Demonstration 18.5.2022:
AnkERzentren abschaffen! – Reden

Am 18.05.2022 riefen die Gruppen SOLWODI, BI Asyl, Seebrücke, Refugee Law Clinic und BgA dazu auf, auch in Bayern die AnkERzentren endlich abzuschaffen. Wir dokumentieren in der Bündniszeitung die gehaltenen Reden.

AnkERzentren abschaffen

Rede Bündnis gegen Abschiebelager (BgA)

Als BgA kämpfen wir seit 5 Jahren kontinuierlich für die Abschaffung der AnkERzentren. Wie von uns vorhergesehen sind die AnkERzentren Abschiebelager, die die geflüchteten Menschen kasernieren und isolieren und versuchen ihren letzten Widerstandsgeist zu brechen. An unseren regelmäßigen Kundgebungen bieten wir den Geflüchteten eine unabhängige Anlaufstelle. In den Berichten darüber verleihen wir ihren Stimmen Gehör und bringen all das, was sie im Abschiebelager erleben, an die Öffentlichkeit.

Wir möchten heute zusammenfassend neben dem dauerhaften menschenunwürdigen Alltag an die vielen dramatischen Situationen, die so viele Geflüchtete hier erleben mussten, erinnern. Die Geflüchteten gaben dem Lager aufgrund der vielen Ablehnungen der Asylbescheide schon 2017 den Namen „negative Camp“. So wurde in Folge das Ziel der schnellen Abschiebung fernab von Öffentlichkeit von Anfang an gnadenlos umgesetzt. Innerhalb des AnkERs gibt es für Geflüchtete keinen Raum, an dem sie sich sicher sein können. Besonders nachts wurden unzählige Polizeieinsätze mit Hunden durchgeführt. Dies hat dazugeführt, dass hier niemand wirklich in Ruhe schlafen kann. Zitat Geflüchteter:

„Die Deutschen sagen, sie lieben Kinder, aber warum kommen sie mitten in der Nacht mit Hunden zu unseren Kindern? Sind unsere Kinder keine Menschen?“

Besonders schreckliche Szenen waren zu erleben, als ein Vater getrennt von seiner Familie abgeschoben werden sollte. Hinzu kommen die Razzien, auch sie mit massivem Aufgebot und Polizeihunden. Denn auch wenn das Eindringen von Polizei in Wohnungen als schwerer Eingriff in die Privatsphäre gilt, so hat Bayern das durch sein sogenanntes Integrationsgesetz in Kombination mit dem PAG für Geflüchtete massiv eingeschränkt. Asylbewerberunterkünfte wurden als „gefährliche Orte“ deklariert, so dass die Polizei nun grundlos jederzeit eindringen kann. Dies ist auch hier mehrfach geschehen und muss weiterhin skandalisiert werden! Unvergessen bleibt auch der Polizeieinsatz nach dem Tod einer geflüchteten Frau. Statt mit den Menschen im Lager zu reden eskalierte die Polizei die Situation dramatisch und machte die Geflüchteten dafür verantwortlich.

Neben der dauerhaften Angst und Anspannung sind die Geflüchteten verdammt zur Untätigkeit im AnkER. „It‘s so stressfull“ erzählen uns die Menschen, die an den Stand kommen. Oder: „Es gibt nichts, um die Zeit zu verbringen“. Sie sind permanenten Ein- und Ausgangskontrollen, Sammelverpflegung, einem minimalem Bargeldbetrag, dem Arbeitsverbot und Mehrbettzimmern ausgesetzt. Doch, so ein weiteres Zitat: „Wir brauchen kein Geld, wir wollen arbeiten“.

Seit Corona wurden ihnen genau diese Unterbringung auch zum Angriff auf ihre Gesundheit. So haben die großen Coronaausbrüche nicht verwundert und es wurde in bekannt restriktiver Weise reagiert: Wochenlang wurden die Lager unter Quarantäne gestellt – es gab kein Rein oder Raus – anstatt Menschen Einzelzimmer zur Verfügung zu stellen und Abstand zu ermöglichen.

Ebenso möchten wir an verschiedene Hitzewellen erinnern, in denen die Menschen, in ihren aufgeheizten Containern ausharren mussten. Es gab seitens der Regierung keinerlei Bereitschaft wenigstens Abhilfe durch Ventilatoren oder gar durch Umquartierung zu schaffen. Zitat Ombudsfrau:

“Wir haben die Trinkmenge erhöht.“

Das ist nur eine kleine Zusammenfassung von all dem, was Geflüchtete hier erleben mussten und müssen. Und diese dauerhaften Missstände sind nur dadurch zu beenden, dass die AnkERzentren wieder abgeschafft werden.

