Schwanenplatz Regensburg 03.02.2022:
Rede auf Solidaritätsdemo gegen türkische Angriffe auf Kurden

RedeSchwa1

Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Genossen und Genossinnen,

zuerst möchten wir uns für die Organisation der Demonstration bedanken!

Am 1. Februar hat die türkische Luftwaffe zeitgleich das Dorf Teqil Beqil bei Dêrik in Rojava, in Südkurdistan das Şengal-Gebirge, das Serdeşt-Camp, die Gebiete Geliye Kersê, Şilo, Çilmêra und Barê sowie das Flüchtlingscamp Mexmûr bombardiert. Dabei wurden 9 Menschen getötet, Dutzende verletzt. Die Kampfjets sind von der türkischen Luftwaffenbasis in Amed/Diyarbakir gestartet. Der Luftraum im Nordirak wird von den USA kontrolliert. Deshalb sind wir sicher, dass die USA der Türkei im Rahmen ihrer Zusammenarbeit in der NATO diesen Angriff gestattet hat. Wir verurteilen alle Angriffe auf das Schärfste!

Diese erneuten heftigen Angriffe müssen in Verbindung mit der erfolgreichen Abwehr des Angriffes des IS auf das Sina-Gefängnis in Hesekê durch die Demokratischen Kräfte Syriens gesehen werden. In diesem Gefängnis waren tausende Mitglieder des Islamischen Staates untergebracht. Der IS hat am 20. Januar von außen angegriffen, während gleichzeitig tausende Häftlinge im Inneren das Gefängnispersonal angegriffen haben. Wenn der IS heute in der Lage ist, einen derartigen starken Angriff durchzuführen, liegt das an den politischen Bedingungen und der Unterstützung, die er direkt und indirekt von einigen regionalen Mächten und Staaten erhält. Und dabei spielt die Türkei nach wie vor die wichtigste Rolle. Deshalb sind die türkischen Angriffe auf die Autonomieregion Nord- Ostsyrien und den Nordirak als Fortführung der Angriffe des IS zu sehen. Das passiert nicht zum ersten Mal, der türkische Staat hat auch früher auf Niederlagen des IS mit ähnlichen Angriffen reagiert. Zum Beispiel als der IS aus Kobanê vertrieben worden ist.

Und deshalb sind wir heute aus vielen Gründen auf der Straße. Wegen der aktuellen Angriffe. Wegen der Giftgasangriffe der Türkei auf die kurdischen Selbstverteidigungskräfte. Aber auch wegen der sich kontinuierlich ausweitenden faschistischen Angriffe des Staates Türkei innerhalb seiner Grenzen. Aber genauso wegen des Schweigens der Welt und noch schlimmer der permanenten Zusammenarbeit mit der Türkei. Allen voran Deutschland. Wir sind also auch auf der Straße, weil Deutschland kontinuierlich mit der Türkei zusammenarbeitet. Weil Deutschland für die Türkei Waffen produziert. Weil in Deutschland die gesamte kurdische Bewegung kriminalisiert wird. Weil das PKK Verbot seit 28 Jahren besteht. Weil das Bundesverwaltungsgericht aktuell das Verbot der kurdischen Verlage bestätigt hat. Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass dies alles einen direkten Zusammenhang hat.

Wir möchten noch einmal auf den aktuellen Angriff eingehen. In Şengal waren es die massivsten Angriffe seit 2017. Die Region wurde viereinhalb Stunden von Kampfflugzeugen und Drohnen bombardiert. Dort, wo der IS 2014 einen Genozid an den Eziden verübt hat. Nur der PKK war es zu verdanken, dass zehntausende Eziden vor dem sicheren Tod noch gerettet werden konnten. Denn die Welt hatte wieder einmal zugesehen. Die ezidische Bevölkerung hat sich inzwischen zu ihrer Verteidigung selbst organisiert. Genau das ist der Türkei ein Dorn im Auge, genau diese Verteidigungseinheiten wurden stundenlang gezielt bombardiert. Niemals gab es Konsequenzen gegenüber der Türkei für ihre Zusammenarbeit mit dem IS, obwohl weltweit im Nachgang viel über die Grausamkeit der Verbrechen an den Eziden gesprochen und geschrieben wurde. Es muss endlich Schluss sein mit dem scheinheiligen Gerede von Menschenrechten dort, wo es für eigene Machtzwecke von Vorteil ist, und dem Schweigen dort, wo es nicht ins System passt.

Auch das Flüchtlingscamp Mexmûr im Nordirak wurde zum wiederholten Male angegriffen. Seit 2019 steht es aufgrund von Druck seitens der Türkei unter einem Embargo – es ist vollkommen abgeschnitten von Unterstützung. Im Flüchtlingslager leben mehr als 12.000 Menschen. Die meisten von ihnen sind in den 90er Jahren aus der Türkei geflohen und haben nach jahrelangem Herumirren am Rand der Wüste das Lager Mexmûr gegründet. Sie haben unter schwierigsten Bedingungen geschafft, im Lager ihre eigene autonome Struktur aufzubauen. Offiziell steht Mexmûr unter dem Schutz des UNHCR, das jedoch bei Angriffen des IS das Camp 2014 verlassen hat und nicht mehr zurückgekehrt ist. Auch hier wurde erneut eine selbstorganisierte kurdische Struktur angegriffen. Es ist wie Rojava ein positiver Bezugspunkt für die Welt hinsichtlich emanzipatorischer und basisdemokratischer Organisation. Ein Dorn im Auge aller kapitalistischen, imperialistischen Staaten.

All das müssen wir noch einmal in internationalen Zusammenhang bringen. Warum versucht die Türkei gerade jetzt, obwohl sie doch so viele innenpolitische Schwierigkeiten hat, alle kurdischen Strukturen zu zerstören. Für die Türkei bietet sich im Moment eine günstige Gelegenheit – noch mehr als sonst – ungehindert die kurdische Bevölkerung massakrieren und vertreiben zu können und ihre Selbstorganisationsstrukturen zerstören zu können. Dieses Vakuum ist durch den Machtkampf zwischen NATO und Russland und China entstanden. Die NATO und Russland wollen beide die Türkei an ihrer Seite haben, lassen ihr deshalb komplett freie Hand für ihre eigene Agenda. Sehr treffend bezeichnet der Journalist Nick Brauns heute in der Jungen Welt die jüngsten Angriffe als „NATO-Luftterror gegen Kurden“. Unsere Antwort darauf muss wütend und laut sein. Unsere Antwort muss wie heute von der Straße kommen. Seit 2011 ist klar, dass sich Rojava nicht auf die Großmächte verlassen kann. Bedingungslos Solidarität kann nur von antikapitalistischen, antifaschistischen Menschen, wie wir heute, hier kommen.

Hoch die internationale Solidarität!

RedeSchwa2

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