Redebeiträge Kundgebung 25.07.2020:
NSU 2.0 / Stammbaum

NSU 2.0

Zum wiederholten Male gehen wir wegen rechtem Terror auf die Straße. Der NSU existiert weiter, die Erfüllung der Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung der NSU Morde blieb aus. Der Verdacht, der von Anfang an bestanden hat, nämlich dass der Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden darin verwickelt sind, verhärtet sich immer mehr. Stichwort NSU 2.0: Erwiesenermaßen wurden in mindestens 3 Fällen private Daten aus Polizeicomputern für die Drohbriefe benutzt.

IKS Kundgebung1 2020 07 25
Vor 2 Jahren hat die Urteilsverkündigung im NSU Prozess stattgefunden. Trotz allen Ankündigungen seitens der Bundesregierung und der zuständigen Behörden, dass eine lückenlose Aufklärung stattfinden werde, wurde nach langen Prozessjahren nichts davon umgesetzt. Wir waren dabei, wir haben gesehen wie die Angehörigen zusammen gebrochen sind, wir haben weinende Partnerinnen und Kinder gesehen. Wir waren genauso traurig, betroffen und wütend – enttäuscht waren wir nicht, da wir nichts anderes erwartet hatten. Warum waren wir aber so wütend? Wir kennen mittlerweile diese Strukturen schon lange, deshalb hatten wir keine Erwartungen. Was uns wütend gemacht hat war, dass die Nazis in aller Öffentlichkeit lachend den Gerichtsaal verlassen konnten. Es musste nicht lange Zeit dauern, bis die Nazis als NSU 2.0 aufgetaucht sind, begonnen haben sie ihre Racheaktion schon 2018 mit Drohbriefen an eine Opferanwältin.

Wären sie so mutig, wenn sie von den Sicherheitsapparaten in all den Prozessjahren keinen Schutz und keine Rückendeckung bekommen hätten? Wären sie so mutig, wenn nicht eine Akte nach der anderen, ein Dokument nach dem anderen verschwunden wäre? Wären sie so mutig, wenn nicht ein Zeuge nach dem anderen angeblich überraschend unter dubiosen Umständen gestorben wäre? Wären sie so mutig, wenn die NSU Akten nicht 100 Jahre unter Verschluss genommen worden wären? Natürlich nicht.

Mit diesen Drohbriefen wollen sie uns sagen, wir sind noch da. Denkt nicht daran, dass wir durch den Prozess geschwächt worden sind, im Gegenteil wir sind gestärkt herausgegangen. Um diese Stärke zu zeigen haben sie nicht einmal versucht zu verschleiern, dass sie einige Daten aus Polizeicomputern entnommen haben. Sie wollen weiter sagen, das ist nicht euer Staat, es ist unser Staat. Versucht keine Gerchtigkeit zu verlangen, haltet euch still oder euer Leben ist bedroht.

Wir als IKS gehen mit dieser Erkenntnis um. Wir sagen: Kein Schritt zurück! Wir bleiben nicht still, sondern werden noch lauter. Wir bleiben auf den Straßen solange diese faschistischen Strukturen existieren. Und wir sind sicher, wir werden immer mehr. Es werden mehr Menschen diese Gefahr erkennen und sich dem antifaschistischen Kampf anschließen. Es werden mehr Menschen erkennen müssen, dass sie den Kampf gegen den Faschismus selber in die Hand nehmen müssen. Dass sie keinen Institutionen Vertrauen und Glauben schenken dürfen, die in diese rechten Strukturen verwickelt sind und ihren Aufgaben nicht gerecht werden. Statt Aufklärung und Bekämpfung zu leisten bemühen sie sich zu verschleiern, zu verharmlosen und faschistische Strukturen zu schützen.

Es gibt weitere Beispiele, warum wir diesen Institutionen nicht vertrauen können. Wie sie statt faschistische Umtriebe zu bekämpfen ihren Feind links und migrantisch sehen. Ganz aktuell hat in demselben Oberlandesgericht, in dem die 10 NSU Morde nicht lückenlos aufgeklärt wurden, Jahre lang ein Prozesse gegen 10 Menschen stattgefunden, die keinerlei Tat begangen haben. Deren Verbrechen es aus Sicht des Staates ist, dass sie Migrant_innen aus der Türkei sind und dass sie auch hier in der BRD linkspolitisch aktiv sind. Am Dienstag findet um 10 Uhr die Urteilsverkündung statt, kommt mit uns zur Kundgebung nach München.

