Das Rescue & Shelter Open Air 2024 war wieder eine schöner Erfolg. Tolle Bands, tolle „Kleinkünstler*innen“, tolle Ausstellungsbilder und tolle Stimmung. Aber als größten Erfolg verbuchen die Veranstalter Sea-Eye und Bürger*innenasyl (BüSyl) die spürbare, durchweg solidarische Haltung der Besuchenden gegenüber Schutzsuchenden und Asyl. Dies zeigte sich nicht nur an den vielen Spenden, sondern auch an der großen Aufmerksamkeit und dem Zuspruch, den die beiden Reden der Veranstalter erhielten.
Sea-Eye
342 (1). Das ist die Zahl der Menschen, die in den 60 Tagen als vermisst gelten oder verstorben sind, die unser Rettungsschiff SEA-EYE 4 von den italienischen Behörden festgesetzt wurde. 342. Das ist aber nicht einfach nur eine Zahl. Wir sprechen hier von 342 Leben, 342 trauernden Familien, Freund*innenkreisen und 342 Hoffnungen und Träumen. Wir sprechen davon, dass die europäische Migrationspolitik tötet. Und wir sprechen davon, dass Rettungsorganisationen aber ganz besonders auch Geflüchtete selbst, eben genau durch diese Politik kriminalisiert werden.
Unser Schiff, die SEA-EYE 4 wurde am 11. März dieses Jahres für 60 Tage festgesetzt, weil wir Menschen in Seenot nicht an die sogenannte libysche Küstenwache übergeben haben. Sea-Eye soll damit gegen ein italienisches Dekret verstoßen haben, das vorgesehen hätte, die Menschen an die sogenannte libysche Küstenwache zu übergeben und sie damit der Rückführung in das Bürgerkriegsland Libyen auszusetzen, in dem ihnen Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und der Tod droht. Dabei gab es erst im Februar dieses Jahres das Urteil des obersten Gerichts Italiens, das sagt, dass die Städte in Libyen keine sicheren Häfen sind und die Übergabe von Menschen in Seenot an die sogenannte libysche Küstenwache ein Straftatbestand ist.
Wie kann es sein, dass unser Schiff nur einen Monat nach diesem Gerichtsurteil für 60 Tage festgesetzt wird, eben weil wir die Menschen in Seenot NICHT an die sogenannte libysche Küstenwache übergeben haben?
Die Erklärung dafür? Politische Repression und Schikanen der italienischen Regierung, geduldet und unterstützt durch die EU. Ganz besonders betroffen von dieser Kriminalisierung sind aber Geflüchtete selbst.
Die Pylos9 (2) : Am 14. Juni 2023 kenterte das Fischerboot „Adriana“ mit etwa 750 Menschen an Bord etwa 50 Meilen vor dem griechischen Hafen Pylos. Das überfüllte Boot startete eine Woche zuvor von Libyen aus, nach wenigen Tagen auf See fiel der Motor aus und die Vorräte wurden knapp. Am 13. Juni wurde der Seenotfall von der NGO Alarmphone an die zuständigen Behörden gemeldet. Doch statt die sofortige Rettung der 750 Menschen an Bord einzuleiten, kam lediglich ein griechisches Patrouillenboot dazu und band die beiden Schiffe mit einem Seil zusammen. In den frühen Morgenstunden vom 14. Juni neigte sich das Fischerboot, vermutlich aufgrund der Abschleppversuche der Küstenwache so stark zur Seite, dass es kenterte. Nur 104 Menschen überlebten und wurden von einer Luxusyacht gerettet, nachdem das Boot bereits vollständig untergegangen war. Alle anderen, also 650 Menschen an Bord ertranken und wurden Opfer dieser menschenverachtenden Politik und Praktik der griechischen Behörden. Statt jedoch die Ursache und die Rolle der griechischen Küstenwache zu untersuchen und aufzuarbeiten, werden 9 Überlebende des Schiffbruchs vor Gericht gestellt und wegen Beihilfe zur illegalen Einreise, der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Verursachung des tödlichen Schiffbruchs angeklagt. In 3 Tagen, am 21.05.24 findet der unmenschliche und absolut ungerechte Prozess gegen die 9 Menschen in Griechenland, statt. (3) (4)
Dass diese Anklage kein Einzelfall ist, sondern System hat, zeigt eine Studie von Borderline Europe vom letzten Jahr (5). Die Verhaftung von Geflüchteten, die (angeblich) ein Boot oder ein Auto über die Grenze nach Griechenland gesteuert haben, ist gängige Praxis. Nach durchschnittlich 8 Monaten U-Haft unter menschenunwürdigen Bedingungen werden in teilweise nur 6-minütigen Verhandlungen absurd hohe Haftstrafen verhängt. Zur Abschreckung. Und als Teil einer systematischen Abschottungspolitik der EU.
Quasi wie nebenbei schließt Italien ein Abkommen mit Albanien ab; Großbritannien schiebt nach Ruanda ab; ein, auch von der deutschen Regierung hochgepriesenes Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) wird beschlossen; und die sogenannte libysche Küstenwache schleppt weiterhin mit europäischer Unterstützung tausende Menschen zurück in ein Bürgerkriegsland.
