Rede Kundgebung Seebrücke 16.10.2010:
Moria auflösen!

transpibgaAls Bündnis gegen Abschiebelager haben wir es Woche für Woche mit den wenigen Geflüchteten zu tun, die es in irgendeiner Art und Weise schaffen, die Festung Europa zu durchbrechen und nach Deutschland zu kommen. Nach ihren horrenden Erlebnissen auf ihrem Fluchtweg sind sie meist erneut sehr schockiert über die entwürdigende Behandlung, die ihnen in Deutschland widerfährt und die einzig auf Abschiebung ausgerichtet ist.

Neben unserer konkreten Arbeit mit diesen Geflüchteten treten wir als BgA selbstverständlich für offene Grenzen und freie Wahl des Aufenthaltsortes ein. Im Gegensatz zu anderen machen wir uns jedoch keinerlei Illusionen über die politische Ausrichtung der EU. Moria, die dortigen Zustände und die Nichtauflösung des Lagers sind kein Zufall und kein „Ausrutscher“ der EU. Moria ist System. Moria war und ist ein Monument der Abschreckung. Moria steht für „2015 darf sich nicht wiederholen“. Moria ist das Sinnbild der Festung Europa. Und Moria zeigt, dass europäische Leben wertvoller sind als die der Menschen außerhalb der Mauern. In Moria gehen nicht die europäischen Werte von Menschlichkeit und Menschenwürde verloren, sondern diese existieren nicht – zumindest nicht als allgemeingültige Werte, die ja sonst für alle Menschen gleich gelten würden. Unterlassene Seenotrettung, illegale Zurückweisungen, Waffengewalt an den EU-Außengrenzen und brutale Abschiebungen finden täglich statt. Wer dennoch immer noch Illusionen über den Charakter von Europa hegt, sollte sich den neuen „Pakt zu Migration und Asyl“ der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen genau ansehen. Laut Plan der Kommission solle damit die jahrelange Blockade in der europäischen Migrations- und Asylpolitik beendet werden. Veränderungen in der Migrations- und Asylpolitik haben in den letzten Jahrzehnten niemals etwas Gutes für die Betroffenen gebracht. So auch dieses Mal: Die Entrechtung von Geflüchteten schreitet voran. Für den Plan von neuen Flüchtlingslagern an den Außengrenzen der EU will die EU bisher geltendes Recht ändern. In diesen Lagern sollen Geflüchtete festgesetzt werden. Asylanträge von Schutzsuchenden aus Ländern mit sogenannter geringer Anerkennungsquote, also unter 20 %, sollen künftig direkt an der EU-Außengrenze entschieden werden. Wer abgelehnt wird, soll dann direkt abgeschoben werden. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie die Behandlung der Menschen und ihrer Asylanträge ablaufen wird, ein faires Asylverfahren kann dort nicht stattfinden.

Die vorgesehenen Lager für Schutzsuchende mit angeblich schlechten Anerkennungschancen machen das „Modell von Elendslagern“ wie Moria zum allgemeinen Prinzip der EU. Vorangetrieben von Deutschland.

Wir haben also viele Aufgaben vor uns. Wir müssen weiterhin und konsequent die Auflösung von Moria und die sofortige Aufnahme der Geflüchteten fordern. An dieser Stelle möchten wir uns bei Seebrücke bedanken, dass sie kontinuierlich die Kundgebungen in Regensburg organisieren. Denn wir als BgA wissen, dass nur Druck von der Straße etwas verändern kann. Genauso müssen wir gegen den neuen EU-Pakt kämpfen. Es bleibt viel zu tun!

Lernen können wir auch von den Betroffenen. Vielleicht kennt ihr das Camp Mexmur. Dort leben ca. 12 000 kurdische Menschen, die in den 90 er Jahren aus der Türkei fliehen mussten und kaum Unterstützung erhalten haben. Sie haben sich an der Grenze im Norden des Irak selbst organisiert und gestalten das Leben im Camp gegen alle Widerstände von außen in Selbstverwaltung. Auch auf Lesbos gibt es ein kleines selbstorganisiertes Camp: PIKPA. Es wurde 2012 von solidarischen Inselbewohner_innen und Geflüchteten gemeinsam aufgebaut. Solidarische Unterstützung gibt es von verschiedenen Gruppen und NGOs. Mehr als 30.000 besonders vulnerable Schutzsuchende – wie Familien mit kleinen Kindern, Opfer von Folter oder Menschen mit Beeinträchtigung – haben in dem kleinen Camp ein Zuhause auf Zeit gefunden. Genau am Tag der Verkündigung des EU-Paktes hat der griechische Minister für Migration angekündigt, das Camp »PIKPA« bis zum 31.10 zu schließen. Das ist kein Zufall! Moria 2.0 soll alternativlos sein, selbst wenn es wie aktuell überschwemmt ist, und den Weg in die neue Abwehr von Geflüchteten weisen. Und Selbstorganisation war den Herrschenden schon immer ein Dorn im Auge.

Darauf muss unsere Antwort lauten: Mehr Selbstorganisation! Und dafür müssen wir mehr werden und müssen wir lauter werden!

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