Liebe Freund_innen und Genoss_innen, es ist nicht oft genug zu wiederholen, die Gefahr ist groß, diese Aussage kommt nicht von ungefähr. Vor 4 Wochen wurde zum Beispiel eine Linke Kommunalpolitikerin in der Nähe von Ingolstadt Opfer eines rechten Angriffes. Wir lesen die Nachrichten , dass Waffenarsenale aufgedeckt werden, dass in der Bundeswehr Waffen, Munition und Sprengstoff angeblich verschwinden und ganz aktuell von der Chatgruppe von Soldaten „ Wir – Die Augen öffnen!“, in der es um faschistische Propaganda, Rassismus und Gewaltphantasien gegen Geflüchtete und linke Aktivist_innen geht. Über Halle, Hanau, München möchten wir gar nicht reden. Wenn wir nicht entschlossen dagegen handeln, befürchten wir, dass wir noch schlimmere Angriffe erleben müssen, die heute kaum vorstellbar sind.

Wir möchten mit unseren Aussagen keine Angst schüren. Dieses Land hat allerschlimmste Jahre in der Geschichte erlebt. Das brauchen wir euch nicht erzählen. Wir wollen nur sagen, wir müssen von der Geschichte lernen. Es liegt in unseren Händen, nie wieder Faschismus!

In diesem Sinne Schulter an Schulter gegen Faschismus.


Stammbaum

Nach den Jugendkrawallen in Stuttgart hat sich die Polizei mit ihrer angekündigten „Stammbaumforschung zur soziologischen Täteranalyse“ selbst demaskiert. Es wurde versucht den Angriff auf die Polizei zu nutzen, um sie in die Opferrolle zu stellen und von der Debatte um Rassismus bei der Polizei abzulenken beziehungsweise sie am besten gleich zu beenden.
IKS Kundgebung5 2020 07 25Der Jugendkrawall in Stuttgart hat ebenso wie aktuell in Frankfurt bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Boulevardzeitungen haben in ihren Titeln gar von kriegsähnlichen Zuständen gesprochen. Was ist eigentlich ein kriegsähnlicher Zustand? Wenn jemand wissen will, was ein Kriegszustand ist, dem empfehlen wir, sich die Bilder aus Aleppo, aus Kobani, aus Jemen und aus Nordkurdistan anzusehen.

Nur in linken Medien wurden mögliche Gründe für die Krawalle thematisiert. Wir als IKS sprechen weder für die Jugendlichen noch für die staatliche und somit angeblich allgemeingültige Sichtweise auf die Krawalle. Aber es ist uns wichtig zu erwähnen, dass es sich um Jugendliche handelt, die mehrfach ausgegrenzt sind. Die ökonomisch und sozial ausgegrenzt sind, die aufgrund dieser Faktoren auch ohne Coronamaßnahmen zum Beispiel keinen Zugang zur Partyszene Gleichaltriger haben. Die Rassismuserfahrungen durch sämtlichen Institutionen insbesondere durch die Polizei haben.

Und genau darauf wird wieder mit Gewalt reagiert und mit unverhohlenem Rassismus. Und die wenigen, die das sagen, sollen sozusagen als Sympathisant_innen der Jugendlichen diffamiert werden und dadurch mundtot gemacht werden. Schließt euch dem auf keinen Fall an.

Eine bundesweite Recherche bei Standesämtern soll helfen Einwanderungshintergründe einzelner Tatverdächtiger zu ermitteln. Das erinnert uns an die Zeiten des 3. Reiches, hier gibt es für uns eindeutige Parallelen. Stammbaumforschung für – für was eigentlich? Rassismus pur. Unsere Antwort darauf lautet: Wir legen unseren Stammbaum offen: Mensch. Und wir fordern euch auf, es uns gleichzutun. Wir haben den permanenten Rassismus satt! Sei es Racial Profiling, sei es die angeblich wertneutrale Veröffentlichung von Nationalitäten durch die Polizei und nun also Stammbaum.

Wir wissen, dass Rassismus in Deutschland strukturell ist und zum System gehört. Wir wissen, dass es da anfängt, wo der Staat in In- und Ausländer_innen und sogenannte Asylbewerber_innen sortiert. Wir wissen, dass es genügend Gesetze gibt, die rassistischem Verhalten von Sicherheitskräften zugrundeliegen. Wir wissen, dass Polizeigewalt Staatsgewalt ist.

Unabhängig davon werden wir aber nicht aufhören, uns gegen konkretes rassistisches Verhalten zu wehren und dagegen anzukämpfen.

Denn wir wissen auch, dass Rassismus tötet.

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