Was alles möglich ist, erleben wir seit Menschen aus der Ukraine auch in Regensburg ankommen: Menschen kommen in Regensburg an, betreten das Lager zur Registrierung und können es wieder als freie Menschen verlassen. Sie entscheiden selbst, an welchen Ort in Deutschland sie fahren und müssen keine Angst vor Kontrollen der Polizei haben. Sie müssen kein retraumatisierendes Asylverfahren durchlaufen, müssen dadurch keine Abschiebung fürchten und können ab Juni Grundsicherung erhalten. Außerdem haben sie sofort die Genehmigung zu arbeiten. Wir begrüßen genau diese Behandlung und fordern sie für alle Geflüchteten. Ein erster Schritt ist die AnkERzentren zu schließen.

Abschließen möchte ich mit drei weiteren Zitaten von Menschen, die in den letzten Jahren zu uns an den Stand gekommen sind:

„Dieses Camp ist ein Gefängnis“

„Seit wir Geflüchtete sind, haben wir keinerlei Rechte“

„There is no humanity in this camp“

Aus all diesen Gründen, lasst uns das Lager abschaffen. No more Lager!


Rede SOLWODI (Solidarity with Women in Destress)

SOLWODI ist eine Fachberatungsstelle für Migrantinnen in Not, die verschiedenste Formen der Ausbeutung und Gewalt erleben mussten. Viele unserer Klientinnen sind oder waren hier in den AnkERzentren untergebracht.

Für das bayerische Innenministerium stand nach der Wahl der neuen Bundesregierung schnell fest, dass am Konzept der AnkERzentren festgehalten werden soll. Insbesondere war dem bayerischen Innenminister wichtig, am Konzept der Behördenbündelung festzuhalten, also an BAMF und Zentraler Ausländerbehörde, VG und beschleunigten Verfahren – alles an einem Ort. 1)

Wir möchten uns heute an dieser Kundgebung beteiligen, weil es uns wichtig ist als NGO offen Kritik üben zu können an diesem Konzept der Sammelunterbringung, der Behördenbündelung und Verfahrensbeschleunigung. Wichtig ist uns zu betonen, dass uns wohl bewusst ist, dass sich unsere Kolleginnen, die im AnkERzentrum arbeiten, bemühen, und wir deren Arbeit im Gewaltschutz sehr schätzen. Auch wissen wir, dass die Regierung der Oberpfalz keine gesetzgebende Behörde ist. Dennoch sehen wir es als wichtigen Teil unserer Arbeit, kritisch zu bleiben und unsere Erfahrungen nach Außen zu tragen.

Das Konzept der AnkERzentren steht in großem Gegensatz dazu, was EU Recht ist und was gerade auch für besonders vulnerable Personengruppen zu gelten hat. Nicht umsonst wurde hier schon einmal ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland eingeleitet. 2)

Dass sich Lagerunterbringung gewaltfördernd auswirkt, ist inzwischen mehrfach erschöpfend wissenschaftlich untersucht worden. Opfer von Menschenhandel haben das Recht auf eine dreimonatige Bedenk- und Stabilisierungsfrist. Diese gibt es, weil Opfer erstmal das Recht haben sollen, sich physisch und psychisch von Strapazen zu erholen und mit Beratung und in Sicherheit überlegen sollen, ob sie eine Aussage machen können. Ebenso soll ihnen sichere Unterkunft garantiert sein. Dies alles ist mit dem Konzept der AnkERzentren nicht verwirklicht.

Besonders vulnerable Personen, deren Traumafolgen sich durch Enge, Lautstärke und ständiges Mitansehenmüssen von Abschiebungen massiv verstärkt, wird ein ordnungsgemäßes Asylverfahren fast unmöglich gemacht. Opfer von Menschenhandel, die berechtigt Angst haben, als Zeugin eingeschüchtert und an Aussagen behindert zu werden, konnten gerade in der Corona-Kettenquarantäne kaum ungestört mit uns sprechen und vor allem nicht zur Ruhe kommen.

