Bericht vom 07.12.2022:
Chancen-Aufenthaltsrecht, oder: alter Wein in neuen Schläuchen

Infostand des Bündnis gegen AbschiebelagerHeute besuchen uns viele Menschen. Manche hatten Fragen zu den Dublinfristen und dem Verfahren nach der Dublin Frist. Für viele ist die große Frage, wie sie die „Dublinzeit“ überstehen sollen.

Andere sind bereits seit 6 Jahren in Deutschland und haben Fragen zum Chancen-Aufenthaltsrecht. Am 02.12.22 verabschiedete der Bundestag das sog. Chancen-Aufenthaltsrecht. Dies ermöglicht es Menschen, die zum Stichtag 31.10.2022 5 Jahre geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, ein vorläufiges Aufenthaltsrecht, einmalig für 18 Monate, zu bekommen. In dieser Zeit soll es ihnen dadurch erleichtert werden, fehlende Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht nachzuholen. Wir begrüßen diese Chance für die Menschen, die dadurch eine Bleibeperspektive bekommen. Anders als mit großen Tönen von Vertreter*innen der Ampelkoalition beschworen können wir uns kaum über diese Änderungen freuen – oder diese gar als „Paradigmenwechsel“ (Filiz Polat) bezeichnen.

Ja – für ca. 137.000 Menschen bedeutet die Neuregelung eine Chance auf dauerhaften Aufenthalt und ein Ende der Kettenduldung. Für viele anderen Menschen, die eben nicht unter den Stichtag fallen, bleibt es beim Alten, auch wenn sie selbst schon viele Jahre in dieser Situation leben oder vielleicht einfach eine Woche später oder heute oder nächste Woche 5 Jahre hier sind. Das neue Gesetz stellt also mitnichten eine wesentliche Veränderung des Aufenthaltsrechts dar, sondern ein einmaliges „Nachbessern“ der katastrophalen und belastenden Regelung der Kettenduldungen.

Der Bayerische Flüchtlingsrat spricht gar von einer „Kopie der Altfallregelung, die 2006 von der Innenministerkonferenz beschlossen und ad hoc umgesetzt wurde, und im Jahr 2007 eine gesetzliche Regelung durch den Bundestag fand (s. § 104a AufenthG). Darüber hinaus müsse davon ausgegangen werden, dass die Beschränkung auf geduldete Geflüchtete sowie die zu engen Straftatgrenzen im Chancen-Aufenthaltsrecht dazu führen werden, dass nur wenige Geflüchtete davon profitieren werden. Kurzum: es biete zu viele Einfallstore es zu beschneiden.

Wir teilen die Kritik an dem Chancen-Aufenthaltsrecht – auch, wenn es für viele Geflüchtete eine Verbesserung ihrer Situation darstellen kann. Vor allem den Ausschluss „straffälliger“ Geflüchteter sehen wir problematisch. Hier wird deren besonders prekäre juristische Situation schlichtweg missachtet. Für Geflüchtete Menschen gilt das sogenannte „Ausländerrecht“ und unterliegen somit einer Vielzahl repressiver Normen, welche sie in grundlegenden Rechten einschränkt. Beispielsweise wird mit der Residenzpflicht die Bewegungsfreiheit geflüchteter Menschen massiv eingeschränkt. Viele Geflüchtete werden wegen Verstößen gegen solche diskriminierenden Gesetze zu hohen Geldstrafen verurteilt, was sie somit vom Chancen-Aufenthaltsrecht ausschließt.

Ganz zu schweigen davon, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht ganz nebenbei den ungebrochenen Abschiebungswillen der Bundesregierung fortschreibt und mit einer Ausweitung der Abschiebehaft sehr wahrscheinlich noch viel mehr Menschen hinter Gittern bringen wird als eh schon – nur weil sie eben nicht deutsch sind.

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