Rede von BgA bei Solikundgebung für Kurdistan am 03.12.2022:
“Die Welt schaut zu und schweigt”

Solikundgebung für Kurdistan am 03.12.2022

Seit 19. November führt die Türkei erneut einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Nord-Ost-Syrien durch. Der vorgeschobene Grund der Vergeltung des Anschlages in Istanbul ist durchschaubar und nicht haltbar. Wir als Bündnis gegen Abschiebelager verurteilen diesen Krieg und fordern die deutsche Regierung auf, endlich die Zusammenarbeit mit der Türkei zu beenden. Endlich Druck auf die Türkei auszuüben anstatt freundliche diplomatische Gespräche zu führen, anstatt weiter Waffen zu liefern.

Als BgA wollen wir diesen Krieg unter dem Aspekt von Flucht beleuchten. Allbekannt ist der sogenannte EU Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Die EU lässt sich die Flüchtlingsabwehr viel kosten, sei es die Finanzierung von Frontex, seien es die 6 Milliarden an die Türkei. Und Erdogan fordert immer mehr Geld dafür, dass er seine Grenzen für die Geflüchteten auf dem Weg in die EU geschlossen hält. In der Zwischenzeit hat jedoch eine Umsiedlung begonnen. In vorhergehenden Angriffskriegen hat die Türkei einen Grenzstreifen innerhalb Syriens erobert. Dort wurde die kurdische Bevölkerung angegriffen, ermordet und vertrieben. Syrische Familien aus der Türkei wurden und werden dort zwangsweise angesiedelt. Und der Plan sieht vor dies mit bis zu einer Million weiteren Menschen zu tun. Ich zitiere einen Sprecher der EU-Kommission: „Flüchtlinge und Asylsuchende dürfen nicht gezwungen werden, in irgendeinen Teil Syriens zurückzukehren, solange die vom UNHCR geäußerten Bedingungen für eine sichere und freiwillige Rückkehr nicht erfüllt sind“. Pro Asyl kritisiert, die türkischen Behörden hätten wiederholt Druck auf Flüchtlinge ausgeübt, damit diese einer freiwilligen Ausreise zustimmen. Von den politisch Verantwortlichen wird jedoch die gezielte Auslöschung der kurdischen Identität und die Zwangsumsiedlung syrischer Geflüchteter ohne Konsequenzen hingenommen.

Im aktuellen Krieg greift die Türkei vorrangig zivile Strukturen an: Energieversorgung, Ölfelder, zentrale Getreidespeicher, Krankenhäuser, Schulen und Straßen. Ebenso gezielt wurden verschiedene Siedlungen für Vertriebene angegriffen: in Belûniyê ein Auffanglager für Menschen aus Afrin, in der Gemeinde Zirgan eine Vertriebenensiedlung. Hier handelt es sich um Camps für Menschen, die in den vorhergehenden Angriffen der Türkei vertrieben wurden. Angesichts der jüngsten Angriffe warnt der Kurdische Rote Halbmond vor Fluchtbewegungen und einer Zuspitzung der ohnehin schlechten humanitären Lage in den vielen Flüchtlingslagern der Region. Auch sie sind von der aktuell zerstörten Infrastruktur abhängig. Das emanzipatorische Gesellschaftsprojekt Rojava hat auch in der Versorgung von vertriebenen und geflüchteten Menschen Vorbildcharakter. Im Umgang mit Menschen, die Hilfe bedürfen, zeigt sich die Stärke des multiethischen Gesellschaftsmodells – wobei auch hier das Prinzip der Selbstorganisation gilt.

Die Gesellschaft ist aber aufgrund des Kampfes gegen den IS, aufgrund der permanenten Angriffe der Türkei, aufgrund von Embargos und mangelnder internationaler Unterstützung permanentem Mangel ausgesetzt. Das wenige, was sie haben, wird stets mit allen geteilt. Aber ohne Unterstützung ist das nicht zu stemmen. Aufgrund des Wasserkrieges, den die Türkei seit langem gegen Nord-Ost-Syrien führt, gibt es zu wenig Trinkwasser, so dass die Menschen verschmutztes Wasser trinken müssen und Cholera ausgebrochen ist. Weitere Infektionsherde werden befürchtet. Der letzte Starkregen hat bereits Flüchtlingszelte weggeschwemmt, bald kommt der erste Schnee. Wie sollen die Geflüchteten ohne Gas und Strom diese Zeit überstehen? Wir fordern von der internationalen Gemeinschaft eine Winterhilfe, so wie sie für die Ukraine selbstverständlich erscheint.

Noch deutlicher wird die Stoßrichtung des Krieges der faschistischen AKP/MHP Regierung in der Türkei, wenn wir uns die Bombardierung in der unmittelbaren Nähe des Campes al Hol ansehen. Dort befinden sich ca. 55.000 IS Kämpfer und Angehörige. Auch in der Nähe von Gefängnissen in Hasakeh und Qamişlo, in denen IS-Kämpfer inhaftiert sind, ist es unmittelbar zu Einschlägen gekommen. Falls die Drohnen, die in der Nähe der Gefängnisse kreisen, angreifen, werden die IS-Anhänger zum Aufstand übergehen. Diese Kriegsführung ist nicht neu. Auch bei früheren Angriffen der Türkei wurde zum Beispiel das Camp Ain Issa bombardiert, so dass zahlreiche IS-Mitglieder und ihre Familienangehörigen flüchten konnten. Die Türkei hat schon immer unverhohlen mit dem sogenannten Islamischen Staat zusammen gearbeitet. Während der IS international verbal geächtet wird, wurden die Kurd*innen von den meisten Staaten auch in ihrem Kampf gegen den IS allein gelassen. Aber nicht nur sie. Denn auch die Jesid*innen, die 2014 Opfer eines Völkermordes durch den IS wurden, erfahren keine Unterstützung. Auch ihre Flüchtlingscamps und neuaufgebauten Strukturen werden regelmäßig von der Türkei angegriffen – und die Welt schaut zu und schweigt.

Deshalb ist es um so wichtiger, dass wir heute hier sind. Gemeinsam müssen wir Druck aufbauen. Wir fordern ein Ende des Krieges und ein Ende aller Abschiebungen!

Rednerin von Bündnis gegen Abschiebelager auf Solikundgebung für Kurdistan am 03.12.2022

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