In diesen Zentren sollen innerhalb einiger Wochen Anhörungen stattfinden und bereits die meist negative Entscheidung getroffen werden. Hier werden wichtige europarechtliche Vorgaben regelmäßig missachtet, wie die Aufnahme-, Verfahrens- und Menschenhandelsrichtlinie.

Und eben dieses Konzept führt dazu, dass Schutzrechte nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Dies zeichnet sich am deutlichsten bei den Schutzquoten ab. So beträgt die Schutzquote für Nigeria im Jahr 2018 bundesweit 24,6 %, im AnkERzentrum Manching beträgt die Schutzquote für Nigeria 8%. 3)

Dieser gravierende Unterschied liegt eben am AnkER-Konzept. Am gefährlichsten finden wir, dass dann eben diese Schutzquoten genommen werden, um den Menschen Fluchtgründe abzusprechen und Herkunftsländer als vermeintlich „sicher“ anzusehen. Geflüchtete werden gerade jetzt mit dem Ukraine-Konflikt in die „guten“ und in die „schlechten“ Geflüchteten eingeteilt, das war aber auch zuvor schon so. Schon vorher kursierte der unbestimmte Rechtsbegriff der „Bleibeperspektive“, wo meist Menschen aus afrikanischen Länder zu denen gehörten, die angeblich eine schlechte Bleibeperspektive hätten, dazu zählen auch viele unserer Klientinnen!! Das Individualrecht auf Asyl, die intensive Prüfung des Einzelfalles wird durch das Konzept AnkERzentrum zunehmend ausgehöhlt.

Wir fordern endlich die Umsetzung der eigentlichen Verpflichtungen: Die systematische Identifizierung besonders Schutzbedürftiger, die konsequente Umsetzung damit einhergehender Verfahrensgarantien und eben auch die rechtlich garantierte Behandlung aller physischen und psychischen Folgen durch professionelle Fachkräfte und einer Umgebung, in der die vielfältigen Folgen von sexualisierter Gewalt, Krieg, illegalisierter Flucht heilen können.

1) Vgl. https://www.br.de/nachrichten/bayern/staatsregierung-will-an-AnkERzentren-festhalten,St3mXkX

2) Vgl. https://www.researchgate.net/profile/Katja-Lindner-2/publication/349346506_Die_EU- Aufnahmerichtlinie_von_2013_und_deren_Umsetzung_in_Deutschland_- _Implikationen_fur_die_medizinische_Versorgung_Handout_zur_Prasentation_beim_Runden_Tisch_zur_Verso rgung_traumatisierter_Fluchtli/links/602ceffba6fdcc37a83064ee/Die-EU-Aufnahmerichtlinie-von-2013-und- deren-Umsetzung-in-Deutschland-Implikationen-fuer-die-medizinische-Versorgung-Handout-zur- Praesentation-beim-Runden-Tisch-zur-Versorgung-traumatisierter-Fluech.pdf

3) https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/wp-content/uploads/2019/10/Statement-Herr-RA-Heinhold.pdf


Rede BI Asyl

Danke an BgA für die Initiative, an alle aufrufende Gruppen und alle Teilnehmende.

Heute sind wir leider nur wenige auf der Straße. Aber unser Protest reiht sich ein in unzählige Kritik am AnkERzentrum-Konzept, in unzähligen Forderungen vieler „AnkERzentren abschaffen“.

In Regensburg haben 18 Gruppen in einer Erklärung vom Mai 2018 das Vorläufer-Konzept als „desaströs“ kritisiert, in dem rechtsstaatliche und humanitäre Prinzipien missachtet werden. Die Einführung von AnkERzentren müsse daher unbedingt verhindert werden. Neben vielen haben sich auch Grüne, SPD und Linke angeschlossen. „Wir haben kein Leben“ betitelte die Donaupost ihren Artikel vom 24. Mai 2018 über eine Veranstaltung, in der zwei Bundestagsabgeordnete der Linken die verzweifelte Lage der Geflüchtete nach einem Besuch in der Pionierkaserne Zeissstraße schilderten. Bei einer gut besuchten Veranstaltung im EBW im September 2018 berichtete ein Geflüchteter

„…the only thing were doing is sleeping ,eating, thinking to much … we are exposed to stress, hopelesse and depression. We have no life in AnkERzentrum“

Im Herbst 2019 haben 6 Regensburger Unterstützergruppen ( AsA, Alveno, BI Asyl, Campus Asyl, Helferkreis, Weinweg, Refugee Law Clinic) einen Offenen Brief verfasst der von 29 weiteren Gruppen, Parteien und Gewerkschaften unterzeichnet wurde. Darin heißt es: Geflüchtete im AZ werden