Unsere Solidarität gilt allen, die Opfer dieses menschenverachtenden Grenzregimes werden und allen, die weiter gegen die Mauern und die Festung Europa kämpfen.
Und auch wenn unser Schiff im Moment wieder im Mittelmeer unterwegs ist. Die Kriminalisierung von Geflüchteten und deren Unterstützer*innen muss aufhören. Menschen dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie sich aus individuellen Gründen auf den Weg nach Europa machen!
Die Bundesregierung und die EU müssen sich zum individuellen Recht auf Asyl bekennen. Die Einführung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems stellt quasi die Abschaffung dieses individuellen Rechts dar.
Wir werden laut, wenn wieder menschenverachtende Migrationsabkommen und dubiose Deals mit Milizen und Diktatoren geschlossen werden.
Wir werden laut, wenn die Mauern um Europa immer höher werden und Menschen an See- Fluss-, Wüsten- und Waldgrenzen sterben.
Was wir brauchen sind sichere und legale Fluchtwege für alle! Jetzt!
Ein Freund von mir hat vor kurzem seinen Aufenthaltstitel bekommen, nachdem er seit mittlerweile 8 Jahren in Deutschland lebt. Als wir mit ein paar Bier darauf angestoßen haben, hat er genau die richtigen Worte gefunden. Er hat gesagt: „Lasst uns anstoßen auf eine Welt ohne Grenzen!“ Und wo könnte man dieses Anstoßen besser wiederholen, als auf unserem Rescue & Shelter Open Air 2024. Also, lasst uns zusammen anstoßen auf eine Welt ohne Grenzen, für die wir auch nicht aufhören werden zu kämpfen!
1) https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean?region_incident=All&route=3861&month=All&incident_date%5Bmin%5D=03%2F11%2F2024&incident_date%5Bmax%5D=05%2F09%2F2024
5) https://www.borderline-europe.de/sites/default/files/readingtips/criminalisation_of_migrants-study_by_borderline_europe_de.pdf
Bürger*innenasyl
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es:
Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen und in das eigene Land zurückzukehren.
Nochmal:
Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen und in das eigene Land zurückzukehren.
Was bedeutet das? Nichts anderes als weltweite Bewegungsfreiheit und zwar für jedermensch. Und nicht nur das: Es werden keinerlei zeitliche Einschränkungen angeführt. Ob ich mein Land für wenige Tage verlasse oder für Jahre, bleibt völlig mir überlassen. Alle Menschen können also laut Menschenrechte dort leben, wo sie leben möchten. Das heißt, im Grunde bräuchte es das Menschenrecht auf Asyl nicht, da schon das Menschenrecht auf weltweite Bewegungsfreiheit für Schutzsuchende alle Zufluchtsstätten öffnet.
Aber wir alle hier wissen, zwischen Theorie und Praxis der Menschenrechte besteht ein himmelschreiender Unterschied. Unsere Europäische Union beruft sich zwar in fast jeder offiziellen Stellungnahme auf angebliche „europäische Werte“, Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit. Aber in der Realität werden diese Werte mit Füßen getreten. Weder die weltweite Bewegungsfreiheit noch das Recht auf Asyl – Rechtsstaatlichkeit – gelten in der EU als allgemeiner Wert. Vielmehr werden Schutzsuchende als „Gefahr“ diffamiert. Und diese Diffamierung ist nicht nur eine Beleidigung und Lüge und gegen die Menschenwürde, sie ist tödlich.
Jedes Jahr sterben Tausende an den Grenzflüssen, im Mittelmeer, in den sogenannten sicheren Drittstaaten gekaufter Diktatorenstaaten. Gelder, um Schutzsuchende von ihrem Recht auf weltweite Bewegungsfreiheit auszuschließen, gibt es in Hülle und Fülle. Gelder für die Versorgung von Schutzsuchenden werden dagegen bis weit unter das Existenzminimum gedrückt. Und nicht mal über das wenige Geld, das Schutzsuchende als Almosen bekommen, dürfen sie frei verfügen, Stichwort „Bezahlkarte“. Sie könnten ja ihren Familien zuhause, die aufgrund der 500-jährigen Imperialgeschichte des Globalen Nordens in entsetzlicher Armut leben, ein paar Euros schicken. Was für eine ekelhafte Bagage sind doch die dafür verantwortlichen Politiker*innen! Was für ein beängstigender Mangel selbst an rudimentärsten, zivilisatorischer Werten.
In ein paar Wochen sind sogenannte Wahlen. Ich sage deshalb „sogenannt“, weil Wahlen, bei der ich nicht die geringstes Sicherheit habe, dass Wahlversprechen umgesetzt werden, für mich keine Wahlen sind. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Alles, was Politiker*innen aktuell in Sachen Abwehr von Schutzsuchenden versprechen, wird mit ziemlicher Sicherheit umgesetzt werden. Denn die EU ist keine Union der Werte, sondern eine Union der Abwehr. Nur wir, die Zivilbevölkerung, hält die Werte hoch, sei es, keine Menschen im Mittelmeer ersaufen zu lassen, oder Menschen, die Schutz von uns erflehen, diesen Schutz zu gewähren. Rescue & Shelter. Es gibt nichts Gutes, außer wir tun es. Daher vielen lieben, solidarischen Dank für euer Kommen heute. Euer Bürger*innenasyl Regensburg.