur, Theater, Musik, und 4 Stunden der Politik, das heißt, der Regelung unserer Angelegenheiten. Den Rest pennen wir.

Natürlich ist das keineswegs als Zwang und strikte Zeiteinteilung gedacht, sondern soll nur verdeutlichen, was in einer menschlichen Gesellschaft wirklich wichtig ist, damit wir überhaupt Menschen sein können. Praktisch organisiert könnte die Umsetzung der Vier-in-Einem-Perspektive so aussehen:

  • Die Hausgemeinschaft einer Mehrgenerationenanlage von vielleicht so 50 Menschen treffen sich regelmäßig und beraten, was getan werden muss. Das ist der Bereich Politik. Sie beschließen die anfallenden Arbeiten, Produktion, teilen die Pflegebereiche ein, Kindergarten, Assistenz usw., Sorge, und planen Feste und Veranstaltungen, Kultur.
  • Zu Treffen des Stadtteils schicken sie Vertreter*innen, die an die Beschlüsse ihrer Hausgemeinschaft gebunden sind. Von den Stadtteiltreffen werden Vertreter*innen in das nächst höhere Gremium geschickt, und so weiter und so fort und immer mit imperativen Mandat, immer sind die Vertreter*innen an die Beschlüsse der Basis gebunden, bis die ganze Gemeinschaft von unten nach oben organisiert ist. Das gute, alte Rätesystem.

Das Schöne an dem Rätesystem ist, wir können gleich damit anfangen. Wir können schon morgen Bewohner*innenräte, Pflegeräte, Arbeiter*innenräte bilden und unsere Angelegenheiten selbst regeln. Ich spreche jetzt natürlich von echten Räten, nicht von so Verarschungen wie den aktuellen Stadt- oder Betriebsräten.

Wir können nicht nur anfangen, wir müssen anfangen! Denn die jetzige Weltordnung führt nahezu ungebremst in die völlige Zerstörung unserer Zivilisation. Und nicht erst in fünfzig oder hundert Jahren, wenn der menschengemachte Klimawandel voll durchbricht, sondern unmittelbar. Denn auch der Imperialismus von Nato und Russland sind eine Folge des kapitalistischen Wachstumszwangs.

Wir haben nichts zu verlieren, außer die Ketten eines völlig durchgedrehten Wirtschaftssystems. Danke!

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