„gezielt sozial abgeschottet … Das Sachleistungsprinzip (u.a. Reduzierung des Taschengelds auf rund 102,- Euro) nimmt individuelle Freiheiten und verstärkt entwürdigende Isolation … Anwalt kann kaum bezahlt werden. … Wir beobachten eine bedrohliche Schutzlosigkeit, insbesondere von Frauen und Kindern, ein deutlich gestiegenes Maß an Perspektivlosigkeit, Lethargie, Depression, Frustration und dem Gefühl, dass wichtige Lebenszeit verstreicht. All dies erhöht den psychischen Stress erheblich und verhindert die Heilung von Traumata. Daher fordern wir weiterhin: AnkER-Zentren müssen abgeschafft werden.“

Ähnlich in einer von vielen unterzeichneten Ingolstädter Erklärung zum dortigen AnkERzentrum Ende 2018:

„Die Umstände stehen im krassen Widerspruch zu unseren Grund- und Menschenrechten. Die Ausrichtung am Kindeswohl sind nicht gegeben. Das Recht auf Privatsphäre, auf Unverletzlichkeit der Wohnung, auf Bildung, auf Rechtsbeistand etc. ist stark eingeschränkt … Die Zivilgesellschaft wird von Informationen ausgeschlossen und somit das bürgerschaftliche Engagement erschwert und zurückgedrängt. Ressentiments in der Bevölkerung gegen Geflüchtete werden dadurch verstärkt und gefestigt” (https://ingolstädter-erklärung.de)

Im April 2019 stellte der Jugendhilfeausschuss der Stadt München eine „strukturelle Kindeswohlgefährdung“ in der „Funkkaserne“ in München fest. In der Landtagsanhörung 26.09.2019 zu AnkERzentren kritisierte der Großteil der Expert*innen die Situation ausführlich. Menschenunwürdige Zustände, strukturelle Gefährdung des Kindeswohls, Behinderung eine sachgerechte Durchführung der Asylverfahren und vieles mehr wurde vorgetragen. Lediglich BAMF-Präsident Sommer und die CSU verteidigten das Konzept. (https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/themen/AnkER- zentren/#themenmaterial)

Auf europäischer Ebene wurde das Konzept in einer 24-seitigen Studie vom April 2019 des Europäischen Flüchtlinsgrates scharf kritisiert.

Im November 2019 haben Ärzte aus dem AZ Ingolstadt Manching die krank machenden Lebensbedingungen „kritisiert und sich deshalb zurückgezogen”. (Donaukurier 21.11.2019 )

In einer 92-seitigen Studie von terre des hommes („Zur Lebenssituation von minderjährigen Geflüchteten in Aufnahmeeinrichtungen“) wird ebenfalls Kindeswohlgefährdung festgestellt:

„AZ sind keine Orte, in denen die Rechte von Kindern und Jugendlichen gewahrt werden.“

Im Juli 2021 forderte ein breites, bundesweites, zivilgesellschaftlich Bündnis von 65 Gruppen und Organisationen AnkERzentren abzuschaffen. Darunter: Caritas, Diakonie, Paritätischer Gesamtverband, AWO und viele mehr. Hauptforderungen: „Abschaffung vonAnkERzentren – Isolation beenden – faire Asylerfahren sicherstellen.“

So auch einer von 15 Punkten in den „Flüchtlingspolitischen Forderungen zur Bundestagswahl 2021“ von Pro Asyl.

Ich fasse zusammen und komme zum Ende.

Das AZ-Konzept – entwickelt und gezielt vorangetrieben vom damaligen Innenminister Seehofer und der CSU – ist ein desaströses Konzept der Unmenschlichkeit, missachtet rechtsstaatliche Prinzipien, verhindert faire Asylverfahren, zermürbt die darin zwangsweise Untergebrachten, nimmt ihnen Hoffnung und Perspektive, verdammt sie unter ständige Kontrolle und Angst, macht sie krank … mit dem Ziel sie möglichst schnell und unkompliziert abschieben zu können.

Was waren oder sind die Reaktionen der Politik auf die breite Kritik?

