Offener Brief gegen AnkER-Zentren:
“AnkER-Zentren müssen abgeschafft werden!”

Das ueTheater unterzeichnete zusammen mit vielen anderen Gruppen einen offenen Brief, in der die Abschaffung aller AnkER-Zentren gefordert wird. Im Folgenden dokumentieren wir den Brief.

Zeißstraße 1Sehr geehrte Damen und Herren,

im Mai 2018 wandten sich sechs Regensburger Organisationen und Vereine, die mit Geflüchteten zusammenarbeiten und diese unterstützen, in einem offenen Brief gegen die bundesweite Einführung von sog. AnkER-Zentren nach bayerischem Vorbild.

Zu unserer Erleichterung wurde zwar – im Gegensatz zu den ursprünglichen Plänen des Bundesinnenministeriums – das Konzept nicht bundesweit umgesetzt. Gleichzeitig mussten wir aber leider beobachten, dass sich unsere Befürchtungen vom Mai letzten Jahres nahezu vollständig bewahrheitet haben. Zum Jahrestag der Eröffnung der bayerischen AnkER-Zentren wenden wir uns nun mit einem zweiten Brief an die Öffentlichkeit, um die politischen Bemühungen gegen das Anker-Zentrum zu verstärken, Personen in der AnkER-Einrichtung zu unterstützen und deren gewollter Isolation entgegenzuwirken.

Unsere Forderung bleibt die Abschaffung der bayerischen AnkER-Zentren und die Rückkehr zu einer dezentralen Unterbringung von geflüchteten Menschen nach spätestens drei Monaten.

Unsere nachstehenden Schilderungen basieren auf Beobachtungen, die wir in unserer praktischen Tätigkeit in und um die Regensburger AnkER-Einrichtung gemacht haben.

Das Asylverfahren

Kurz nach der Ankunft müssen sich die Menschen in AnkER-Zentren bereits einer kaum überschaubaren Flut an Informationen und Terminen stellen. Die erste Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge findet inzwischen häufig bereits wenige Tage nach der Ankunft in der AnkER-Einrichtung statt. Folglich besteht kaum eine Möglichkeit für die Geflüchteten, sich unter fachlicher Beratung auf die Anhörung vorzubereiten. Der Betreuungsschlüssel von hauptamtlichen AsylsozialberaterInnen zu BewohnerInnen ist unzureichend. Ehrenamtliche Hilfe versucht in dieser Situation oftmals zu kompensieren, was eigentlich staatlich zu leisten ist. Als Basis für die Entscheidung über den Asylantrag ist die Anhörung essentiell und daher eine entsprechende Beratung äußerst wichtig. Zwar gibt es eine durch das BAMF eigens durchgeführte Anhörungsvorbereitung. Diese kann jedoch den Anforderungen des europäischen Rechts auf Zugang zu unabhängiger Beratung nicht genügen.

Die Asylverfahren von Personen in der AnkER-Einrichtung haben sich, entgegen dem Konzept, nicht erheblich verkürzt. Vielfach müssen Schutzsuchende 12 Monate und mehr in AnkER-Zentren verbleiben. Dies ist ein unzumutbarer Zustand. Wir fordern, dass alle Geflüchteten, denen es rechtlich möglich ist, schnellstmöglich aus AnkER-Einrichtungen umverteilt werden. Wir beobachten, dass von dieser Möglichkeit nicht immer Gebrauch gemacht wird.

Die Situation der Menschen in den AnkER-Zentren

Durch die Unterbringung von sehr vielen Menschen (bis zu 1.000 Personen) an einem von Stacheldraht umzäunten Ort werden diese gezielt sozial von der Regensburger Stadtgesellschaft abgeschottet. BewohnerInnen können z.B. selbst bei langen Aufenthaltsdauern keine BesucherInnen in der AnkER-Einrichtung empfangen. Auch die verstärkte Anwendung des Sachleistungsprinzips (u.a. Reduzierung des sog. Taschengelds auf rund 102,- Euro) nimmt individuelle Freiheiten (z.B. selbst Essen zuzubereiten) und verstärkt eine entwürdigende Isolation durch verringerte Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Die Beratung durch einen Rechtsanwalt in den AnkER-Zentren wird erheblich erschwert, die Kontaktaufnahme in die Unterkünfte hinein ist kaum möglich. Sofern selbständig ein Anwalt gefunden wird, kann dieser aufgrund des geringen sog. Taschengelds kaum bezahlt werden. Wie die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme Nr. 33 vom Oktober 2018 feststellte, ist AntragstellerInnen in allen Phasen ihres Asylverfahrens effektiv Gelegenheit zu geben sich anwaltlich vertreten zu lassen. Dieses geschützte Recht wird erheblich durch das verstärkte Sachleistungsprinzip eingeschränkt.

Vulnerable Personen sind in der AnkER-Einrichtung strukturell besonders gefährdet. Wir beobachten eine bedrohliche Schutzlosigkeit, insbesondere von Frauen und Kindern, welche u.a. aus der beengten Unterbringung resultiert. Der Jugendhilfeausschuss der Stadt München diagnostizierte bspw. im April 2019 eine strukturelle Kindeswohlgefährdung in der „Funkkaserne“ in München. Zwar besteht für physische Erkrankungen eine Erstversorgung in der AnkER-Einrichtung Regensburg, insbesondere im Bereich psychischer Erkrankungen (v.a. Traumata) beobachten wir allerdings eine erhebliche Unterversorgung trotz immensem Bedarf. Auch für Menschen mit Bleibeperspektive ist dies der schlechtmöglichste Start zurück ins Leben.

Wir begrüßen es, dass in Regensburg Grund- und MittelschülerInnen nach wie vor Regelschulen besuchen können. Gleichzeitig kritisieren wir, dass BerufsschülerInnen lediglich auf dem Gelände der AnkER-Einrichtung beschult werden. Sie werden damit vom sozialen und sprachlichen Integrationsprozess des Schulalltags ausgeschlossen. Arbeitserlaubnisse werden selbst bei längeren Aufenthalten und trotz rechtlicher Ermessensspielräume nicht erteilt. In beiden Fällen könnten mit etwas gutem Willen konkrete Verbesserungen für viele Menschen erzielt werden.

Fazit

In der Folge all dieser Umstände beobachten wir seit der Einführung der AnkER-Einrichtungen in Regensburg ein deutlich gestiegenes Maß an Perspektivlosigkeit, Lethargie, Depression, Frustration und dem Gefühl, dass wichtige Lebenszeit verstreicht. All dies erhöht den psychischen Stress unter den BewohnerInnen erheblich, verhindert die Heilung von bestehenden Traumata und schürt das allgemeine Konfliktpotential. Wir erachten es als fatal, dass das gesellschaftsspaltende Potential, welches aus der bewusst herbeigeführten Stresssituation in den AnkER-Einrichtungen herrührt, unbedacht hingenommen wird.

Wir erkennen es an, dass die Regierung der Oberpfalz mit einigen von uns zusammenarbeitet und uns die Unterstützung in der AnkER-Einrichtung ermöglicht. Allerdings kann dies die Lage der Menschen allein nicht verbessern. Daher fordern wir weiterhin: AnkER-Zentren müssen abgeschafft werden. Wir schließen uns damit den Forderungen aus der Pressekonferenz des Bayerischen Flüchtlingsrats und beteiligter Helferorganisationen vom 23.07.2019 an.

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