Uraufführung "Nach uns die Sintflut":
Welt-Theater im Wirtshaus

Von Walter Hoffmann

Sintflut Pressefoto

Bild: Caro Schöttl

Nachdem das studentische Ensemble ueTheater letztes Jahr aus der Uni “verbannt” worden war, weil es der Spielstädte den Namen “Elly-Maldaque-Theater” gegeben hatte, musste für die Inszenierung und Aufführung des neuen Stückes schnell eine neue Bühne gesucht werden. Kurt Raster, Autor des Stückes und Leiter des ueTheaters, fand schließlich einen passenden Proben- und Aufführungsort im Saal der Vereinsgaststätte des Sport-Club Regensburg.

Anspruchsvolles politisches Theater im traditionellen Wirtshausbetrieb – konnte das gutgehen? Nach zehn Probentagen und drei Aufführungen Mitte Februar war allseits klar: Die Kooperation zwischen Theater und Wirtshaus funktionierte viel besser als allseits erwartet. Vermutlich noch nie konnte man in Regensburg in einem gutbürgerlichen Wirtshaus mitreißenderes Theater erleben als bei den drei Aufführungen von “Nach uns die Sintflut” in der SC-Sportgaststätte.

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Foto: Herbert Baumgärtner

Das neueste Stück aus der Feder von Kurt Raster ist ein theatralisches Monstrum mit nahezu allen dramaturgischen Elementen, die das politische Theater als “moralische Anstalt” aufweisen kann und darf. In seinem zweieinhalb Stunden dauernden Theaterstück beschreibt der Autor in rund zwanzig Szenen, welche Katastrophe der menschengemachte Klimawandel für die Welt bedeutet und wer dafür verantwortlich ist, dass in den kommenden zehn Jahren große Teile der Welt unbewohnbar sein und Millionen Menschen ihr Leben verlieren werden.

Ausgangsszenario ist das Jahr 2030: Deutschland ist durch den Klimawandel und Kriegszerstörung weitgehend unbewohnbar geworden. Es gibt weder öffentliche Wasser-, noch Stromversorgung, ebensowenig Autos, weil der Treibstoff fehlt, und die meisten Straßen sind nicht mehr befahrbar. Der Staat und seine Institutionen existieren nicht mehr.

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Foto: Herbert Baumgärtner

Die Macht liegt seit einiger Zeit in den Händen der Überlebenden, die – in demokratischen Genossenschaften organisiert – in Nürnberg ein weltweites, öffentliches Tribunal veranstalten, um die Verursacher der Menschheitskatastrophe anzuklagen und zu bestrafen. Ankläger sind der Vertreter der Nichtindustriestaaten, die Vertreterin der Flüchtlinge und die Vertreterin der Kinder der Welt.

Angeklagt sind die Vertreterin der Politik, der Vertreter der Wirtschaft und der Großbanken, die Vertreterin der Medien als “professionelle Klimaleugner”, die Vertreterin der Superreichen und die Vertreterin von Militär, Polizei und Geheimdienste. Das Tribunal hat keinen Chefankläger, sondern einen “Moderator”.

Während des Tribunals kommen alle einschlägigen Themen zur Sprache: der Kapitalismus als Hauptverursacher des Klimawandels, die Zunahme von Wetterkatastrophen, das weltweite Flüchtlingselend, die Vernichtung der natürlichen Lebensräume, das Elend der Nutztiere, die Vernichtung der Wildtiere, der Anstieg des Meeresspiegels, der Terror durch Militär und Polizei, die Ignoranz der Reichen, die Ausreden der Politiker und Wirtschaftslobbyisten, die düstere Zukunft der Kinder, das Leben ohne technische Zivilisation und der Aufbau einer quasi anarchischen, basisdemokratischen Gesellschaft.

