Kundgebungsrede in Nürnberg:
5. Jahrestag der Verhaftung von Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ

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Auch wir als Internationaler Kultur- und Solidaritätsverein Regensburg (IKS) möchten zum wiederholten Male unsere Solidarität mit der HDP öffentlich zum Ausdruck bringen. Seit dem ersten großen Erfolg der HDP bei Wahlen ist die Reaktion der AKP in immer weiter steigenden Repressionen zu sehen und steht in Zusammenhang mit dem erneuten Krieg gegen die kurdische Bevölkerung.

Ich bin 2015 und 2018 für unseren Verein dem Aufruf der HDP zur Wahlbeobachtung im kurdischen Gebiet gefolgt. Dabei konnte ich beide Male sowohl den dauerhaften Kriegszustand als auch die nochmals erhöhten Repressionen während der Wahl beobachten. In jedem noch so kleinen Dorf hat ein massives Polizei- und Militäraufgebot versucht die Bevölkerung so einzuschüchtern, dass sie entweder nicht zur Wahl geht oder nicht die HDP wählt. Die meisten haben sich dieser Bedrohung widersetzt.

2018 wurde die Repression schon in der Zeit vor der Wahl massiv erhöht: HDP Büros wurden angegriffen, Mitglieder attackiert, es gab Anschläge auf Wahlbusse und eine neue Inhaftierungswelle von Kandidat*innen und Funktionären, der ehemalige Kovorsitzende und Präsidentschaftskandidat Demirtaş war und ist im Gefängnis. Selbst die OSZE musste einräumen, dass es „einen Mangel an gleichen Bedingungen“ gab.

Zugleich waren 2018 die Wahlgesetze im Sinne der AKP verändert worden. Wir konnten die daraus resultierenden Bedrohungen für die kurdische Bevölkerung am Wahltag beobachten. So kann die Regierung jetzt Wahllokale aus sogenannten Sicherheitsgründen verlegen. Das wurde natürlich nur in den kurdischen Provinzen angewandt – über tausend mal. So mussten Menschen aus Dörfern am Wahltag bei brennender Hitze bis zu 15 km einfache Wegstrecke zu Fuß zurücklegen. Es gab keinen Fahrdienst und selbstorganisierte wurden vom Militär gestoppt. Stellt euch das mal in Deutschland vor, dass jemand 30 km laufen muss, um wählen gehen zu können.

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Ebenso neu war, dass jede*r die Präsenz von bewaffneten Sicherheitskräften in den Wahllokalen anfordern darf. Früher war das zumindest noch offiziell verboten. Nachdem wir genau das bei unseren Besuchen verschiedener Wahllokale moniert hatten und einmal auch durchsetzen konnten, dass die Waffen abgelegt werden mussten, wurden wir selbst kontrolliert und unsere Pässe fotografiert. Beim nächsten Wahllokal wurden wir dann von Militär festgesetzt und es wurde ein Wahlbeobachtungsverbot erteilt. Anderen Delegationen erging es ähnlich.

In Folge dessen wurde ich 2019 bei meiner nächsten privaten Einreise in die Türkei am Flughafen festgenommen und nach Deutschland zurückgeschickt. Ich sei eine unerwünschte Person und ein hohes Sicherheitsrisiko für die Türkei.

Wir sehen, dass die Türkei nichts dem Zufall überlassen möchte. Sie hat ein faschistisches System errichtet, das sich nach außen hin zumindest durch Wahlen den Anschein einer Demokratie geben möchte. Im Inneren jedoch herrscht totale Kontrolle, alle Störungen sollen verhindert werden. Dazu gehört eben auch Wahlbeobachtung und darauffolgende Öffentlichkeitsarbeit.

Trotz aller massiven Repressionen (Absetzungen gewählter HDPler, massenhafte Verhaftungen, systematischer Druck auf alle Mitglieder, versuchte Verhinderung von Aktionen und politischer Betätigung durch die Polizei) und trotz der einhergehenden öffentlichen Kriminalisierung ist das Ziel der Einschüchterung und Handlungsunfähigkeit der HDP nicht erreicht worden. Deshalb wurde als nächste Eskalationsstufe das Verbot der HDP in Angriff genommen. Das müssen wir in Hinsicht auf die Wahlen 2023 sehen. Denn die Kommunalwahlen 2019 haben gezeigt, dass sich das Wahlverhalten der HDP trotz massiver Repressionen direkt auf das Wahlergebnis auswirkt.

Nach ersten formalen Fehlern wurde der Antrag im Juni vom Verfassungsgerichtshof angenommen. Aber das ist kein juristisches, sondern ein politisches Verfahren! Die Anklageschrift hat keine rechtliche Grundlage, sondern enthält eine Auflistung von Aktionen und Veranstaltungen, gehaltene Reden und Beiträge von Abgeordneten, vor allem aus der Zeit des Friedensprozesses, sollen kriminalisiert werden. Aber auch Aufrufe zum Protest gegen die Unterstützung der Türkei für den IS.

Es gibt erste internationale Reaktionen: die EU-Kommission führt in ihrem aktuellen Bericht über die Türkei gravierende Rückschritte aus. Hervorgehoben wird in dem Bericht insbesondere das Verbotsverfahren gegen die HDP und die Unterdrückung der Opposition. „Das gegen die HDP eingeleitete Verbotsverfahren beeinflusst den politischen Pluralismus in der Türkei negativ und die kommunale Demokratie ist durch den Druck auf oppositionelle Bürgermeister:innen weiter geschwächt worden.“

In den USA haben sich Senatoren mit einem Brief an Präsident Biden gewandt. Sie prangern den seit Jahren geführten politischen Vernichtungsfeldzug des türkischen Regimes gegen die kurdische Gesellschaft und die HDP als ihre politische Vertretung an und sehen darin eine systematische Kampagne. Sie fordern, dass jeder Versuch, die HDP aufzulösen oder ihre Mitglieder zu inhaftieren oder ihre Funktionen zu verbieten, schwerwiegende negative Folgen für die Türkei haben muss.

Aber wir als Linke, wir als Aktivist*innen wissen, dass im internationalen Machtgefüge Menschenrechte und Demokratie zwar oft lautstark eingefordert werden, aber niemals tatsächlich der Ausschlag für politische Entscheidungen sind. Gerade in Deutschland wissen wir um die über hundertjährige enge Zusammenarbeit mit der Türkei. Wir wissen um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die unsäglichen Waffenexporte – Waffen, die für den schmutzigen Kriege gegen das kurdische Volk und gegen alle Oppositionellen eingesetzt werden. Deshalb müssen wir so wie heute auf die Straße gehen, wir müssen Konsequenzen einfordern und Druck machen! Neben unserer Solidarität und unserer Unterstützung für die Aktivist*innen in der Türkei müssen wir vor allem hier in Deutschland Druck machen – durch Aufklärung, durch direkte Aktionen und dadurch, dass wir mehr werden. Denn die HDP kann nicht vor Gericht gewinnen.

Hoch die internationale Solidarität!

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