In der großen Koalition hat die SPD Seehofer und die CSU gewähren lassen, auch wenn auf Landesebene und örtlich viele SPD-Gliederungen dagegen protestiert haben und sich gegen das AnkERzentrum-Konzept positioniert haben. Nun hat die neue Ampelkoalition bekanntlich folgendes vereinbart:

„Das Konzept der AnkERzentrum wird von der Bundesregierung nicht weiter verfolgt“.

Wir fordern eine schnelle Umsetzung indem per Bundesgesetz die Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen auf maximal 4 Wochen begrenzt wird und im Anschluss Wohnungsunterbringung Vorrang vor Lagerunterbringung hat.

Danke.


Rede Seebrücke Regensburg

Vor 84 Tagen, am 24. Februar hat Russland die Ukraine angegriffen. Plötzlich war Krieg und Flucht in allen Nachrichten und Köpfen. Putins Regime und der Imperialismus Russlands haben seitdem unzählige Menschen zur Flucht gezwungen. Mindestens 8 Millionen sind innerhalb der Ukraine geflohen, über 6 Millionen haben das Land verlassen und Anfang Mai sind bereits mehr als 600 Tausend Menschen in Deutschland angekommen. Sie wurden mit offenen Armen aufgenommen. Menschen haben gespendet und haben die Ankommenden an den Bahnhöfen empfangen. Sie haben Wohnungen angemietet oder teilen sogar ihr eigenes Haus mit Fremden. Schnell und unbürokratisch wird alles dafür getan, die Fliehenden aufzunehmen. Ja sogar Polen, das Schutzsuchenden bisher nur mit Menschenverachtung und Gewalt begegnet ist, hat mehr als 2,5 Millionen Ukrainer*innen aufgenommen.

Das ist fantastisch! Als Seebrücken begrüßen wir diese riesige Solidarität und Hilfsbereitschaft. Sie ist richtig, und sie ist wichtig. Es ist richtig, dass verzweifelte, oft traumatisierte Menschen, die alles zurücklassen mussten, gut aufgenommen werden. Es ist wichtig, dass sie hier endlich zur Ruhe kommen können.

Doch leider ist das die Ausnahme. Krieg und Flucht sind nicht neu. Millionen von Flüchtenden müssen genau jetzt und seit Jahren vor Krieg, Hunger und Perspektivlosigkeit fliehen. Dabei wird ihnen der Zugang zum Recht auf Asyl erschwert oder gänzlich verwehrt. In Europa sitzen bis heute Menschen in den Wäldern und Sümpfen an der polnisch-belarussischen Grenze fest. Ohne Essen, Trinken oder medizinischer Versorgung. Der Gewalt von belarussischen und polnischen Soldaten schutzlos ausgeliefert. Europäische Behörden, allen voran Frontex, haben ein System aus Abschreckung, rechtswidrigen Pushbacks und Kriminalisierung aufgebaut. Ein System das Menschen tötet.

Haben es die Schutzsuchenden dann endlich in die Europäische Union geschafft, werden sie monatelang in Lagern an den EU-Außengrenzen festgehalten. Und hier in Bayern geht es mit solchen, sogenannten AnkER-Zentren weiter.

Menschen, die vor Unterdrückung und Rechtslosigkeit geflohen sind, erleben HIER nicht Freiheit und Sicherheit, sondern werden eingesperrt als wären sie Kriminelle. Menschen, für die es gefährlicher war, in ihren Heimatländern zu bleiben, als über das Mittelmeer – der gefährlichsten Fluchtroute der Welt! – nach Europa zu fliehen, droht HIER die Abschiebung zurück. Menschen, die professionelle Unterstützung benötigen, um das Erlebte zu verarbeiten, werden HIER erneut traumatisiert.

Das System von Menschenverachtung und Abschottung zieht sich von den tödlichen EU-Außengrenzen bis zur Inhaftierung und Isolation HIER in Bayern. Für Millionen Schutzsuchende steht Europa nicht für solidarischer Aufnahme und Unterstützung, sondern für kalte Bürokratie, Abschottung und Zurückweisung.