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Foto: Kurt Hanauer

Parallel zum Tribunal in Nürnberg marschiert eine Gruppe von deutschen Nationalrassisten zu Fuß durch das weitgehend zerstörte Deutschland von Hamburg nach Nürnberg, um das Tribunal zu beenden und gewaltsam die Nationale Befreiung Deutschlands zur Wiederherstellung der alten Zustände herbeizuführen. Während des Marsches auf Nürnberg behandelt die Gruppe folgende Themen: die Überschwemmung Hamburgs, außergewöhnliche Regenstürme im Harz, eine Windrad-Sabotage, Wüstenklima in der Lüneburger Heide, Zerstörung des Klimawandelleugner-Instituts in Jena, Fälschung des Buches von Edward Snowden, Wagnereuphorie in Bayreuth, Permakultur in Genossenschaftshand, Prepper-Netzwerk zur Waffenbeschaffung.

Ein wahres Themen-Inferno also, und nicht wenige Aufführungsbesucher hatten den Eindruck, dass die Menge der angesprochenen Themen für drei, vier oder mehr abendfüllende Theaterstücke ausreichen würde.

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Foto: Kurt Hanauer

Dass die inhaltliche Überfülle sich kaum auf den Erfolg beim Publikum auswirkte, ist der geschickten Inszenierung zu verdanken: Zum einen wird der Zuschauer gefesselt durch die szenische Abwechslung zwischen dem weitgehend statischen Tribunal, das vorne auf der Hauptbühne stattfindet, und dem dynamischen Zug der deutschen Nationalrassisten durch das zerstörte Deutschland, die sich entweder durch den Zuschauerraum bewegen oder auf einer kleinen Bühne mitten im Saal agieren. Zum anderen bekommt der Zuschauer völlig unterschiedliche Theaterarten zu sehen: Das Tribunal hat tragischen, dokumentarischen und völlig ernsten Charakter, der Zug der Gruppe dagegen wirkt satirisch, derb-spaßig und völlig unernst. Die szenenthematisch gemalten und an die Stirnseite des Saales projizierten Bühnenbilder der Regensburger Künstlerin Caro Schöttl, die auch das Werbeplakat für “Nach uns die Sintflut” kongenial kreiert hatte, taten ein Übriges, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erhalten.

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Foto: Herbert Baumgärtner

“Nach uns die Sintflut” ist also gleichzeitig Satire und Tragödie, brutale Dokumentation und kitschige Utopie, Farce, Travestie und Posse. Dass das nicht für jeden Zuschauer eine erträgliche Diskrepanz war, zeigte sich an der Totenstille und Betroffenheit, die sich im ganzen Saal breitmachte, als während einer Tribunalszene ein dreiminütiger Film über Qualen in der Massentierhaltung und in den Versuchslaboren an die Wand projiziert wurde. Ein Schnitzel wollte danach kein Zuschauer mehr bestellen.

Außer auf der spannenden Inszenierung beruhte die Begeisterung des Publikums aber vor allem auf der packenden Leistung der sechzehn Laienschauspieler, die es fertig brachten, das Publikum in fast jeder Szene emotional herauszufordern. Von der ersten Minute an spürten die Zuschauer, dass sich jede Darstellerin und jeder Darsteller in die Rolle nicht nur textlich-gedanklich, sondern auch emotional vertieft hatte. Jenseits der inhaltlichen Fakten, die vielen Zuschauern schon vorher bekannt waren, erzeugte das gesamte Ensemble durch sein unglaublich lustvolles Spiel eine Stimmung der Ergriffenheit im Publikum, die niemand, der dabei war, so schnell vergessen wird. Im bis zum letzten Platz gefüllten und bewirtschafteten Wirtshaussaal folgte das Publikum gebannt, manchmal fast atemlos den Spielszenen.

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Foto: Herbert Baumgärtner

Die im Text vorgegebene rationale Aussage mit der dazu passenden emotionalen Ausdrucksweise zu verbinden, verlangt intensive Übung. Nur ein theaterpädagogisch so versierter und menschlich-politisch engagierter Regisseur wie Kurt Raster vermag es, ein nicht-professionelles Ensemble zu einer so spannenden, intensiven und nachhaltigen schauspielerischen Leistung zu motivieren, dass der thematische Overkill des Stücks völlig in den Hintergrund trat. Die Regensburger Öffentlichkeit sollte dankbar und stolz sein, mit Kurt Raster und seinem ueTheater den unverzichtbaren Anspruch auf kritisches, zeitnahes und breitenwirksames politisches Theater erfüllen zu können.

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