Rede von Migrantifa zum Gedenktag der rassistischen Morde in Hanau:
“Die Ermordeten könnten noch am Leben sein, wäre migrantisches Leben für den Staat schützenswert”

Wir dokumentieren die Rede von Migrantifa auf der Gedenkveranstaltung zum zweiten Jahrestages der rassistischen Morde von Hanau. Neupfarrplatz Regensburg 19.02.2022

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Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags vor zwei Jahren

Ich stehe heute hier,

für Ferhat, Said Nesar, Hamza, Vili Viorel, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat und Gökhan.

Ich stehe heute hier, im Namen von Migrantifa. Deutschlandweit stehen wir heute vor euch. Migrantifa hat sich als Reaktion auf die rassistischen Morde in Hanau vor zwei Jahren erst formiert. Wir sind eine migrantische Selbstorganisation, die gegen den rassistischen Status quo mobilisiert.

Ich stehe heute hier, auch für diese 9 Menschenleben. Aber nicht nur. Denn Deutschland hat eine prall gefüllte Geschichte rassistischer Morde. Sie alle haben vieles gemeinsam. Aber eines ganz besonders: die Vertuschung und fehlende Aufklärung durch die Polizeibehörden. Eins ist mittlerweile klar: die Ermordeten könnten noch am Leben sein, wäre migrantisches Leben für den Staat schützenswert.

Die Ermordeten von Hanau waren Teil einer Klasse und zwar jener, die durch diesen Staat kriminalisiert und ausgebeutet werden, jener deren Menschenleben in der Logik des kapitalistischen Systems nichts wert sind. Duisburg, Halle, Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und die rechtsterroristische Anschlag- und Mordserie des sogenannten NSU reihen sich in diese Logik ein.

Ein System, in dem Politik, Polizei, Justiz und Verfassungsschutz faschistisches Gedankengut ermöglichen, schützen und selbst verbreiten. Rassismus ist kein Randproblem, sondern fester Bestandteil dieser Gesellschaft und der globalen, kapitalistischen Ordnung, nach der dieser Staat handelt und organisiert ist.

Rassismus rechtfertigt, dass ein großer Teil der Menschen in diesem System verlieren, egal was sie tun. Er kann nicht mit Lippenbekenntnissen oder individuellem Umdenken bekämpft werden. Deswegen stehen wir zusammen und kämpfen gemeinsam.

Ich erinnere mich an keinen Tag in meinem Leben besser als den 19. Februar 2020. Chaos. Unsicherheit. Sorge. Angst. Schock.

Seit zwei Jahren kämpfen die Angehörigen für Erinnerung, soziale Gerechtigkeit, lückenlose Aufklärung und politische Konsequenzen. Die Gefahr durch Terror von rechts ist seitdem nicht schwächer geworden und eins ist sicher: Der Staat wollte, kann und wird uns niemals schützen!

Wirkliche Sicherheit kann es nur geben, wenn wir uns gemeinsam organisieren und den Faschismus in all seinen Facetten bekämpfen!

Auch nach der Einstellung des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt bleiben weiterhin viele Fragen offen:

HanauMIG2Warum war der Notausgang in der Arena Bar verschlossen?

Wie konnte der Täter trotz bekannter rechtsextremer Gesinnung und psychischer Krankheit eine Waffenerlaubnis besitzen?

Warum dürfen mindestens 1200 staatskundige Rechtsextreme in Deutschland legal Waffen besitzen?

Warum wurde das Täterhaus verspätet gestürmt? Welche Auswirkungen hatte die Mitgliedschaft von 13 eingesetzten Polizist*innen einer SEK-Einheit in rechtsextremen Chatgruppen auf den Einsatz in der Tatnacht?

Warum war der Notruf am Tatabend nicht erreichbar?

Auf Wunsch der Initiative 19. Februar Hanau sollen diese Fragen in einem Untersuchungsausschuss geklärt werden. Hanau ist überall! Wir sind überall! Werdet aktiv bei euer lokalen Migrantifa Gruppe. Ihr findet uns auf instagram unter migrantifa.regensburg. Sprecht uns an, macht mit und lasst uns nie vergessen und nie vergeben!

Und vergesst niemals: Jederzeit ist 13:12 Uhr. Und jeden Tag ist der 19. Februar!

„Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst.“

Wir werden dich niemals vergessen, Ferhat!

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19.02.2022 Neupfarrplatz Regensburg

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