Lasst mich nochmal zurück kommen zu den Menschen, die aus der Ukraine fliehen: Denn nicht einmal diese Menschen, die aus dem gleichen Land, vor dem gleichen Krieg fliehen, werden hier gleich willkommen geheißen. Personen mit dunklerer Hautfarbe oder ukrainische Rom*nja wurden bei der Flucht aus Bussen und Zügen gedrängt. Studierende aus Indien und Nigeria wurden an der Grenze aufgehalten. Und auch wenn sie es nach Polen oder Deutschland geschafft haben, geht die Diskriminierung weiter. Menschen, die aus anderen Staaten in die Ukraine gekommen sind, droht die Abschiebung – egal ob sie vor anderen Krisen geflohen sind oder all ihr Erspartes ausgegeben haben, um in Europa zu studieren. Und Deutsche, die eigentlich aus Mitgefühl ihre Wohnung teilen wollten, sagen plötzlich: „Nein, so jemanden wollten wir nicht!“, wenn eine Schwarze Person vor ihnen steht.

Das zeigt eines: Es geht hier nicht um unterschiedliche Fluchtursachen. Dass die einen Schutzsuchenden anders aufgenommen werden als die anderen, ist einzig und allein Rassismus. Rassismus an den Grenzen, in unseren Behörden und in unserer Gesellschaft. Rassismus in unserer Hilfsbereitschaft und Solidarität. Das ist abscheulich und darf einfach nicht sein! Jedem Menschen steht ein Leben in Sicherheit zu. Jeder Mensch hat dieselben Menschenrechte. Jeder Mensch hat dieselbe Unterstützung, Solidarität und Hilfsbereitschaft verdient! Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität oder Religion dürfen da keinen Unterschied machen!

Letzten Samstag war ich mit Aktivist*innen aus ganz Bayern und mit Geflüchteten aus der Ukraine, aus Sierra Leone und aus Afghanistan in München. Gemeinsam haben wir für eine solidarische Politik für alle Menschen auf der Flucht demonstriert! Wir haben gemeinsam sichere Fluchtwege, die Einhaltung der Menschenrechte sowie ein Ende von Pushbacks und Gewalt gegen Schutzsuchenden gefordert. Und natürlich haben wir auch ein Ende dieser unmenschlichen Lager – egal ob auf Samos oder in Bayern – gefordert.

Stattdessen braucht es Zusagen, dass die Angekommen langfristig hierbleiben können. Abschiebungen müssen endlich ein Unding der Vergangenheit sein. Jede Abschiebung zerstört Leben und ich finde es widerlich, dass diese Praktik sogar im Namen dieser Zentren – getarnt als harmloses R für „Rückführung“ – mitgenannt wird. Die Todesstrafe haben wir abgeschafft – warum gibt es also noch Abschiebungen?

Statt in solchen Lagern isoliert zu werden, müssen die Menschen arbeiten und zur Schule gehen dürfen, um sich hier ein neues Leben in Sicherheit und ohne Angst aufbauen zu können. Sprachunterricht muss für alle, von Anfang an, ermöglicht werden. Kinder müssen zur Schule gehen dürfen, mitgebrachten Berufs- und Schulausbildungen müssen anerkannt werden.

Und Gemeinden, die Geflüchtete dezentral unterbringen und ein neues Zuhause bieten wollen, müssen darin bestärkt und unterstützt werden. Was getan werden kann, haben wir die letzten Wochen gut gesehen. Schnelle, solidarische und unbürokratische Aufnahme ist möglich. Dezentrale Unterbringung und würdevoller Umgang mit Schutzsuchenden ist möglich. Ja, sogar europäische Kooperation im Sinne der Geflüchteten scheint möglich zu sein.

Jetzt muss dies aber für ALLE ermöglicht werden. Alle Menschen müssen in Frieden und Sicherheit leben dürfen. Alle Menschen müssen mit offenen Armen empfangen werde. Und alle Menschen müssen aus Gefahr gerettet werden – hier nochmal die Bitte: Enden will ich heute aber nicht mit meinen Worten, sondern mit einem Zitat von Saadat Amiri-Scharistani, der selbst aus Afghanistan flüchten musste und letzten Samstag dies sagte:

“Ich bin sehr froh, dass die Ukrainer*innen so gut aufgenommen werden. Die Situation in der Ukraine ist schrecklich und wir Geflüchteten aus anderen Ländern können das Leid der Menschen gut nachfühlen, da wir selbst vor Krieg und Bomben fliehen mussten. Aber warum wurden und werden wir nicht genauso behandelt?“


Hinweis

Das ueTheater führte 2019 ein Theaterstück auf der Grundlage von Aussagen von AnkERzentrums-Bewohner*innen und Vorkommnissen im Regensburger Abschiebelager in der Zeißstraße auf. Titel: “Mitten unter uns”.

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